Anlässlich der Eröffnung des Basler «Bimbotown» 1994 gaben sich die Queens der New Yorker «Ballroom»-Szene auch auf einem hiesigen Laufsteg die Ehre: Eine Fotoausstellung im Plattfon erinnert nun an den Basler Besuch dieser New Yorker «Ballköniginnen» der etwas anderen Art.
Die kreativste Schöpfung der «Vogue»? Die hatte das gleichnamigen Magazin höchstens indirekt zu verantworten. Denn während die New Yorker Zeitschrift zu Beginn der 90er Jahre den Glamour der Supermodels abfeierte, existierte in der gleichen Stadt eine zwar von der Modebibel inspirierte, aber einiges untergründigere Szene: «Vogueing» oder «Voguing» nannte man, was vor zwanzig Jahren eine der spannendsten Subkulturen der USA zelebrierte: Nämlich einen erbitterten Konkurrenzkampf, geführt in so genannten «Battles», um die bessere Pose. Teilnehmer waren vorwiegend schwarze und lateinamerikanische Schwule, Transsexuelle oder Transgender-Personen, die sich in sogenannten «Houses», also Crews zusammen schlossen, welche gleichzeitig den oft von der Familie verstossenen Mitgliedern eine neue Heimat boten.
Obwohl die «House Ballroom Scene» damals grossen Einfluss auf die Schwulen- und auf Umwegen auch auf die Disco-, House- und Modeszene New Yorks hatte, drang sie einer breiteren Öffentlichkeit höchstens durch Madonnas Hit «Vogue» sowie der mehrfach ausgezeichneten Dokumentation «Paris is Burning» ins Bewusstsein. Erst zwei Jahrzehnte später entdeckt eine breitere Öffentlichkeit die kreative Sprengkraft jener Subkultur, die dem weissen Modediktat und der homophoben Hip-Hop-Bewegung ihre eigene Interpretation von Catwalk und Breakdance gegenüberstellt.
Wiederentdeckung versunkener Schätze
Während das diesjährige Art-Zappening ganz im Zeichen von «Paris is Burning» stand, und eine soeben erschienene, bildgewaltige Anthologie an die New Yorker Ballroom-Szene erinnert, stellt das Basler Plattenladen-Buchhandlungs-Hybrid «Plattfon Stampa» zurzeit einen völlig vergessenen, aber umso reizvolleren Basler Bezug zum Phänomen «Vogueing» her.
Denn was die wenigsten wissen: Im Juni 1993 und April 1994 liess Klaus Littmann zunächst für die Eröffnung seiner Ausstellung, dann für die zweite Eröffnung seines legendären «Bimbotown»-Clubs im Basler Totentanz die Koryphäen der New Yorker «Ballroom»-Szene einfliegen. Es muss eine kultverdächtige Show gewesen sein, als die männlichen Diven in der Manier damaliger Topmodels über den Basler Laufsteg schritten. Eine «unglaubliche Ausstrahlung und Eleganz» hätten die «Queens» gehabt, erinnert sich der Basler Fotograf Andy Pal, der damals mit seinem Kollegen Alex Gloor die Ballköniginnen unter anderem während der Anproben in der Galerie Littmann auf Zelluloid bannte: «Und dies, obwohl sie trotz aller Exzentrik auf der Bühne im privaten Umgang unglaublich herzlich, sympathisch und bodenständig waren.»
«Wir in Basel wussten vielleicht was Voguen ist, weil wir gerade das neuste Madonna-Video gesehen haben», schreibt Andy Pal im Begleittext zur Ausstellung rückblickend: «Aber diese drei waren wie von einem anderen Planeten. Das Vernissagen-Publikum bildete einen Kreis um sie wie für einen Ringkampf. Aus Angst, vielleicht von einem Bein oder Arm getroffen zu werden, oder aus Erstaunen über die Grazie der Tänzer, die Kleider von Sasa tragen, dem Prattelner, der jetzt auch in New York lebt. Die Kleider sind irgendwie undefinierbar – eigentlich sieht alles wie aus dem Brocki, ist aber neu geschneidert. Eben so undefinierbar sind diese Tänzer. Latinos? Schwarze? Schwul? Hetero? Alex lässt die Lautsprecher donnern und ich versuche mit der Kamera diesen seltsamen Moment fest zu halten…»
Legendäre Koryphäen der «Vogueing»-Szene bei ihrem Besuch in Basel. (Bild: zvg)
Unschätzbare Zeitdokumente auf Zelluloid
Die in diesem Moment entstandenen Zeitdokumente, die mittels einem hoch auflösenden Schwarzweissfilm (Kodak 5054 TMZ) sowie einer Nikon F3 geschossen wurden und trotz allem analogen Charme heutigen Masstäben von Qualität und Auflösung in nichts nachstehen, hat Andy Pal nun aus seinem Archiv ausgegraben und in der Ausstellung «Drastic Extremities» im «Plattfon» einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht: Grossformatige Fotografien, die in ihrer widerständigen Eleganz faszinieren und bezaubern, und einen eindrücklichen Einblick in diese soeben erst wieder entdeckte, versunkene Subkultur bieten, deren Protagonisten fast ausnahmslos allzu früh von der Seuche AIDS dahin gerafft wurden. Gleichzeitig beschwören die Bilder eine einzigartige Erinnerung an eine vergangene Blütephase des Basler Nachtlebens hoch, von deren subversivem Glamour und schamloser Opulenz viele Lokale heute nur noch träumen können.
Plattfon Stampa, Basel. Feldbergstrasse 48. Zu sehen noch bis 12. August 2012, jeweils zu Ladenöffnungszeiten: Dienstag-Freitag 12-20 Uhr, Samstag 12-18 Uhr.