Es ist eines der wunderbarsten und wohl auch anspruchvollsten Worte der deutschprachigen Dramenliteratur: «Ach!», haucht Alkmene ganz am Schluss des Stücks «Amphitryon». Ein Ausdruck der verblüfften Erkenntnis oder wohl eher der tiefsten Ratlosigkeit, nachdem ihr gewahr wurde, dass sie sich nicht zu ihrem Gatten Amphitryon hingezogen fühlte, sondern zum Göttervater Jupiter, der ihr in Amphitryons Gestalt erschienen ist.
«Amphitryon» ist ein Lustspiel: eine Verwechslungskomödie, ausgelöst durch die Tatsache, dass zwei Götter, Jupiter und Merkur, in die Gestalt des Feldherren Amphitryon und seines Dieners Sosias schlüpfen. Es ist gleichzeitig eine bittere Tragödie des Identitätsverlusts und der Verwirrung der Gefühlswelten.
Verspiegeltes Verwirrspiel
Sophokles hat die Geschichte als erster dramatisiert, gefolgt von Plautus, dessen Fassung von Molière bearbeitet wurde, gefolgt von Heinrich von Kleist, der wiederum Molières Komödie umschrieb. Ein Überschreibungsreigen also ganz im Sinne der vom Theater deklarierten «Basler Dramaturgie», die die Neudichtung alter Texte zum Programm erklärt hat.
Julia Hölscher stellt in ihrer Inszenierung nun die tragische Seite der Gefühlsverwirrungen in den Vordergrund und überlässt den Lustspielpart dem Diener-Doppelspiel zwischen Sosias und Merkur, wobei hier besonders Nicola Mastroberardino als richtiger Sosias sein grosses Talent als Komödiant unter Beweis stellt.
Den eigentlich aktiven Part des Verwirrspiels überlässt sie dabei mehr oder weniger der Bühne (entworfen von Paul Zoller): Sie ist eine rostrote, durch eine Mauer zweigeteilte Ebene, die in einer emsigen Drehbewegung wohl das verwirrende Hin und Her zwischen der Menschen- und Götterebene symbolisieren soll.
Zusätzlich verdeutlicht wird dieses Spiel der Ebenen mit einem grossen Spiegel, der es es erlaubt, die Szenerie gleichzeitig in Frontal- und Vogelschauperspektive zu sehen. Die Götter, die vom Olymp hinuntergestiegen sind, haben den Blick von oben auf die kleinen Menschen nicht verloren.
Passive Protagonisten
Die Figuren, um die sich diese Welten drehen, bleiben indes mehr oder weniger zur szenischen Passivität verdammt. Sie bleiben dadurch voll und ganz auf die Gefühlsebene konzentriert. Alles mündet schliesslich in die ernüchternde Erkenntnis, dass die Menschen am Ende nichts anderes sind als elende Figuren an den Fäden der göttlichen und vor allem auch selbstsüchtigen Figurenspieler.
Das Prinzip, dass sich die Welt um einen herum dreht und man nicht mehr weiss, wo man innerlich steht, ist inhaltlich zwar stimmig und nachvollziehbar. Sie schränkt den Aktionsradius der Figuren aber auch sehr ein. Mit der Zeit stellt sich eine gewisse Eintönigkeit ein, der Spannungsbogen lässt sich nicht durchhalten.
Dieser «Amphitryon» auf der Bühne des Schauspielhauses geht schliesslich im Nebeldunst des formal-akademischen Regiekonzepts unter. Bis kurz vor Schluss Alkmene an die Rampe tritt und eben dieses «Ach!» aus sich haucht.
Die Schauspielerin Pia Händler ist voll konzentriert bei der Sache: Man sieht, man spürt und man glaubt, dass eine Welt in ihr zusammenbricht. Alles in diesem kleinen Moment, in diesem Wort mit nur drei Buchstaben. Hier schwingt sich der eher ernüchternde Theaterabend einmal ganz kurz zu grossen Höhen hinauf.
Theater Basel (Schauspielhaus): «Amphitryon» von Heinrich von Kleist. Weitere Vorstellungen bis Ende Februar.