Vor 50 Jahren, im Sommer 1965, ging Bob Dylan für sechs Wochen ins Studio. Als er wieder rauskam, war er ein anderer: Mit «Highway 61 Revisited» wurde der ikonische Folksänger zum Rockmusiker.
Orientiert man sich an der bisherigen Setliste dieses Sommers, so dürfte Bob Dylan die Ausfahrt auf den Highway 61 an seinem Konzert am Stimmen-Festival links liegen lassen. Voraussichtlich wird keiner der neun Songs dieser epochalen Platte auf dem Lörracher Marktplatz zu hören sein. Und das ausgerechnet im Jubeljahr: Im Sommer 1965 verabschiedete sich Dylan vorläufig von seinem Nimbus als Folkbarde und Protestsängers, den er während fünf Alben im Expresstempo aufgebaut hatte.
Mitten in den Aufnahmesessions zu «Highway 61 Revisited», am 26. Juli, trat Dylan am Newport Folk Festival auf, anders als in den Vorjahren präsentierte er sich jedoch nicht alleine mit der Gitarre und in Begleitung von anderen Folkstimmen wie Joan Baez oder Peter, Paul and Mary. Stattdessen baute seine Crew schweres Soundgerät auf: Schlagzeug, Verstärker und E-Gitarren. Bereits nach dem ersten Song «Maggie’s Farm» buhte ihn ein Teil des Festivalpublikums aus, das ihn während seiner Auftritte in den Vorjahren als einen der ihren, als Stimme ihrer Generation begriff.
Die Empörung setzte sich fort, als Dylan danach seinen neusten Song anstimmte, der erst wenige Tage zuvor als Single erschienen war: «Like A Rolling Stone», eine lange, schlingernde und viel mehr sarkastisch denn aufbegehrend getextete Rockhymne. Die Folkpuristen in Newport waren entsetzt, der Sänger Pete Seeger drohte der Legende nach sogar, mit einer Axt die Kabel entzweizuhauen. Danach sollte es 37 Jahre dauern, bis Dylan wieder nach Newport zurückkehrte.
Der Highway zum Blues
Vier Wochen nach diesem Auftritt war klar, dass Dylans Abwendung vom kargen Folk keine einmalige Provokation war: «Highway 61 Revisited» trug die Neumöblierung der Tradition bereits im Namen. Der Highway 61 war zwar auch jene Route, die von Dylans Heimatstadt Duluth gen Süden verlief, trug somit also eine persönliche Note.
Vor allem aber zog die Strasse an den Epizentren des Blues vorbei, an Memphis, New Orleans oder St. Louis und somit an jenen Orten, an denen Elvis, Muddy Waters oder Charley Patton aufwuchsen – und an deren Kreuzung mit dem Highway 49 einst Robert Johnson seine Seele dem Teufel verkauft haben soll, um ein virtuoserer Bluesgitarrist zu werden. Für Dylan war der Highway 61, wie er in seiner Autobiografie «Chronicles: Number One» schrieb, jene Strasse, der er sich zeitlebens verbunden fühlte: «I always felt like I’d started on it, always had been on it and could go anywhere from it, even down into the deep Delta country.»
Das Lebensgefühl der Sixties
So sollte es auch den Songs ergehen, die er für «Highway 61 Revisited» schrieb. Das Eröffnungsstück «Like A Rolling Stone» wurde zu seinem wohl bedeutendsten Song überhaupt und zu einer zentralen Achse des Lebensgefühls der Sixties.
Die beiden anderen Klassiker «Tombstone Blues» und «Ballad Of A Thin Man» stellten die deutlichsten Scharniere des Übergangs vom Protestgesang zu einer surrealistischen Lyrik dar. Das Album endete mit dem epischen, am stärksten noch mit seiner vorerst überwundenen Folk-Vergangenheit verknüpften «Desolation Row», eine elf Minuten lange Meditation in kammerspielartiger Dimension über Umwälzungen und Umstürze – über die grossen zeitgeschichtlichen Brüche, aber auch über die Auflösung verinnerlichter Gewissheiten. Ein grosses, seine Zeit überstrahlendes Werk, dessen dunkles Licht bis heute glimmt. Auch wenn «His Bobness» in Lörrach womöglich darauf verzichten wird.
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Live: Do, 16. Juli, 20 Uhr. www.stimmen.com