Astralarchitektur im Bild

Das Schweizerische Architekturmuseum widmet seine neue Ausstellung dem Ersten Goetheanum. Fotos und Dokumente zeigen, wie der Bau als Gemeinschaftswerk zustande kam und aussah – bis er 1923 bei einem Feuer komplett zerstört wurde.

Eine der wenigen Fotografien in Farbe: Das Erste Goetheanum kurz vor dem Brand 1922. (Bild: Otto Rietmann, © Dokumentation am Goetheanum)

Vor kurzem eröffnete das Schweizerische Architekturmuseum die Ausstellung «Der Bau der Gemeinschaft. Das Erste Goetheanum in Fotos und Dokumenten». Warum schon wieder Rudolf Steiner?, mag man sich fragen, nachdem die grosse Schau zum Begründer der Anthroposophie im Vitra Design Museum dieser Tage zu Ende geht. Ein Besuch zeigt, dass es gute Gründe dafür gibt.

Zu Beginn der Ausstellung hängt ein Bild vom Ende: Ausser dem vom Russ gezeichneten Betonsockel ist nichts mehr vom stolzen Bau übrig geblieben. Innert Stunden vernichtete das in der Silvesternacht 1922-23 von einem Brandstifter gelegte Feuer die Holzarchitektur des Goetheanums. Knapp zehn Jahre waren die Arbeiten bis dahin bereits im Gang und der Innenausbau des Gebäudes kurz vor seiner Vollendung. Diese Schaffenszeit und die noch weiter zurück reichenden Ideenskizzen sind Gegenstand der Ausstellung.

Die Geschichte wird rückwärts erzählt – je weiter man in die Museumsräume vordringt, desto weiter zurück gelangt man in der Chronologie. Die Zeitreise endet schliesslich im München der 1910er Jahre, wo Steiner für die Aufführung seiner Mysteriendramen einen Theaterbau plante. Erstmals findet sich hier die revolutionäre Idee, auf der Basis komplizierter geometrischer Körper eine Doppelkuppel zu errichten, unter der der Zuschauer- und der Bühnenraum sich überschneiden.

Ein Stadttheater fürs Land

Nachdem das Projekt in München an grossem Widerstand scheiterte und Steiner in Dornach ein Grundstück zur Verfügung gestellt wurde, verpflanzte er die Stadtarchitektur kurzerhand aufs Land. Erst allmählich ging die klassizistisch anmutende Formensprache in etwas über, was damalige Architekturkritiker irgendwo zwischen den bekannten Jugendstilarchitekten Joseph Maria Olbrich und Henry Van der Velde anzusiedeln versuchten. Bis heute fällt eine eindeutige Zuordnung schwer.

Steiner war kein Architekt, gab aber seinem Stab von Künstlern, Architekten und Bauführern mitunter ganz konkrete Anweisungen, wie einzelne Teile des Gebäudes auszusehen hätten. So hatten beispielsweise im grossen Zuschauerraum beidseitig je sieben fünfeckige Säulen zu stehen. Die Gründe für solche Entscheidungen lagen mehrheitlich in der esoterischen Lehre Steiners, die auf bautechnisch günstige Lösungen keine Rücksicht nahm. Dafür stand ihm ein ganzes Heer von freiwilligen Anhängern zur Verfügung, die seine Vorschläge ausführten. Wie er waren die allermeisten von ihnen für ihre Aufgabe nicht ausgebildet, sondern gingen als blutige Anfänger zu Werk.

In einem gewissen Sinn ist der Bau deshalb das Werk einer Gemeinschaft von Dilettanten. Dies stand allerdings ganz im Einklang mit Steiners Vorstellung, dass echtes künstlerisches Schaffen durch die Professionalisierung der Künste nur gehemmt werde. Wie vielen Vertretern der damals zahlreichen Reformbewegungen erschien ihm ein naiver Zugang zur Kunst der einzig richtige. Gerade in dieser Haltung mag ein Grund dafür liegen, dass Steiners Architektur nur schwer mit den gängigen Kategorien erfassbar bleibt. So wie der Bau insgesamt, wirken die mäandrierenden Holzwülste im Innern ungelenk und mitunter klobig. Die architektonische Umsetzung von Goethes Metamorphosenlehre der stets hin- und herpendelnden Bewegung von einfachen zu komplexen Formen bleibt nur beschränkt nachvollziehbar.


Eine Überlieferung in Bildern

Letztlich muss aber die Frage, inwieweit der Anspruch auf eine dynamisch organische Architektur eingelöst wird, seit der Zerstörung des Gebäudes unbeantwortet bleiben. Was uns bleibt, sind zahlreiche Fotografien. Steiner hatte ihre Bedeutung für die Architektur früh erkannt und setzte bei Vorträgen gezielt Lichtbilder des entstehenden Bauwerks ein, um den Spendenfluss aufrecht zu erhalten. Auch hier setzte er auf eine nicht ausgebildete Fotografin: Gertrud von Heydebrand-Osthoffs Fotografien sind technisch gesehen mangelhaft. Aber Steiner, dem weniger an einer objektiven Dokumentation lag, als vielmehr an einem künstlerischen Blick, erschienen sie als ideales Werbemittel für das Gebäude. Später diente Steiners Lichtbildauswahl als Grundlage für die Bebilderung der unter dem Titel ‘Der Baugedanke des Goetheanum’ publizierten Baumonographie. In zahlreichen Auflagen erschienen, prägen Heydebrand-Osthoffs Fotografien damit bis heute unser Bild des Ersten Goetheanum.

Eben diese Bilder gaben denn auch Anlass zur Ausstellung, nachdem Heydebrand-Osthoffs Nachlass vor einigen Jahren in den Besitz des Staatsarchivs Basel-Stadt überging. Nach seiner Aufarbeitung nutzt das Museum die Gelegenheit, erstmals grossformatige Abzüge der originalen Glasplattennegative zeigen zu können. Aber nicht allein deshalb wurden die Fotografien geschickt in der räumlichen Mitte der Ausstellung inszeniert. Architektur in einem Museum zu zeigen, bedeutet, nicht die Architektur selber zeigen zu können, sondern lediglich Gegenstände, die auf sie verweisen. Die Fotografie leistet hierzu einen unverzichtbaren Beitrag. Damit bilden die Bilder von Heydebrand-Osthoff also im doppelten Sinn das Herzstück der Ausstellung.

Das Erste Goetheanum als Gemeinschaftswerk

Die Durchsicht der Negative förderte überdies interessante Details zum Bauprozess zutage. Die publizierten Fotografien sind das Ergebnis vieler Retouchen, denen unter anderem auch die arbeitenden Menschen zum Opfer fielen. Die Originale erinnern daran, dass das Erste Goetheanum der Bau einer nicht nur ideologisch, sondern auch in der Arbeit an ihrem architektonischen Zentrum verbundenen Gemeinschaft war. Selbst wenn Steiner als unbestrittene Leitfigur anerkannt werden muss, ist die Ausstellung nicht ihm allein, sondern in erster Linie dem Bau und den daran beteiligten Menschen gewidmet.


So sorgfältig wie die verschiedenen Bauetappen und die Architekturdetails dokumentiert sind, werden auch die verschiedenen Beiträge der wichtigsten Beteiligten beleuchtet. Dabei behalten die Ausstellungsmacher eine wohltuende Distanz zum Gezeigten. Entsprechend dominiert ein sachliches Weiss und nicht etwa die anbiedernden Farben aus Steiners Kosmos, wie man es aus früheren Ausstellungen kennt. Nur auf diesem Weg kann der Anspruch eingelöst werden, einen unvoreingenommenen Blick auf eines der eigenartigsten Gebäude des Zwanzigsten Jahrhunderts freigeben zu können. Indem dem Schweizerischen Architekturmuseum dieses Kunststück gelingt, verschafft es sich denn auch die Berechtigung, noch einmal Steiner zu zeigen.

Der Bau der Gemeinschaft. Das Erste Goetheanum in Fotos und Dokumenten. 
29. April – 29. Juli 2012, Öffnungszeiten: Di/Mi/Fr 11-18h, Do 11-20.30h, Sa/So 11-17h. www.sam-basel.org

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