Aloys ist eigen. Der Zürcher Privatdetektiv mit österreichischen Wurzeln lebt in der Wohnung seines kürzlich verstorbenen Vaters, dessen Heimorgel in der Ecke anstaubt. Der Städter observiert professionell Menschen und schaut sich die Kameraaufnahmen zu Hause an wie Tierdokumentationen. Aloys ist einsam und damit nicht allein.
Eines Tages erwacht der Privatdetektiv auf dem Busbahnhof, um etliche Videobänder erleichtert. Eine Frauenstimme am Telefon fordert ihn zu einem Experiment auf: Der Detektiv soll seine Gedanken wandern lassen und so seine geheimnisvolle Erpresserin finden – andernfalls spielt sie die Aufnahmen den Betroffenen zu. Aloys presst seinen Kopf also wie geheissen gegen eine Wand und findet sich – schwups – in einem zauberhaft gschpässigen Wald und einer ebensolchen Geschichte wieder.
Mit seinem ersten Langfilm«Aloys» fühlt Tobias Nölle dem Schweizer Isolationismus auf den Zahn, das Debüt gewann an der Berlinale 2016 den Preis des Verbands internationaler Filmkritiker. Wir haben den Regisseur gesprochen – selbstverständlich am Telefon.
Herr Nölle, auf Ihrer alten Website deklarieren Sie einen Langfilm als Ihr Ziel und einen guten Film als Ihren Traum. Mit «Aloys» haben Sie beides erreicht. Wie sind Sie selbst mit dem Ergebnis zufrieden?
Ui, die Website ist wirklich uralt, und es hat auch lange gedauert bis zum ersten Langfilm. Was «Aloys» betrifft: Ganz zufrieden ist man ja nie, im Nachhinein würde ich vieles anders machen. Aber man lernt immer dazu und versucht, das Beste darin zu sehen. Der Film hat an der Berlinale doch einige Zuschauer berührt, das hat mich mit vielem versöhnt. Mir persönlich gefällt die schauspielerische Leistung am besten – und dann auch einzelne Momente, manchmal nur ein Bild.
Unlängst war der Schweizer Katastrophenfilm «Heimatland» in den Kinos zu sehen, an dem Sie ebenfalls beteiligt waren. Hat sich die Arbeit an dem Episodenfilm sehr unterschieden von der Arbeit an «Aloys»?
Das kann man gar nicht vergleichen. Bei «Heimatland» hatten wir nur wenig Zeit für unsere Episoden, jeder musste Kompromisse eingehen. Beim eigenen Film kann man genauer arbeiten, das geht von der Farbe der Tapeten bis zu den Schnürsenkeln, alles hat seinen Grund in der Psychologie der Figuren. Allerdings ist dieser Unterschied nicht wertend gemeint, «Heimatland» hat mir durch die schnellere Arbeitsweise auch viele Türen geöffnet. Ausserdem ist die Auswertung eines Gemeinschaftsfilms viel angenehmer, die Verantwortung trägt man zu zehnt. Für «Aloys» muss ich allein geradestehen, das bereitet manchmal auch Bauchschmerzen.
«Oft weiss ich nicht, ob solche Ideen überhaupt filmisch umsetzbar sind.»
Wie sind Sie auf die Geschichte von «Aloys» gekommen?
Dramaturgisch bin ich eher blauäugig vorgegangen, das war für mich mehr wie malen. Ich habe versucht, eine Stimmung zwischen Traum und Realität zu erzeugen, auch wenn es zu Beginn dieses thrillerhafte Element gibt: Da ist einerseits die Figur des Detektivs, der die Welt nur durch seine Kamera wahrnimmt, andererseits das Element der Reise, die er mittels Telefon antritt. Oft weiss ich nicht, ob solche Ideen überhaupt filmisch umsetzbar sind. Das ist zwar anstrengend, spornt mich aber mehr an als eine Geschichte, die ich genauso gut als Buch schreiben könnte.
Gibt es denn eine Komplizenschaft zwischen dem Beobachter Aloys und Ihnen?
Selbstverständlich gibt es Parallelen. Aloys filmt, ich auch. Filmemachen ist ein Beruf, bei dem man aufpassen muss, dass man zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann. Man verbringt sehr viel Zeit in seinen eigenen Geschichten. Und als Bewohner eines teils sehr konservativen Landes, das sich gegen Veränderungen abschottet, erkenne ich mich ein Stück weit in Aloys wieder. Er ist sehr schweizerisch.
Umso überraschender ist bei diesem Schweizer Thema dann, dass die Hauptfigur mit einem Wiener Akzent spricht…
Den österreichischen Akzent fand ich deshalb gut, weil er die Figur innerhalb der Schweiz noch mehr isoliert. Ausserdem passt die Sprache perfekt zu dem verstaubten bürokratischen Umfeld. Aber vor allem ist Georg Friedrichfür mich einer der ganz Grossen. Er hat diese Aura, diesen unglaublichen Instinkt beim Spielen und diese extrem cinematische Physiognomie. Für mich ist er magisch. Das findet man bei Schweizer Schauspielern dieser Altersklasse selten.
Telefoniert wird zwar auch mit Handys, trotzdem scheint die Technologie insgesamt veraltet. Was steckt hinter diesem Entscheid?
Ich fand es spannend, eine Figur zu zeigen, die in der konservativen Welt des Vaters gefangen ist. Aloys muss nicht nur seine Einsamkeit überwinden, sondern den Sprung in die Gegenwart schaffen. Natürlich lässt sich der Film auch im Hinblick auf die soziale Entfremdung lesen, die sich über die digitalen Medien abspielt. Aber ich wollte das nicht plakativ thematisieren, denn dieses Problem besteht seit der Erfindung des Telefons: Wir müssen uns nicht mehr in die Augen sehen, um miteinander zu sprechen. Und ausserdem filme ich nicht gerne Handys und Laptops ab. Die werden in zehn Jahren sowieso total antik sein.
«Der Detektiv muss sein eigenes Problem lösen, er wird sozusagen zu seinem letzten Fall.»
Manchmal fühlte ich mich an den Siebzigerjahre-Thriller «The Conversation» von Francis Ford Coppola erinnert, in dem Gene Hackman einen Abhörspezialisten spielt…
Ja, das ist ein Seelenbruder oder -vater von Aloys. Da gibt es eine ganz klare Verbindung, auch wenn mein Film ohne Mordfall auskommt. Ich fand es spannend, einen Detektivfilm zu drehen, bei dem es nicht um einen Fall geht, sondern um den Detektiv selbst: Er muss sein eigenes Problem lösen und wird sozusagen zu seinem letzten Fall. Das Seltsame daran ist, dass ich «The Conversation» komplett vergessen hatte und die Gemeinsamkeiten erst beim Schreiben entdeckte. Dieses Wiederentdecken war ein tolles Erlebnis, weil sich die Parallelen zu meinem eigenen Film unbewusst ergeben haben. Und eigentlich ist die Paranoia der Nixon-Ära ja heute noch aktuell.
«Aloys» läuft ab Donnerstag in den Basler Kinos.