500 Jahre alte Pornos hängen heute im Museum

«Weibsbilder» nennt das Kunstmuseum Basel seine aktuelle Sonderausstellung. Und zeigt Bilder von «Weibern», die einem die Schamröte ins Gesicht steigen lassen.

Explizite Darstellungen kursierten auch im frühen 16. Jahrhundert. (Bild: © bpk / Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

«Was schaust du dir während der Arbeitszeit pornografische Bilder an?», bemerkt ein Redaktionskollege mit leicht vorwurfsvollem Unterton. Mein Bildschirm zeigt gerade eine Federzeichnung des Dürer-Zeitgenossen Hans Baldung gen. Grien. Dieser zählt zu den herausragenden Künstlern der Renaissance im deutschsprachigen Raum.

Die Original-Zeichnung gibt es in der aktuellen Sonderausstellung des Kunstmuseums Basel zu sehen. Titel: «Weibsbilder – Eros, Macht, Moral und Tod um 1500».

Baldungs Werke gehören zum Grundstock der Altmeistersammlung des Museums. In der Dauerausstellung sind sonst fast ausschliesslich Gemälde mit religiösen Motiven wie Geburt oder Kreuzigung Christi zu sehen, Darstellungen, die nicht im geringsten an Pornografie denken lassen. Ganz anders bei der eingangs erwähnten Zeichnung von 1515 mit dem Titel «Hexe und fischgestaltiger Drache».

Darauf streckt eine nackte Frau ihr Gesäss lüstern einem Drachen entgegen, dessen lange Zunge in ihr Geschlecht fährt. Und weil dieser Drache dies nicht freiwillig tut, stimuliert die Hexe dessen rüsselartiges Schwanzende mit einer Liane, während zwei Putten Kopf und Schwanz des Tiers in die richtige Position bringen. Durch die weissen Federstriche auf dunklem Papier wirkt die Darstellung enorm plastisch.

Hans Baldung gen. Grien: «Hexe und fischgestaltiger Drache» (1515).

Bei dieser expliziten Darstellung wollüstiger Weiblichkeit lässt sich das Attribut pornografisch kaum wegdiskutieren – wenngleich es sich um «höchst kunstvolle Pornografie» handelt, wie Ariane Mensger vom Basler Kupferstichkabinett sagt, die die Ausstellung kuratiert hat. «Auch wenn das Werk 500 Jahre alt ist, die Menschen sind sich in ihren Grundbedürfnissen ähnlich geblieben.»

Für den Vergleich mit Pornografie spricht auch, dass sich ein mythologischer Hintergrund nur sehr schwer herbeizaubern lässt. Baldung muss es also in erster Linie um den expliziten Moment gegangen sein.

Von der Religion emanzipiert

Entstanden ist die Zeichnung zu einer Zeit, als sich die Kunst langsam von der reinen Religiosität zu emanzipieren begann. Die Renaissance und auch das Wirken der Humanisten erweiterten den Kanon der bildenden Kunst mit profanen Motiven: Darstellungen antiker Mythen, Porträts und eben auch die lustvolle Auseinandersetzung mit dem ewigen Spiel oder Kampf der Geschlechter, dem Baldung sehr zugetan war.

Andere bedeutende Künstler der Zeit wie Urs Graf, Lucas Cranach d. Ä. oder Albrecht Dürer griffen bei ihren mehr oder weniger expliziten Frauendarstellungen eher auf Motive aus der Bibel (Sündenfall) oder der klassischen Mythologie (Venus und Amor) zurück.

Hans Baldung gen. Grien: «Aristoteles und Phyllis» (1513).

Doch keiner ging so obsessiv ans Werk wie Baldung. Wenn andere Künstler den Sündenfall quasi als Alibi nahmen, Adam und Eva in ansprechender Nacktheit darzustellen, lässt Baldung in seiner Version dieser oft dargestellten Szene Adam mit der einen Hand zum Apfel, mit der anderen unverfroren an Evas Brust greifen.

«… mit einer Bürste Kurzweil treibt»

Unter welchen Voraussetzungen seine Hexen-Zeichnung entstanden ist, lässt sich nicht mehr eruieren. «Sie war sicher für einen privaten Kreis gedacht», sagt Mensger. Aber ob es sich um ein Auftragswerk handelte oder um eine Arbeit, die der Künstler aus eigenem Antrieb schuf, ist nicht überliefert. Heute gehört sie zur Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.

Etwas mehr weiss man über ein weiteres Werk von Baldung, ein Ölgemälde  mit dem Titel «Frauenbad mit Spiegel», das nur noch als Kopie erhalten ist. Das Original hing einst im sogenannten «Nuditäten-Zimmer» des Markgräflerhofs, der Basler Residenz der Markgrafen von Baden-Durlach, und kam im 18. Jahrhundert in den Besitz des Ratsherrn Peter Vischer. Die Kopie gehört ebenfalls zur Karlsruher Sammlung.

Das Bild zeigt drei nackte Frauen unterschiedlichen Alters, die sich um einen gewölbten Spiegel versammelt haben. Am meisten Nacktheit preis gibt die Jüngste der drei, die mit einem seligen Lächeln mit einer Bürste über ihre Schamhaare streicht. Gewisse Historiker haben in diesen Akt das Auftragen einer Enthaarungscrème hineininterpretiert. Schlüssiger wirkt aber ein Inventareintrag aus dem Jahr 1772, der besagt, dass hier «ein jung Weibsbild m. einer Bürste Kurzweil treibt».

«Frauenbad mit Spiegel», Kopie nach Hans Baldung gen. Grien um 1600.

Dass von diesem Bild eine Kopie hergestellt werden konnte, deutet darauf hin, dass der Rahmen eines «Nuditäten-Zimmers», wo es hing, nicht ganz so intim war, wie man annehmen könnte. Und dass dieses Motiv offensichtlich so ansprechend war, dass man es vervielfältigte.

Das gilt auch für die kleinformatigen Kupferstiche von badenden Frauen, die Sebald Beham um 1550 herum geschaffen hat. Zu sehen sind unter anderem Frauen, die sich von anderen intime Körperstellen einseifen lassen. Es sind Szenen, die unmissverständlich Männerfantasien wiedergeben. Und die in einer vergleichsweise hohen Auflage von gegen 300 Exemplaren unter die Leute gebracht wurden  – wohl eher unter dem Ladentisch hindurch als darüber hinweg.

Heute hängen sie im Museum, wo sie von kunstbeflissenen Menschen bestaunt werden. Dies so intensiv, dass man wegen übertriebener Annäherung der Besucher an die Zeichnungen, Stiche und Bilder immer wieder durch das Pfeifen des Alarms aus der Konzentration gerissen wird.

Kunstmuseum Basel: «Weibsbilder – Eros, Macht, Moral und Tod um 1500». Bis 7. Januar 2018.

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