Afrobeat unterm Vulkan

Mit Samúel Jón Samúelsson und seiner Big Band kündigen sich nach Sigur Rós nun weitere Musiker aus Island im Dreiländereck an. Ihr Sound ist mit Afrobeat und Funk diametral entgegengesetzt zum atmosphärischen Bombast ihrer Kollegen. Ein Interview mit Bandleader Samúel Jón Samúelsson.

Samúel Jón Samúelsson und seine Big Band. (Bild: zVg)

Das grandiose Basler Konzert der isländischen Rockband Sigur Rós ist gerade mal zweieinhalb Wochen her. Mit Samúel Jón Samúelsson und seiner Big Band kündigen sich nun weitere Musiker von der nordischen Vulkaninsel im Dreiländereck an.

Der Sound der Samúel Jón Samúelsson Big Band ist mit Afrobeat und Funk diametral entgegengesetzt zum atmosphärischen Bombast ihrer Kollegen von Sigur Rós, für die sie gleichwohl des öfteren Fanfarentöne beisteuern. Wir haben mit Bandleader und Schlagzeuger Samúel Jón Samúelsson vor dem Konzert im Burghof Lörrach gesprochen.

Herr Samúelsson, wie kommt eine isländische Bigband zum Afrobeat?



Samúelsson: Ich habe Fela Kuti zum ersten Mal in der Musikschule Anfang der Neunziger gehört, damals war es noch richtig schwierig, seine Alben zu finden. In den hypnotischen Sound und die Fusion von Bläserlinien mit afrikanischen Rhythmen habe ich mich verliebt. Mit einer Bigband kommt man um den Einfluss Kutis kaum herum, wenn man funky sein will. Aber wir kopieren seinen Afrobeat nicht, spielen ihn mit unserem eigenen Dreh. Der Afrobeat ist so universell, dass jeder dazu eine Verbindung aufbauen kann, egal, ob man vom Jazz, Funk oder Rock her kommt. Außerdem hat Island eine Sache gemeinsam mit den meisten afrikanischen Nationen: Wir waren die Kolonie einer europäischen Monarchie und sind erst im 20. Jahrhundert unabhängig geworden!


Ihr Album hat einen etwas drastisch klingenden Titel: «Helvitis Fokking Funk» («f…der Höllenfunk»). Was verbirgt sich hinter dieser Benamsung?

Das ist abgeleitet aus dem Protestslogan «Helvítis Fokking Fokk». Wir zollen damit unseren Landsleuten Tribut, die mit Demos nach dem Finanzcrash die Regierung zu Fall gebracht haben, indem sie auf Töpfen und Pfannen trommelnd zum Parlament gezogen sind. Eine Nation als Beatmaschine! Wie sich herausgestellt hat, eine wirksame Waffe.



Eine Nation als Beatmaschine! Wie sich herausgestellt hat, eine wirksame Waffe.



Würden Sie also sagen, Ihre Musik ist tatsächlich die Antwort auf Islands Finanzkrise?



Naja, das hat die Presse so kolportiert. Aber die Big Band steht dafür, dass es mehr Möglichkeiten gibt, Erfüllung in deinem Leben zu finden, als nur an Geld und Arbeit zu denken. Nicht alles muss Profit abwerfen! Großartige Sachen können passieren, wenn Leute mit Vorstellungskraft zusammenkommen und diese teilen. Wenn wir uns treffen, und wir sind immerhin 18 Musiker, dann haben wir zunächst einmal keinerlei Erwartungen, außer etwas Positives auf die Beine zu stellen und Spaß zusammen zu haben.

Und dann kam als netter Begleiteffekt ein Album heraus – auf dem es nicht nur Afrobeat gibt, sondern auch einen Bigband-Sound, der doch irgendwie an die Radio- und TV-Orchester der 60er und 70er erinnert. Gab es diese Tradition auch in Island?



Nein, die gab es nicht. Aber mein Posaunenlehrer hat mich auf Peter Herbolzheimer aufmerksam gemacht, und sein Sound hat mich total angetörnt. Wie auch andere funky Musik für Fernsehserien, etwa Quincy Jones, Lalo Schifrin, Henry Mancini. Und die härtere Variante, P-Funk. Ich liebe George Clinton und Parliament. Fred Wesley war ein riesiger Einfluss, auf mein Spiel und wie ich die Bläser arrangiere.

Eines Ihrer verrücktesten Stücke heißt «Phobos & Deimos», benannt nach den beiden Marsmonden…



Eine Auftragsarbeit für eine Brassband aus Reykjavik. Ich wollte da etwas Neues erfinden für das Repertoire einer Marching Band. Zwei Rhythmen treffen in dem Stück aufeinander und jeder steht für einen der Monde, so, als würde man auf dem Mars stehen und zuschauen, wie die beiden Satelliten herumparadieren. Geschrieben habe ich das Stück in Rio, wo ich drei Monate lebte. Vor meinem Fenster tobte der Karneval, doch ich konnte nicht hin, musste bei geschätzten 50 Grad in meiner Bude sitzen und das Ding fertig schreiben – mit der größten Party der Welt vor meinem Fenster.

Ein ruhiges Stück haben Sie auch im Repertoire, es nennt sich «God bless Iceland». Ironie oder ein aufrichtiger Wunsch?

Keine Ironie, es ist ein Psalm für mein Land und ich zitiere mit dem Titel einen früheren Premierminister, der damit eine Rede schloss, in der er die Übernahme der Banken durch den Staat ankündigte. Ja, ich habe auch diese ruhige Seite in mir, und die kann man zum Beispiel auch auf dem Sigur Rós-Album «Ágætis Byrjun» hören, wo ich im Stück «Ný Batterí» improvisiere. Später waren wir auch mit Sigur Rós auf Tour, spielten auf weiteren Alben und haben an ihrem Film «Heima» mitgewirkt. Die Atmosphäre der langsamen Soundscapes ist mir also wohlvertraut.

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