Als dem Jazz noch der Ruf des Verruchten anhaftete, war es doppelt abenteuerlich, nach Freiburg an ein Konzert von Louis «Satchmo» Armstrong zu fahren.
Kein runder Geburtstag. Diesen Star kann man – auch am Rande – jederzeit ins Bild rücken. Und über ihn kann man jederzeit schreiben: Louis Daniel «Satchmo» Armstrong. Aber wie ihn zeigen und was von ihm, schreibend, hervorheben? Zeigen: nicht ohne seine Trompete. Schreiben: nicht ohne «What a Wonderful World» (1970) erwähnt zu haben.
Im vorliegenden Bild befindet sich der Star in der zweiten Reihe. An der Rampe steht, nur von hinten abgebildet, von einem sie noch mächtiger machenden Schatten assistiert, in einer Art von hingebungsvoller Haltung die Jazzsängerin Velma Middleton. Jetzt würde man gerne hinhören. Das kann das Musikbild nicht leisten. Es zeigt aber die Performance eines hell erleuchteten Musikertrupps – nicht mehr Big Band, sondern die kleinen Formationen des New-Orleans-Jazz (Klavier, Klarinette, Trompete, Schlagzeug und Kontrabass) – hinein in den schwarzen Saal, ins unsichtbare Publikum.
Wo und wann die Aufnahme entstanden ist, das verrät die Bildlegende beziehungsweise der Fotograf: in Freiburg im Breisgau, wohin der Armstrong-Fan Kurt Wyss von Basel aus mit seinem VW-Käfer auf kurvenreichen Landstrassen fuhr. Dies im Februar 1959, und dies nicht wegen Middleton, sondern wegen Armstrong.
Es bleibt noch Zeit und Raum, ein paar Überlegungen anzustellen: Was hat den Star der zweiten Reihe berühmt gemacht? Was in seinem Leben musste er sich holen, was wurde ihm gegeben? In welcher Mischung standen Können und Wollen zueinander?
L. D. A. stammte bekanntlich, wie man so sagt, aus einfachen Verhältnissen: Zeitungsverkäufer mit sieben Jahren, Anstaltskind mit zwölf Jahren, weil er in der Silvesternacht 1912 mit dem Revolver seines Onkels in die Luft geschossen hatte. Also doch bald ein 100-jähriges Jubiläum! In der Anstalt – ein Glücksfall? – lernte er Kornett (dem wir Trompete sagen) spielen! In einer nächsten Etappe war er Musiker auf einem Mississippi-Dampfer und unterhielt Passagiere auf langen Flussfahrten. Und weiter ging es dann in der Karriere.
Armstrong hatte wie jeder Mensch einen Geburtstag. Aber er nannte oder kannte ihn nicht. Er gab, wie viele Schwarze, den «Forth of July» an und legte sich auf das runde Jahr 1900 fest. Erst 12 Jahre nach seinem Tod entdeckte man, dass sein wirklicher Geburtstag der 4. August 1901 war. Warum machte er sich ein Jahr älter? Weil er so ein Jahr früher das Alter hatte, das ihm den Eintritt in die Vergnügungsmeile von New Orleans gestattete – what a wonderful world!
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12