«Alles ist politisch – auch ein Glas Wasser»

Videokünstler und Regisseur Steve McQueen mag Bücher, Geschichte und schwierige Themen. Im Schaulager kann man von allem etwas sehen.

Steve McQueen während des Aufbaus der Ausstellung im Schaulager. (Bild: Stefan Bohrer)

Videokünstler und Regisseur Steve McQueen mag Bücher, Geschichte und schwierige Themen. Im Schaulager kann man von allem etwas sehen.

Auf seinen grossen Namens­vetter und Hollywood-Ikone will er partout nicht angesprochen werden. Dabei kennt man den 44-jährigen ­Videokünstler Steve McQueen hier­zulande auch vor allem aus dem Kino, mit seinen Filmen «Hunger» und «Shame». Im Gespräch im Vorfeld seiner Ausstellung im Schaulager spricht der gebürtige Londoner aber lieber über seine Kunst.

Ihre Filme kennt man hier besser als Ihre Kunst. Stört Sie das?

Es ist klar, dass man die Filme besser kennt. Sie haben eine viel grössere Reichweite als Kunst. Allerdings mache ich seit 21 Jahren Kunst, Filme erst seit fünf.

Sie haben als Maler angefangen …

Ja, in der Kunsthochschule. Aber sehr bald kam die Entwicklung hin zur Kamera und zum Film. Ich begann mich für Bewegung zu interessieren, und da ist das Medium Film das richtige Mittel.

Das Interesse für Film war nicht schon immer da?

Doch. Jeder interessiert sich doch dafür. Wer nicht? Die wichtigsten Grundinformationen, die wir erhalten, kommen aus dem TV oder aus dem Kino. Das fand ich immer sehr stimulierend, und da wollte ich mitmachen. Das war eine Instinktsache.

Es gibt alles in meinem Werk. Ich nenne es «sehr menschlich».

Erzählen Sie mit Ihren Videos andere Geschichten als im Kino?

Man könnte den Unterschied vergleichen mit dem Lesen von Prosa­literatur und mit der verdichteten Erzählung von Poesie. Poesie ist eher wie ein Duft, Literatur mehr wie Braille-Schrift.

Ist Ihre Kunst also experimentell zu nennen?

Ich weiss nicht, ob experimentell. Aber sicher nicht narrativ. Wenn Sie es aber experimentell nennen wollen – okay. Man kann Film auf so viele unterschiedliche Weisen nutzen, um Geschichten zu erzählen.

Der Raum ist sehr wichtig, wenn Sie Ihre Videos zeigen. Weshalb?

Ich will, dass die Besucher empfindlich auf sich selbst reagieren, während sie die Filme anschauen. Meistens ist man desensibilisiert, wenn man ins Kino geht, mit Popcorn und so. Oder wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzt. Die eigene Präsenz, die Wahrnehmung soll erhöht werden, wenn das Umfeld stimmt.

«Steve McQueen»
Das Schaulager zeigt mit über 20 Installationen die bisher umfassendste Ausstellung des britischen Videokünstlers und Filmemachers Steve McQueen in einer eigens gebauten Kinostadt.Die Ausstellung wird am Freitag, 15. März, eröffnet und dauert bis zum 1. September. Ein Ticket ist für drei Eintritte gültig – damit alle Videofilme auch in voller Länge genossen werden können.
Mehr Infos: www.schaulager.org

Woraus beziehen Sie Ihre Inspiration?

Von überallher. Ich versuche, alles wahrzunehmen, was um mich herum ist. Manchmal dauert es auch Jahre, bevor etwas wieder an die Oberfläche geschwemmt wird und zum Thema wird.

Ihre beiden Kinofilme erzählen von Menschen am Abgrund, andere Werke sind politisch gefärbt. Ist Ihnen das ein spezielles ­Anliegen?

Es gibt alles in meinem Werk. Ich nenne es «sehr menschlich».

Welche Themen werden zu einem Kunstwerk, welche zu einem Film? Gibt es da Unterschiede?

Ich mache keine. Es gibt Themen, die verlangen eine Erzählung, beispielsweise der Irische Hungerstreik von 1981, den ich in «Hunger» verarbeitet habe. Damals hatte ich noch nie einen grossen Film gemacht, doch um diese Geschichte zu erzählen, wurde es notwendig.

Ihr dritter Film ist bereits fertig gedreht – was für eine ­Geschichte erzählt er?

Über diesen Film rede ich nicht.

In Ordnung …

… er heisst «Twelve Years as a Slave». Mehr sage ich nicht.

Klingt wiederum politisch …

… eher historisch. Wobei ja alles ­politisch ist. Sogar Sich-Verlieben. Oder ein Glas Wasser.

Machen Sie inzwischen lieber grosse Filme als Videos?

Nein. Das ist, als würde man fragen: Wen liebst du mehr, deine Mutter oder deinen Vater? Das ist die beste Antwort, die ich darauf geben kann.

Sie wählen keine einfachen ­Themen für Ihre Filme. Ist das Konzept oder Zufall?

Ich mag Themen, die unter den Teppich gekehrt werden: Zehn Männer, die sich in britischen Gefängnis­zellen zu Tode gehungert haben. ­Sexsucht, ein grosses Thema, über das niemand spricht. Für einen ­Filmemacher ist das natürlich sehr interessant. Zu sehen, was passiert, wenn man das unter dem Teppich hervorholt.

«Es geht um ein Gefühl. Um einen Geschmack. Ein Erlebnis.»

Kann man auch in Ihren Videowerken einen roten Faden in der Auswahl der Themen erkennen?

Themen? Nein, es kann eine Blumen­vase sein. Es geht nicht um Themen. Ich will den Leuten damit ja nichts erzählen, es geht dort ums Werk an sich. Van Gogh ist für mich der politischste Künstler, den es je gab. Er fand Schönheit in Dingen, die hässlich scheinen. Mich interessieren keine «Themen». Ich bin keine Zeitung. Es ist Kunst, was auch ­immer das ist.

Bezeichnen Sie sich heute als Künstler oder Filmemacher?

Das ist mir egal. Journalisten wie Sie brauchen diese Unterscheidung. Mir ist es egal, ich mache einfach.

War Ihr Name im Filmgeschäft eigentlich schon eine Hypothek?

Nächste Frage.

Läuft dieses Gespräch nicht nach Ihrem Geschmack?

Nein, nein, ich mag einfach diese Frage nicht.

Gut. Mit Ihren unterschiedlichen Arbeiten adressieren Sie unterschiedliche Publika …

Das ist das Tolle an den grossen Filmen, jeder kann etwas dazu sagen. Mit Zeitgenössischer Kunst ist das anders, sie limitiert stärker, weil man zu einem gewissen Mass nur ein gebildetes Publikum erreicht. Man braucht ein gewisses Wissen, einen gewissen Background. Befreiend am Film ist, dass man Leute aus allen Schichten und Altersgruppen erreicht.

Ist die Hemmschwelle bei Kunst höher?

Das würde ich nicht sagen. Sie ist einfach nicht jedem zugänglich. Ich hatte zum Beispiel grosses Glück: Das Bildungssystem in England legt sehr viel Wert auf Kunst.

Haben Sie sich als Kind schon für Kunst interessiert?

Ich habe immer gezeichnet. Ich hasste die Schule, aber mit Zeichnen gings. Durch die Kunst habe ich ­angefangen, mich für Dinge zu interessieren: für Geschichte zum Beispiel. Auch in der Geografie, in der Sprache ist Kunst wichtig. Meine Noten wurden besser, als ich Dinge über die Kunst zusammenbringen konnte.

Warum haben Sie eigentlich hier im Schaulager die Bibliothek ausgewählt für das Interview?

Es ist so schön ruhig hier, nicht?

Mögen Sie die Atmosphäre von Büchern?

Ich liebe Bücher, ich habe selbst eine riesige Bibliothek. Also ja. Haben Sie auch eine Bibliothek?

Habe ich.

Also fühlen Sie sich hier auch wohl, gut. Wollen wir nochmals zur Frage, wie ich meine Kunst beschreibe, zurück?

Wovon Ihre Kunst handelt?

Ich weiss jedoch gar nicht, ob ich diese Frage beantworten kann. Weil es wohl nicht nur um eine Sache geht. Sondern um ganz viele Dinge.

Formulieren wir um: Muss jemand, der Ihre Kinofilme kennt, erwarten, dass er hier im Schaulager lauter Kurzfassungen davon vorgesetzt bekommt?

Nein. Da muss ich wieder zurückkommen auf den Unterschied zwischen Literatur und Poesie. Dass manches narrativ ist, manches nicht. Es ist wie Musik- oder Radiohören. Dasselbe, aber anders.

Man könnte ja sagen, dass es in Literatur mehr um Erzählung, in der Poesie mehr um die Sprache geht. Trifft es das?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube, Poesie ist auch narrativ. Nur verdichtet. Sprache ist das Medium beider Formen. Sie wird nur anders genutzt. Es ist wie Beckett und Joyce. Beckett fasst sich kurz. Joyce hat diese langen Sätze, die endlos weitergehen. Überdeskriptiv. Es ist wie ­Musik. Musik kann einen Raum ­verwandeln, die Atmosphäre transformieren.

Versuchen Sie, mit Ihren Videoarbeiten den Raum zu erobern?

Ja, das könnte man sagen. Es geht um ein Gefühl. Um einen ­Geschmack. Ein Erlebnis.

«Steve McQueen»
Das Schaulager zeigt mit über 20 Installationen die bisher umfassendste Ausstellung des britischen Videokünstlers und Filmemachers Steve McQueen in einer eigens gebauten Kinostadt.Die Ausstellung wird am Freitag, 15. März, eröffnet und dauert bis zum 1. September. Ein Ticket ist für drei Eintritte gültig – damit alle Videofilme auch in voller Länge genossen werden können.
Mehr Infos: www.schaulager.org

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13

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