«Als mich Marcelino über Rio geflogen hat, hab ich geweint»

Als Modefotograf knipste er Models wie Grace Jones und Veruschka. Entsetzt vom Elend in Brasilien gründete er die Stiftung «Kinder in Brasilien» und ermöglichte mehr als 20’000 Kindern eine Bildung. Im Herzen ist der Basler Onorio Mansutti ein Brasilianer. Im Porträt erinnert er sich ans erste Kind, dem er half.

Das weisse Hemd als Markenzeichen: Onorio Mansutti. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Fasziniert von schönen Frauen wurde er Modefotograf und knipste Models wie Grace Jones und Veruschka. Entsetzt vom Elend gründete er die Stiftung «Kinder in Brasilien» und ermöglichte mehr als 20’000 Kindern eine Bildung. Mit dem von ihm gegründeten Kulturzentrum Brasilea hat er nichts mehr zu tun. Doch im Herzen ist der Basler Onorio Mansutti, der als Beizer von Kneipen wie dem Atlantis Unsummen verlor, Brasilianer.

Es war ein Sonntag im Juni 1970, als Brasilien mit einem 4:1-Sieg über Italien Weltmeister wurde und sich Onorio Mansutti verliebte. In den schönen Fussball, die Lebensfreude, die Musik und die Frauen. «Da bin ich im Herzen vom Italiener zum Brasilianer konvertiert», sagt Mansutti (75), dessen Vater einst zu Fuss von Italien nach Allschwil lief. Und der schon als Jugendlicher nur eines wollte: einmal nach Rio de Janeiro reisen.

Wenige Monate später der erste Flug nach Brasilien. Fotografieren für Designerin Nina Ricci, Triumph und Peter Stuyvesant-Zigaretten. Mansutti war ein gefragter Modefotograf, doch dazu später mehr. Am 10. März 1974 dann der Abend, von dem Mansutti so oft erzählt hat, wie man erzählt von Momenten, die Leben verändern. Mit den Freunden Otto und Hilde Engel sass er in einem Lokal in Rio de Janeiros Stadtteil Ipanema. Während die drei einen Caipirinha nach dem anderen kippten und Unmengen an Fleisch assen, suchten draussen Kinder im Müll nach Essen. Da beschloss Mansutti zu helfen. «Wenn man genug verdient und jemandem mit wenig viel helfen kann, sollte man das machen», sagt er.

«Ich wollte die schönen Frauen fotografieren»

Onorio Mansutti wurde in Allschwil als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Zu viert lebte die Familie in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Nach der Lehre als Schriftsetzer beim Birkhäuser Verlag beschloss er, Modefotograf zu werden. «Ich war fasziniert von schönen Frauen und wollte sie fotografieren», sagt er, weisse Kleidung, die langen dunklen Haare mittlerweile kurz und grau, in seinem Loft mit meterlanger Fensterfront über dem Kulturzentrum Brasilea im Basler Hafen.

Das Fotografieren brachte er sich selbst bei. Er spielte mit Unschärfe, belichtete mal zu wenig, mal zu viel, hauchte die Linsen an. Weil dies nicht gefragt war, musste er als Kellner, Bauarbeiter und Bademeister jobben. «Es dauerte etwas, bis die Leute verstanden, dass diese unorthodoxe Fotografie gut ist», sagt er.

«Wenn man genug verdient und jemandem mit wenig viel helfen kann, sollte man das machen.»

Dann wurde er entdeckt. Fotografierte für Elle, Harper’s Bazaar, Vogue und Playboy. Hatte Models wie Veruschka, Twiggy, Grace Jones und Jessica Lange vor der Linse. Arbeitete viele Jahre für den Spengler-Katalog, Batida de Coco und einen Kalender der Roche. Nur für den Chemieriesen durfte er 20 Jahre um die Welt fliegen. Thailand, USA, Norwegen. «Ich konnte hin, wo ich wollte, es war alles bezahlt. Das war mein Lieblingsauftrag», sagt er. Bis ein neuer Verantwortlicher fand, dass er zu alt sei. Zu wenig dran an den jungen Leuten und den Trends.

Jetset-Leben und Beizen-Pleiten

In den 1960er-Jahren lebte der Starfotograf selbst wie ein Star. «Die Zeit der Beatles war meine grosse Zeit», erinnert er sich. «Das lustige, freie Leben. Rock’n Roll.» Gekifft habe er nie, dafür viel getrunken. Wie an dem Abend in der Zürcher Kronenhalle, als er im Suff einen Bentley kaufte. Heute fährt er Kleinwagen. Sein Luxus sei es nun, keine Statussymbole mehr zu haben, sagt er.

Mitschuld an dieser Einstellung ist auch eine ehemalige Leidenschaft. Drei Beizen führte Mansutti, den Birseckerhof, den Gundeldingerhof und das berühmte Atlantis, in dem Grace Jones an einem wilden Abend den Piaf-Klassiker «La vie en Rose» sang. Er verlor Unsummen an Geld. Er habe die falschen Leute um sich gehabt und bei den Abrechnungen nicht aufgepasst, sagt er. Ob ihn das ärgert? «Nein, wieso? Ich war nie hinter dem Geld her.» Nur dann, wenn er den Kindern helfen wollte.

«Die Zeit der Beatles war meine grosse Zeit.»

Das erste dieser Kinder war Marcelino. Nach dem Abend in dem Restaurant hatte Hilde Engel den Kontakt zu dessen Familie hergestellt und Mansutti übernahm die Kosten für Marcelinos Schulbildung. Um noch mehr mittellosen Kindern zu helfen, überzeugte er Freunde und Bekannte von einer Spende. So entwickelte sich langsam die Stiftung «Kinder in Brasilien», die 1988 offiziell gegründet wurde.

Mansutti konnte Stars wie Pelé, Boris Becker und Ronaldo als Werbeträger gewinnen. Mehr als 20’000 Kinder hat «Kinder in Brasilien» auf deren Weg zum Notar oder Popstar unterstützt. Marcelino, das erste Kind, ist Flugkapitän geworden. «Als er mich 1990 über Rio geflogen hat, hab ich geweint», sagt Mansutti. Der Kontakt ist nie abgerissen.

Der Fotograf sorgte für weitere Einnahmequellen. Seit 1984 veranstaltet er jedes Jahr im August das Klosterbergfest. Berühmt sind auch die alljährlichen Benefiz-Versteigerungen im Atlantis, noch berühmter die zahlreichen Anekdoten. Ein Käufer bezahlte ein 10’000-Franken-Bild mit einem Scheck über 100’000 Franken. Ein anderer ersteigerte ein Tinguely-Bild für 13’000 Franken und gab es Mansutti anschliessend zurück.

Millionenerbe ermöglicht neues Kulturhaus

Geld für neue Projekte brachte das Erbe des nach Brasilien ausgewanderten und 2002 gestorbenen Basler Kaufmanns Walter Wüthrich: rund 50 Millionen Franken. Auf Wüthrichs Wunsch gründete Mansutti eine weitere Stiftung in Brasilien sowie einen Ort in Basel, um die Kunst des Verstorbenen auszustellen, das 2003 eröffnete Kulturhaus Brasilea mitsamt gleichnamiger Stiftung.

Mansutti wohnt zwar über dem grün gestrichenen Kulturhaus, hat mit Brasilea aber seit einigen Jahren nichts mehr zu tun. Man war sich uneins über die Führung, und als man ihn zu einer Art «Ehrenpräsident» habe degradieren wollen, sei er einfach gegangen, sagt er. Im Kulturhaus ist vom 12. Juni bis 13. Juli neben der Ausstellung «Ordem e Oaixao» die Schau «Pelé – König des Fussballs» zu sehen. Am 22. Juni feiert das Brasilea den Jubiläumstag mit Workshops, Führungen und T-Shirt-Druck für Kinder.

Mansutti geht dann mit seinem Hund spazieren, entspannt sich im Ferienhäuschen im Elsass oder guckt Filme von Chaplin, Tati, Hitchcock. Mit dem modernen Popcornkino kann er nichts anfangen. Dafür aber mit Fussball. Trotzdem hat er sämtliche Einladungen zur WM ausgeschlagen. Mansutti ist kein Befürworter des Massenspektakels. Mit der WM und den Olympischen Spielen 2016 bereicherten sich wenige auf Kosten der Bevölkerung, sagt er. Der Bevölkerung, die ihm so am Herzen liegt und für die er weiter Geld sammelt.

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