Am Schluss zerreisst sie die Saiten einzeln

Kein Fall für die Rente: Patti Smith begeistert auch mit 68 noch immer mit kämpferischen Tönen und ihrer alterslosen Präsenz und Energie.

Patti Smith und Lenny Kaye, seit 40 Jahren beneidenswert fokussiert, konsequent und kraftvoll auf der Bühne.

(Bild: Juri Junkov)

Kein Fall für die Rente: Patti Smith begeistert auch mit 68 Jahren noch immer mit kämpferischen Tönen und ihrer herausragenden Präsenz und Energie.

Die einprägsame Zeile «Jesus died for somebody’s sins but not mine» hallt noch immer in unseren Ohren nach, als Patti Smith sich in ihr erstes Lied reinsteigert und auf den Boden spuckt. Amen. 40 Jahre nach der Veröffentlichung von «Horses» ist die vielgerühmte Patin des Punk gekommen, um ihr Debütalbum noch einmal komplett auf die Bühne zu bringen. Und um ihre Spucke später, so anständig ist sie eben doch, selber wieder aufzuwischen. 

«Gloria», ursprünglich aus der Feder von Van Morrison, bildet den Auftakt, und die Besucher im ausverkauften Lörracher Burghof erfahren rasch, dass hier keine Revue aus kommerziellen Interessen geboten wird. Smith geht es um die Sache: Um Lyrik, um Texte, um Songs, um Haltung. All diese Eigenschaften vereint die 68-Jährige noch immer mit einer Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit, wie man sie leider nur selten erfährt. 

Denn «Horses» steht für ein Debütalbum, auf dem die US-Amerikanerin ihre Poesie mit der Energie und Ausdruckskraft des Rock ’n‘ Roll vereint hat und dabei eine Attitüde in die Siebzigerjahre überführte, die sie damals selbst vermisste. 

Poesie, die fesselt

Idole wie Hendrix, Morrison und Joplin waren gestorben, die Gegenbewegung den Drogen verfallen oder der Verlockung des Geldes. Der Idealismus schien in ihren Augen auf der Strecke zu bleiben, das System behielt die Oberhand. Patti Smith hielt seit Beginn ihrer Karriere dagegen, blieb sich treu und manifestiert dies im Jahr 2015 auf eindrückliche Art und Weise.

Denn «Horses» schwächelt auf Platte – es ist nicht ihr stärkstes Werk. Auf der Bühne aber lädt sie die Songs mit einer Energie auf, die mitreissend ist, mit einer Poesie, die fesselt. In «Birdland» setzt sie sich die Lesebrille auf, ganz Dichterin, ehe sie die Stimme mit ihrem fantastischen Vibrato zum 6/8-Takt mitschwingen lässt. 

    

Ihr Anspruch auf Worttreue geht so weit, dass sie später um Entschuldigung bittet, als ihr eine Zeile entfällt und sie gar ein Lied zum Abbruch zwingt – wars treffenderweise «Break it up»? Egal. Sie lacht verlegen, wie ein junges Mädchen, führt dabei eine Sensibilität und Selbstironie vor («I always fuck up, that’s how I make a living»), die ihr Wesen ebenso ausmachen wie ihre schiere Kraft und Präsenz. Denn Smith tanzt, sie schreit in den folgenden 90 Minuten, verlangt Intensität von sich und dem ganzen Saal. Und will das Publikum sehen, bittet zweimal um mehr Saallicht. Nicht so hell, dass es den zugedröhnten Leuten unangenehm sein könnte, wie sie sinnbildlich sagt. Aber doch ein bisschen mehr Licht, «denn ich könnte ja einen Kerl finden», sagt sie schelmisch. Und schiebt nach: «Oder ein Mädchen.»  

Hommage an die Vorbilder

Auch mit den Zugabeblöcken, in denen Smith auf spätere Songs aus ihrer Karriere zurückgreift, bestätigt sie die Bedeutung, die ihr musikhistorisch gegeben werden muss: Als wichtiges Bindeglied zwischen Hippies und Punks, die durch ihre Symbiose aus Poesie, Kunst und Rock ’n‘ Roll zeitlos bedeutsam ist wie nur wenige US-amerikanische Songwriterinnen. Dabei würdigt sie, und auch diese Bescheidenheit steht für Grandezza, eigene Vorbilder wie den Poeten Jim Morrison (Doors) und den feurigen Jimi Hendrix. In «Elegie» erwähnt sie New Yorker Musiker, die vor ihr gegangen sind, von ihren Lebenspartnern Allen Lanier (Blue Öyster Cult) und Fred Smith über die kompletten Ramones bis Lou Reed. An Velvet Underground, deren John Cale ihr Debütalbum 1975 produziert hatte, wird gar mit einem Medley erinnert. Lenny Kaye, seit mehr als 40 Jahren Smiths treuer Begleiter an der Gitarre, kündigt den Block mit den träfen Worten an: «Wir sind aus New York City. Und wenn wir New York City sagen, meinen wir auch The Velvet Underground.»

Smith überlässt ihrer wunderbar aufspielenden Band kurz die Bühne, für diesen Tribut, der zwar mitunter gesangliche Schwächen aufweist (aus guten Gründen hält sich Lenny Kaye ansonsten gesanglich zurück), aber es geht hier um das Signal, um die Ehrerbietung, um die Herkunft. Ebenso verzeiht man ihr, dass sie ihre vier Mitmusiker nur als «My Band» und nicht namentlich vorstellt: Nebst Kaye wird sie von Jay Dee Daugherty (Schlagzeug), Jack Petruzzelli (Bass, Gitarre, Flügel) und dem musikalisch versiertesten Mann auf der Bühne, Tony Shanahan (Flügel, Bass, Gitarre) begleitet.

Kleine Wermutstropfen

Und, ja, man mag ein bisschen bedauern, dass sie «Horses» aufführt, aber zwischen den Songs kaum Anekdoten aus dieser Zeit zum Besten gibt (es sei daher auf ihre wunderbare Autobiografie «Just Kids» verwiesen), und dass sie am Ende auf ihre Hits «Because The Night» und «Dancing Barefoot» verzichtet. An ihrer Stelle stimmt sie einzig den auf Stadionrock getrimmten Song «People Have The Power» an, kämpferisch reckt sie dabei die Faust in die Luft, ehe sie mit dem Who-Cover «My Generation» nicht minder inbrünstig abschliesst, die Saiten von der Gitarre zerrt und ins Publikum lacht. Wir hätten ihr auch ohne dieses Mätzchen abgenommen, dass sie den Glauben an die Musik als revolutionäre Kraft nicht verloren hat.

Denn Patti Smith mag zwar Feuer und Wasser spucken. Aber sie ist kein Drache, sondern eine Schamanin, eine Kämpferin, voller Ideale und Energie. Was noch lange nach diesen 90 Minuten Wirkung zeigt. Grossartig.

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Patti Smith gastiert am 17. Juli in der Fondation Beyeler in Riehen. Der «intimate evening of words and music» ist ausverkauft, allerdings seien «wenige Restkarten an der Abendkasse erhältlich.» 

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