Arbeiten über Arbeiter ohne Arbeit

Adrian Melis macht gerne auf politische Missstände aufmerksam – erst in seinem Heimatland Kuba, jetzt in seiner Wahlheimat Spanien. Die Kunsthalle Basel zeigt einen Überblick über seine Werke.

Aktienkurs gefällig? Je nachdem leuchten die Hocker rot, blau oder grün. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Adrian Melis macht gerne auf politische Missstände aufmerksam – erst in seinem Heimatland Kuba, jetzt in seiner Wahlheimat Spanien. Die Kunsthalle Basel zeigt einen Überblick über seine Werke.

Der hinterste Raum im Erdgeschoss der Basler Kunsthalle ist fast gänzlich leer. Nur in der hintersten Ecke steht ein Schreibtisch, davor ein Stuhl, darauf ein Telefon. Doch dazu kommen wir später.

Einen Tag vor Eröffnung der Ausstellung liegen am Boden noch Abdeckplanen und stehen Farbkessel herum. Diese werden wenige Stunden vor der Vernissage noch zum Einsatz kommen. Dann wird sich Adrian Melis allein in der Kunsthalle einschliessen lassen und ganz im Geheimen etwas an die Wand schreiben – nur um es gleich im Anschluss wieder zu übermalen. Bloss ein Foto wird beweisen, dass hier je etwas gestanden hat.

Kunsthalle Basel, bis 26. Mai. Vernissage Samstag, 23. März, 19 Uhr.

Dieses Foto jedoch wird bis ins Jahr 2023 niemand zu sehen bekommen. Bis dahin will Melis die Aktion in anderen Museen und Kunsthäusern wiederholen und dann in einer Ausstellung die Resultate zeigen.

Systematische Missstände

Inspiriert dazu haben den Kubaner die Slogans, die seit der Wirtschaftskrise Häuser und Wände in Spanien zieren. Ziemlich schnell werden diese meist regierungskritischen Parolen, die etwa den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy als Sklaven Angela Merkels bezeichnen oder die Rückkehr Francos als Banker verkünden, übermalt. Adrian Melis wohnt seit zwei Jahren in Barcelona. Dort hat er Slogans, die ihm auffielen, aufgeschrieben und später die frisch getünchten Wände fotografiert. Diese Fotos, die der 26-Jährige mit Zensur gleichsetzt, zeigt er nun in der Kunsthalle Basel.

Schon in Kuba hatte Melis mit seiner Kunst gerne auf Missstände des Systems aufmerksam gemacht. Seine Arbeit sei nur möglich durch Arbeiter ohne Arbeit, sagte er einst. Und von diesen gibt es im sozialistischen Staat genug. Kein Werk von Melis, das sich nicht mit der Arbeitslosigkeit auseinandersetzt. Zwar sind die Leute angestellt, erhalten sogar Lohn, doch die Aufträge fehlen.

In Spanien klingelt das Telefon endlos, ohne dass jemand den Hörer abhebt. Endstation Nirgendwo.

Was also tut der Künstler? Einerseits stiftet er die Arbeiter dazu an, sich gegen Bezahlung krank zu melden. In einem Video dokumentiert er die Lügen, die die Arbeiter dafür erfinden, von verstorbenen Schwiegermüttern über kranke Kinder bis hin zu einer akuten Krebserkrankung. Andere Arbeiter wiederum lässt er während der Arbeitszeit schlafen und sie dann die Träume aufzeichnen oder aufschreiben, die sie währenddessen hatten. Zeit- und Ressourcenverschwendung.

Ohne den grossen Zusammenhalt unter den Arbeitern wären solche Werke gar nicht möglich. Auch nicht jene Fotografien, die zeigen, was Arbeiter alles an ihren Arbeitsplätzen entwendet haben. Die Fotos zeigen die Plätze, wo die Bauutensilien, Schweine oder Nahrungsmitteln lagen – Leerstellen im System.

Wirtschaftliche Krise

Nach seinem Umzug nach Barcelona im Jahr 2010 hat Melis sein Konzept auf die spanische Wirtschaftskrise hin umformuliert. Hier sind die Arbeiter nicht mehr so unmittelbar vorhanden, sondern stehen als Betroffene eher im Hintergrund. Dafür hat Melis etwa die Aktienkurse in den Fokus gerückt. In einem Hotel, in dem viele Geschäftsleute verkehren, hat er Leuchtkuben in die Bar eingebaut, die rot glühen, wenn die Aktienkurse fallen, grün, wenn sie steigen, und blau, wenn sie stabil bleiben. So wussten die Geschäftsmänner immer, ob ihnen der Appetit auf den Drink in der Hand gerade vergehen sollte oder sie ihn geniessen können. Auch die Demonstrationen, die in Spanien eine Zeitlang an der Tagesordnung standen, hat der Kubaner aufgenommen. Er hat deren Ton auf ein Video zugeschnitten, das feiernde Leute am Primavera-Festival zeigt.

Bleibt noch das Telefon, das ganz hinten in der Kunsthalle auf dem Schreibtisch steht. Ab und zu wird daraus lautstark die Stimme von Ministerpräsident Rajoy erklingen, der verspricht, dass es den Spaniern bald besser gehen wird und sie bald wieder Arbeit haben. Hört der Besucher diese Rede, deren Versprechen bis heute nicht eingelöst wurde, so hat dies einen traurigen Hintergrund. Dann nämlich hat jemand in Spanien eine Telefonnummer gewählt, die er in einem Stelleninserat gefunden hat. Einen Job wird der Anrufer aber nicht erhalten – in Spanien klingelt sein Telefon dann endlos, ohne dass jemand den Hörer abhebt. Endstation Nirgendwo.

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