Zürich denkt um

Im Umgang mit dem Ruf nach Freiräumen bleibt Basel besonnen, während «Züri brännt»: Dieses alte Bild bekommt Risse – Zürich setzt auf Zusammenarbeit statt Repression. 

Im Umgang mit dem Ruf nach Freiräumen bleibt Basel besonnen, während «Züri brännt»: Dieses alte Bild bekommt Risse – Zürich setzt auf Zusammenarbeit statt Repression. 

Hier das liberale Basel, dort das repressive Zürich. In Basel schlichtet man Konflikte, in Zürich zelebriert man sie. Über Generationen hat sich dieses Bild verfestigt: Schon als die Jugend von 1968 die Strassen und Plätze für ihre Polit-Happenings und Partys eroberte, konnte sie in Basel auf mehr Toleranz zählen als in Zürich.

Selbst als sich Zürich ab den 1990er-Jahren in die Party-Metropole der Deutschschweiz verwandelte, blieb das Bild intakt: Die damalige Polizeivorsteherin Esther Maurer machte sich mit ihrer gestrengen sozialdemokratischen Ordnungspolitik – etwa in Bezug auf «Darkrooms» in Schwulen-Clubs oder die Streetparade – zum Feindbild apolitischer Partygänger.

Als Abschiedsgeschenk hinterliess sie bei ihrem Rücktritt vor zwei Jahren die «Zentrale Ausnüchterungsstelle»: Im alten Zellentrakt einer Polizeiwache landen seither jedes Wochenende rund ein Dutzend Berauschte, weil sie eine Gefahr für sich und andere darstellten. 600 bis 950 Franken kostet der Aufenthalt für die «Klienten».

Prompt musste die städtische Ombudsfrau Claudia Kaufmann eingreifen: Denn die Polizei wies auch angetrunkene Leute ein, die bloss vor einer Prügelei geflohen waren oder mit der Hand auf ein Polizeiauto klatschten und dabei eine Grimasse schnitten. «Im Hirn oben krank» seien Jugendliche, die sich gemeinsam in der Öffentlichkeit volllaufen lassen, rutschte es Esther Maurer einmal raus – eine Qualifikation, die sie später in «hirnverbrannt» abschwächte.

Mit Pilotprojekt Coup gelungen

Jetzt sagt Ursula Näf, die Co-Präsidentin der Zürcher Jungsozialisten (Juso): «In den Köpfen hat sich etwas verändert.» Sie meint die Köpfe der Zürcher Stadträte – allen voran jenen von Polizeivorstand Daniel Leupi (Grüne), Esther Maurers Nachfolger. Heute sei die Einsicht vorhanden, dass nicht Repression, sondern Zusammenarbeit zum Ziel führe.

Kein Zweifel: Mit dem Pilotprojekt einer unbürokratischen und kostenlosen «Jugendbewilligung» für nichtkommerzielle Outdoor-Partys ist Leupi ein Coup gelungen. Bei aller Kritik am Kriterienkatalog wird die Aktion von allen Seiten grundsätzlich begrüsst und löst ennet dem Jura neidische Blicke aus. Denn erst vor wenigen Monaten stand auch Zürich an dem Punkt, wo Basel noch heute steht: Die Polizei übt sich in Nulltoleranz, transportiert an unbewilligten, aber friedlichen Parties die Musikanlage ab – und bringt die Festenden gegen sich auf. Worauf es mitten in der Stadt (wie auch letztes Wochenende in Bern) zu Protest-Parties kommt, die mit Ausschreitungen und Polizeirepression enden.

Doch kaum war der Rauch im vergangenen Herbst verzogen, stellte Polizeivorstand Leupi der Jugend Fragen: «Wie sieht deine perfekte Partystadt aus?» Und: «Welche Freiräume fehlen dir?» Schliesslich erwartete er Antworten: «Wie könnte die Polizei ihr Verhalten verbessern, ohne die polizeilichen Aufgaben zu vernachlässigen?» Eine Folge der von den Behörden angeleiteten Facebook-Diskussion ist nun die Jugendbewilligung.

Im Praxistest durchgefallen

Messen will Jungsozialistin Ursula Näf den Polizeivorstand aber weniger an seinen Einsichten als an seinen Taten. Und da ist Leupi gleich beim ersten Test durchgefallen: Das Gesuch der Juso für eine Party unter der Korn­hausbrücke – also gleich bei der jeden warmen Abend proppevollen Letten-Badi und dem Strassenstrich – wurde abgelehnt, weil die Lage «zu zentral und anfällig für Lärmklagen» sei.

«Wenn die Jugendbewilligung derart restriktiv vergeben wird», zieht Näf Bilanz, «nützt uns alles Umdenken in den Köpfen nichts.» Darum gibt es vielleicht doch noch einen heissen Sommer in Zürich.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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