Regisseurin Anina Jendreyko erinnert sich an ihr Gastspiel im Irak und wünscht sich für 2016 mehr Grosszügigkeit, Demokratie und mehr aktive Solidarität mit Kurdistan.
Was war Ihr kulturelles Highlight 2015?
Das Gastspiel von Selam Habibi in der Stadt Dohuk im Irak. Mit 23 Leuten waren wir Anfang April in Südkurdistan (Nordirak) und haben dort gespielt – eine Erfahrung, die keiner von uns, noch jene, denen wir begegneten (in Dohuk, in Diyarbakir und im Flüchtlingscamp Domiz), vergessen werden – wir kamen alle anders zurück.
Der kulturelle Tiefpunkt 2015?
Das Einstellen unserer Proben zum Stück «Don Kisot» in Amed/Diyarbakir. Ich sollte dort am Stadttheater Amed/Diyarbakir den Don Quijote auf kurdisch spielen. Wir mussten die Arbeit aufgrund der aggressiven Politik des türkischen Staates gegen die Zivilbevölkerung unterbrechen – die kurdischen Gebiete befinden sich seit dem Spätsommer in einem kriegsähnlichen Zustand. Ein weitere Tiefpunkt war für mich die Haltung des Theaterregisseurs Alvis Hermanis‘, der seine Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater Hamburg gekündet hat, weil sie ihr Theaterhaus Flüchtlingen als Wohnort zur Verfügung stellen und sich für sie einsetzen.
Der albernste Trend?
Ich kümmere mich nicht um Trends – der ganze Konsumwahnsinn, das Gehype von irgendwelchen Dingen, die Schnelllebigkeit interessiert mich nicht.
«Ich vermisse die aktive und breite Solidarität mit Kurdistan, wo unglaubliche und unmenschliche Zustände herrschen.»
Was haben Sie verpasst?
Es mal etwas ruhiger angehen zu lassen, da sind so viele Dinge, die mich bewegen.
Haben Sie etwas vermisst?
Ich vermisse die aktive und breite Solidarität mit Kurdistan, wo unglaubliche und unmenschliche Zustände herrschen. Weit über 20 Millionen Menschen leben dort, die eine reale zivildemokratische Alternative und Hoffnung für die ganze Region des Nahen Ostens bieten, eine Bewegung die zu über 50 Prozent von Frauen getragen wird. Derweil wird Erdogans Regierung – eine sich mehr und mehr etablierende Diktatur, von der alle wissen, dass sie den IS aktiv unterstützt – von den europäischen Ländern gefördert und unterstützt und alle schauen zu.
Hat Sie etwas positiv überrascht?
Die grosse Offenheit und Herzenswärme meines 18-jährigen Sohnes. Kulturell: Das neue Ensemble des Theater Basel – ein Vergnügen – endlich wieder gutes Theater!
Ihr grösster Fehler im 2015?
Mhhh Fehler…? ich mach doch keine Feler …
Ihr Jahr in einem Lied zusammengefasst?
«To yelasto paidi» von Theodorakis Farantouri
Ich fand diesen Song dieses Jahr auf YouTube – er hat nichts an Aktualität verloren, vor allem in Zeiten wo Rechtspopulismus und Faschismus in ganz Europa zunehmen.
Ihr YouTube-Video des Jahres?
«Europe is Kaput. Long live Europe!» – eine Sendung mit Slavoj Žižek, Yanis Varoufakis und Julian Assange:
Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben – und hat es sich gelohnt?
Für das Zoom-Objektiv meiner Fotokamera – gelohnt hat sich das auf alle Fälle!
Worauf freuen Sie sich im 2016?
Auf die Premiere und die Aufführungen von A&X, unserem neuen Stück – nach dem gleichnamigen Roman von John Berger. Ich freue mich sehr auf den Moment, wenn wir mit dem Stück in den unmittelbaren Austausch zum Publikum treten. Ab 9. Januar in der Druckereihalle im Ackermannshof.
Was wären Ihre Wünsche an Basel fürs kommende Jahr?
Demokratie nicht als Selbstbedienungsladen zu verstehen, sondern zu begreifen, dass sie eine existenzielle Lebenseinstellung eines jeden in unserer Gesellschaft Lebenden beinhaltet. Über die eigenen Grenzen hinauszudenken – und grosszügiger zu werden – das wünsche ich mir von uns allen!