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Am Dienstagabend herrschte in der Kleinbasler Kaserne beim Support Act Racoon noch eine normale, gemütliche Feierabendstimmung. Dann kam Wallis Bird. Und die Welt war anders.

Energiebündel und Ausnahmemusikerin: Die irische Folkpop-Sängerin Wallis Bird. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Am Dienstagabend herrschte in der Kleinbasler Kaserne beim Support Act Racoon noch eine normale, gemütliche Feierabendstimmung. Dann kam Wallis Bird. Und die Welt war anders.

Wenn Sie das hier lesen, liebe Leserin, lieber Leser, haben Sie sich die nötige Ruhe, Konzentration und Zeit dafür genommen. Das ist gut für uns, aber zweifelsfrei nicht annähernd die richtige Stimmung, um nachvollziehen zu können, was am Dienstagabend im Rossstall der Kaserne stattfand. Denn Wallis Bird ging mit dem ersten Ton ab wie eine Rakete. Schwierig, diese befeuernde Energie und ungebändigte Lebensfreude in getippte Worte zu fassen. Wir versuchen es trotzdem. Bleiben Sie ruhig.

Ihre perkussiv klingenden Gitarrenpickings spielt die Irin und Wahllondonerin auf einer umgekehrten akustischen Gitarre, also links herum, ohne dass die Stahlsaiten umgespannt wurden (die höchste Saite ist oben). Aus der Not entstand ihre heutige Kür: Als eineinhalbjähriges Kind verlor Bird bei einem Unfall mit einem Rasenmäher beinahe alle Finger der linken Hand. Vier Finger konnten gerettet werden, die Hand blieb – glaubt man den Quellen – beeinträchtigt. So kehrte sie kurzerhand ihre Rechtshänder-Gitarre um. Schock, Schmerz, Kampf, Trotz, Leiden, Ehrgeiz – all das ist in jedem Ton komprimiert.

Dreistimmiger Publikumschor

Birds Gesang und ihr extraordinäres Gitarrenspiel wird unterstützt von den soliden und funky gespielten Schlagzeugbeats von Drummer Christian Vinne, ebensolchen Basslines von Bassist Michael Vinne und vom zweiten Gitarristen Aidan, der auch mal zu Keyboard oder Klarinette greift. Geigerin und Backroundsängerin Aoife O’Sullivan fehlt an diesem Abend.

Bereits beim zweiten Song fordert Bird das Publikum auf, mitzusingen. So früh im Set ist das üblicherweise ein kritisches Unterfangen. Wen kümmerts? Es funktioniert: Die vorwiegend weiblichen Besucher der Kaserne singen, klatschen und stampfen mit, als hätten sie in ihrem Leben nie etwas anderes getan. Sogar dreistimmig singt das Publikum im Chor.

Gesangliche Bandbreite

Die Sängerin und Songwriterin Wallis Bird besitzt diese vereinnahmende, selbstironische Art, gepaart mit einer «ass kicking attitude» und einer sympathischen Spontanität, die sie als Frontfrau unschlagbar macht. Nicht, dass Bird einem Vergleich standhalten muss. Sie ist einzigartig. Die amerikanische Independent-Folk-Ikone Ani DiFranco wäre trotzdem stolz auf sie.

Viele neue Songs des in diesem März veröffentlichten dritten Albums ohne Titel spielt die vor Energie strotzende Truppe. Beim Song «Ghosts of memories» zeigt Bird ihre komplette gesangliche Bandbreite: Von feinen, gehauchten über kratzige, heissere, ausgehaltene Töne bis hin zu schreiartigen Ausbrüchen legt sie alles in die Waagschale. Bis zum Bersten spannt sie Stimmbänder und Saiten. Eine der letzeren reisst dann gegen Ende des Auftritts.

Bird springt und hüpft auf der Bühne herum, lässt ihre Gitarre durch die Luft tanzen und ihre Finger über die Saiten schnellen. Und: die Klänge werden – trotz der wirbelwindartigen Bewegungen von Bird – in das perfekte, wogende Tempo gegossen. Das klingt nicht nur grossartig, das ist wohl das Beste, was man hier in Basel seit 2009 (da war Bird das letzte Mal in Basel) zu hören und zu sehen bekam!

Gedreschte Energie

Für das Publikum an einem gewöhnlichen Dienstagabend ist es fast ein bisschen viel, was da geboten wird. Bird, die an der Pop-Akademie in Mannheim Songwriting studiert hat, fragt in die Runde: «Alles brilliant oder scheisse heute?» Mit einem oder zwei Bier betäubt geht es einigermassen. Damit man nicht vollends paralysiert im Raum steht ob so viel Energie und Power, die einem da entgegen gedroschen werden.

Nicht zu stoppen sind Wallis Bird und ihre Begleiter auch mit den Zugaben: es gibt deren mehrere, Bird macht einen fliegenden Wechsel mit Schlagzeuger Christian Vinne, ohne den Beat zu unterbrechen, Vinne präsentiert unterdessen seine Beatbox-Künste zusammen mit dem A-Cappella-Gesang der ganzen Gruppe. Die Hochspannung, mit der Bird und ihre Kumpanen ins Set eingestiegen sind, konnten sie bis am Schluss locker halten. Ihre gemütliche Stimmung ist verflogen? Bird sei Dank!

 

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