Seit 25 Jahren bringt der Verleih Trigon Filme aus Süd und Ost in die Kinos. Zum Geburtstag nennt der Direktor Walter Ruggle sieben Filme, ohne die er nicht auf die einsame Insel geht.
Trigon-Film feiert Geburtstag! Seit 25 Jahren bringt der Schweizer Filmverleih Eindrücke aus Süd und Ost in die Schweizer Kinos, inzwischen sind es um die 400 Filme. Zum Geburtstag hat Trigon seine Homepage frischgemacht: Gegen Gebühr kann man nun ein wechselndes Filmangebot streamen. Für uns nennt Walter Ruggle, Direktor des Filmverleihs, sieben Filme, ohne die er nicht auf die einsame Insel gehen würde.
1. «La Vida Es Silbar» von Fernando Pérez, Kuba
Dieser Film von der Insel Kuba war der erste, den ich 1999 als frisch gebackener Verleiher für Trigon-Film in die Kinos gebracht habe: Es bleibt ein Film, der mir ans Herz gewachsen ist und den ich mir immer mal wieder anschauen mag. Die Szene auf dem Bild zeigt Elpidio und die Schnecken des philosophierenden Rikschafahrers am Malecon in Havanna. Sie steht für vieles, was diesen Film auszeichnet, so eben auch dafür, dass das Leben ein Pfeifen sei – wie es der Titel sagt. Der Schneckenfreund meint, dass seine Tiere dem perfekten Lebewesen am nächsten kommen würden: «Sie haben nie Heimweh.» – «Aber die kriechen ein Leben lang», wendet Elpidio ein. «Nein, sie sind erdverbunden». Was ist das Leben? lautet die elementare Frage des Films. Und wo wird man sie sich intensiver stellen als auf der Insel? Wenn man allein mit sich selber ist?
2. «Bamako» von Abderrahmane Sissako, Mali
Die Szenerie ist in Malis Hauptstadt Bamako angesiedelt, im Innenhof eines Hauses, in dem eine Gerichtsverhandlung gegen den IWF und die Weltbank stattfindet. Warum will einer einen solchen Film auf die Insel mitnehmen? Ganz einfach, weil er auch auf der Insel etwas von den Dimensionen der Welt dabei haben möchte. Während die Richter sich anhören, was die ganz gewöhnlichen Menschen über die grösseren politischen und wirtschaftlichen Kontexte empfinden, spielt sich das ganz normale Leben ab in diesem Hof. Die angeblich grosse Welt aus dem vermeintlich kleinen Alltag heraus betrachtet: Das ist spannend und wunderbar sanft erzählt.
3. «Yi Yi» von Edward Yang, Taiwan
Der Chinese Edward Yang erzählt vom ganzen Leben, indem er einen Film von der Grossmutter bis zum Enkel erfindet und mit ihnen die Facetten des Lebens zeigt. Ich erinnere mich, als ich diesen Film am Festival von Cannes im Jahr 2000 zum ersten Mal gesehen habe, wie mein Herzrhythmus nach den ersten Minuten ruhig und ich in der letzten Faser meiner Haut zu spüren glaubte: Das ist mal wieder so ein Film, wie es ihn nicht alle Tage gibt, den man bei sich haben und nicht aus den Händen geben möchte. Und wie verzaubert uns der Regisseur, wie schafft er es, uns den fremden asiatischen und eben doch vertrauten menschlichen Alltag mit all seinen süssen und bitteren Momenten so nahe zu bringen, dass wir das Gefühl haben, das sei unsere Familie oder eben eine weit entfernte, aber doch so nah verwandte? Ein Grund liegt sicher im kleinen Yang-Yang, der durch die Tage des Films stolpert, der älteren Schwester das Unscheinbare zeigt und mit einer Fotokamera den Nacken der Leute fotografiert. Er fragt sich, warum wir nur die Hälfte sehen. Und er nimmt die Rückseite der Menschen auf, damit sie alles sehen, das Ganze.
4. «Lagaan» von Ashutosh Gowariker, Indien
Da es auf der einsamen Insel ja auch mal langweilig werden könnte, ist ein vierstündiges Filmepos im Koffer schon rein zeitlich keine schlechte Idee. Dieses da hat es in sich, es hat auf einer gerammelt vollen Piazza in Locarno 7’500 Menschen in seinen Bann gezogen, und so banal die Geschichte anmuten mag: Sie packt bei jedem Wiedersehen von neuem. Es geht um eine Handvoll Bauern, «The Magnificent Eleven» sozusagen, die unter Anleitung des schönsten unter ihnen gegen die britischen Kolonialherren und ihre Willkür antreten – in einem Cricketspiel. Klingt nicht spannend? Ich garantiere: Es ist. Selbst nach sechsmaligem Anschauen dieses grandios inszenierten Epos zucke ich noch zusammen, wenn der letzte Ball durch die Luft zischt und – aufgefangen wird? Schaffen sie’s oder schaffen sie’s nicht? Es gehört zu den Vorzügen von «Lagaan», dass man sich das Spiel immer wieder anschauen kann und immer noch zittert um die Jungs.
5. «Bodhi Dharma» von Bae Yong-kyun, Südkorea
Die koreanische Landschaft erinnert in vielen Dingen an die Schweiz, zum Beispiel mit den Bergen und den Wanderwegen, die da sorgsam durch sie und ihre Parks angelegt sind und auf denen man stundenlang wandern kann, fernab vom technischen Rummel und weltweiten Säbelgerassel. Der Film geht dem Phänomen der koreanischen Landschaft auf den Grund und erzählt von drei Mönchsgenerationen, die in einem der vielen buddhistischen Klöster des Landes eingebettet und eingebunden in der Natur leben. Das wäre dann, als Kontrapunkt zum Zeitvertrieb mit «Lagaan», der meditative Film, in dem uns ein Regisseur, der von der Idee über die Kamera bis zum Schnitt alles selber gemacht hat, ein Stück Dasein näher bringt, das ganz in sich ruht.
6. «Die Ewigkeit und ein Tag» von Theo Angelopoulos, Griechenland
«Was bleibet aber, stiften die Dichter», beschliesst Hölderlin sein Gedicht «Andenken». Der Grieche Theo Angelopoulos war einer der ganz grossen Dichter des Kinos, und dieser Film, den er mit Bruno Ganz gedreht hat, erzählt von einem bekannten griechischen Dichter in der Vergangenheit und einem Schriftsteller in der Gegenwart, der nur noch kurze Zeit zu leben hat. Was ist das, was bleibt, in der Flüchtigkeit des Zeitlichen? Augenblicke, Gesten, Bewegungen, Gefühle, Begegnungen. Film ist elementar eine Zeitkunst, will heissen: Ein Künstler, eine Künstlerin gestaltet unsere Zeit und die Wahrnehmung von Zeit. In einer Bus-Szene im Film «Die Ewigkeit und ein Tag» schafft es Angelopoulos, die Zeit gleichsam innezuhalten und uns zumindest einen Moment ins Gefühl zu versetzen, dass auch wir da innehalten, dass alles stillsteht und nur der Moment zählt, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einem Punkt vereint sind.
7. «Yojimbo» von Akira Kurosawa, Japan
Von ihm könnte man beinahe jeden Film auf die Insel mitnehmen. Ich habe mich aber für den Samurai Sanjuro Kuwabatake entschieden, mit atemberaubender Lust verkörpert durch Toshiro Mifune. Es geht darin um Rivalitäten in einem Dorf, die sich der Passant zunutze macht, indem er die beiden Parteien genüsslich gegeneinander ausspielt. Es ist in diesem als Komödie angelegten Genrestück ein wenig wie bei einem Tennismatch, nur dass unten nicht Federer und Djokovic aufeinander losgelassen werden. Oben sitzt, das Bild zeigt das, Sanjuro Mifune wie ein Schiedsrichter auf dem Tennishochstuhl, und wir geniessen mit ihm das Spektakel, das Menschen einander bieten, weil sie ja alle meinen, sie seien die Grössten und die Besten.