Auf der Videospur der Region

Die ebenso spannende wie unterhaltsame Ausstellung «Making Visible» im Kunsthaus Baselland macht die kantonale Videokunstsammlung «dotMov.bl» sichtbar.

Erich Busslinger würfelte Postleitzahlen und besuchte die Orte. So entstand sein «Inland Archiv». (Bild: Viktor Kolibal)

Die ebenso spannende wie unterhaltsame Ausstellung «Making Visible» im Kunsthaus Baselland macht die kantonale Videokunstsammlung «dotMov.bl» sichtbar.

Rund 200 Werke umfasst die «Sammlung Neue Medien» des Kantons Baselland namens dotMov.bl. Seit den Neunziger Jahren kauft der Kanton kontinuierlich Medienkunstwerke regionaler Künstler und Künstlerinnen an – ein einzigartiges Projekt, das auch der Sicherung der fragilen Arbeiten dient. Kaum ein anderes künstlerisches Medium ist einem derart schnellen und permanenten Wandel unterworfen; der technische Fortschritt bringt stetig Neuerungen hervor. Alte Formate werden verdrängt, alte Videobänder durch häufiges Abspielen zerschlissen oder durch klimatische Veränderungen beschädigt.

Infos
Vernissage der Ausstellung «Making Visible» ist am Do, 17. Oktober, um 18.30 Uhr. Ausstellungsdauer 18.10. bis 17.11.2013. Rahmenprogramm mit Filmabenden, Gesprächen, Familientagen etc.

Die Verantwortlichen von dotMov.bl haben sich frühzeitig Fragen dieser Fragilität und der Vergänglichkeit von Medienkunst-Arbeiten gestellt und sämtliche Arbeiten auf das aktuelle Digital- Betacam-Format überspielt. Damit soll gewährleistet sein, dass auch künftige Generationen die Arbeiten noch geniessen können.

Zugänglich sind die Arbeiten normalerweise über zwei Computerstationen: Eine davon befindet sich im Palazzo in Liestal, die andere im Kunsthaus Baselland. Diese Stationen sind ideal, wenn man sich zu Forschungszwecken Werke ansehen will. Doch wirklich erfahrbar werden viele davon auf diese Art und Weise nicht. Das dachte sich auch Ines Goldbach, die neue Direktorin des Kunsthauses Baselland. Sie holt deshalb für ihre erste Ausstellung im Haus eine Auswahl an repräsentativen Werken aus den Tiefen des digitalen Universums hervor und präsentiert sie so, wie die Künstler es sich ursprünglich dachten.

Ein Blick zurück in der Geschichte

Rund 20 dieser Werke kann man sich im Kunsthaus Baselland nun zu Gemüte führen, und wer jetzt denkt, dass das in nützlicher Frist nicht zu schaffen ist, der sei beruhigt: Goldbach hat unter anderem darauf geachtet, dass die Ausstellung zeitlich zu bewältigen ist – nur wenige Arbeiten verlangen die Aufmerksamkeit der Besucher für mehr als fünf Minuten.

DotMov.bl, das klingt vorerst unspektakulär. Genauso wie die Paarung von Baselland und Videokunst. Doch denkt man zurück in die Achtziger Jahre, so fällt einem vielleicht ein, dass damals einerseits an der Basler Schule für Gestaltung (SfG) die Weiterbildungsklasse Audiovisuelle Gestaltung gegründet wurde und gleichzeitig einer der Mitbegründer dieses Kurses, der Videokünstler René Pulfer, in Riehen die Videowochen im Wenkenpark veranstaltete (vgl. Box unten). Leute wie die Videopioniere Bruce Nauman oder Dan Graham nahmen daran teil, und eine der Schülerinnen der ersten Klassen an der SfG trug den Namen Pipilotti Rist. Es gibt eben schon Gründe, warum eine Sammlung Neue Medien ausgerechnet hier in der Region Sinn macht.

Projektionsflächen und Röhrenbildschirme

Dem Namen René Pulfer begegnet man nun im Kunsthaus Baselland deshalb nicht grundlos mehrfach. Denn der Künstler und Dozent fungierte für viele andere als Impulsgeber. Ohne ihn hätte der Maler Remy Zaugg sich zum Beispiel wohl kaum auf dem Gebiet der Videokunst versucht. Zwei Werke Zauggs können wir nun nochmals erleben. Die 4-Kanal-Ton-Arbeit «Vier perzeptive Skizzen» aus dem Jahr 1988 ist eine davon: Zu sehen gibt es auf den vier Röhrenmonitoren nichts ausser der Farbe Weiss, die elektronisch generiert wird. Sie fungiert als Projektionsfläche für den Betrachter, der parallel dazu gesprochene Worte in seinem Kopf in Bilder verwandelt.

(Bild: Viktor Kolibal)


Weisse Bildschirme: Remy Zauggs «Vier Perzeptive Skizzen». (Foto Viktor Kolibal)

All die anderen in der Ausstellung gezeiten Arbeiten beschäftigen unsere Augen auf direktere Art und Weise – sprich: sie setzen uns tatsächliche Bilder vor. Manche sind eher spielerisch angelegt, andere dokumentarisch. Ältere Werke finden sich ebenso wie ganz junge, berühmte treffen auf Raritäten.

Hippes und Wegweisendes

Pipilotti Rists «I Am Not The Girl Who Misses Much», ein kurzer Musikfilm, gehört zu den bekannten Arbeiten – obwohl die Arbeit noch zu Studienzeiten der Künstlerin im Jahr 1986 entstand. Weniger bekannt ist die Arbeit «Das Messer im Kompott» von Rists «Les Reines Prochaines»-Kollegin Muda Mathis, entstanden in Zusammenarbeit mit Käthe Walser. Die beiden verherrlichen darin die Haushaltsarbeit, und das auf eine äusserst humorvolle Art und Weise. Im Entstehungsjahr 1988 waren Fingerkameras gerade absolut hip, also schnallten die Künstlerinnen diese an ihre Haushaltsgeräte und filmten aus ungewohnten Perspektiven. Ein Seh-Genuss.

In simpelster Einstellung gedreht, aber ebenfalls unterhaltsam ist Guido Nussbaums «Schnipp-Video» (1987). Sichtbar ist nur der Rumpf des Künstlers, der in unregelmässigen Abständen mit den Fingern schnippt. Mit jedem Schnippen wechselt die Farbe des Hintergrunds. Nussbaums und Mathis’/Walsers Arbeiten ist aber noch etwas anderes gemein: Beide sind auf ihre Art wegweisend. Mathis/Walser nehmen das heutige YouTube-Phänomen vorweg, und Nussbaums Video kann als Vorläufer eines interaktiven Videos gesehen werden.

Die Verarbeitung von YouTube-Videos, wie man sie heutzutage immer wieder in künstlerischen Arbeiten antrifft, fehlt im Kunsthaus Baselland. Andere Formen der Dokumentation allerdings findet man durchaus, darunter auch eine Arbeit, die man heute telquel auf YouTube hochladen könnte: Reinhard Manz und Claude Gaçon waren 1984 dabei, als der Sprayer von Zürich, Harald Nägeli, in Riehen an der Grenze nach Deutschland ausgeliefert wurde. Nägeli war aus Solidarität von Joseph Beuys und Klaus Staeck begleitet worden, und Manz und Gaçon dokumentierten spontan die Rede, die Beuys zu diesem Anlass hielt.

Lust auf Weitersurfen

Um Beuys reden zu hören, setzt man sich Kopfhörer auf. Die meisten anderen Arbeiten in der Ausstellung brauchen dies nicht – nicht, weil sie tonlos wären, sondern vor allem, weil die räumliche Situation es zulässt.

Gerade im Untergeschoss des Kunsthauses, wo Goldbach in der Dunkelheit die grösseren Projektionen platziert hat, hat fast jedes Werk seinen eigenen Raum und damit Raum für Ton. Täuscht zudem der Eindruck, dass, je jünger eine Arbeit, sie umso platzintensiver ist? Jedenfalls finden sich darunter Erich Busslingers Mehrfach-Projektion «Inland Archiv» (2004), für die der Künstler als «Zufalls-Ethnologe» das Land bereiste, oder auch Lena Maria Thürings Arbeit «Das Haus» (2008) genauso wie Bettina Grossenbachers «16°12’N/22°51W» aus dem Jahr 2011 – und damit die neueste Arbeit der Auswahl.

Wer in die hintersten Winkel des Untergeschosses vorgestossen ist, hat eine beträchtliche Anzahl von Videos gesehen. Komischerweise ist man aber noch nicht müde geworden. Sondern im Gegenteil davon beeindruckt, was diese Region an Videoarbeiten vorzuweisen vermag, wenn auch ein paar bekannte Namen aus der dotMov.bl-Sammlung in dieser Ausstellung fehlen. So weiss man aber zumindest, dass es sich doch lohnt, mal eine der Videostationen zu besuchen – auch wenn das Erlebnis nicht dasselbe sein kann.

(Bild: Viktor Kolibal)


Im Hintergrund eine Videoinstallation von Anna Winteler, vorne Mireille Gros. (Foto Viktor Kolibal)

Video Rewind
1984, 1986 und 1988 fanden im Wenkenpark in Riehen die Videowochen statt. Daran nahmen einige der international bedeutendsten Kunstschaffenden und Vermittler teil. Diese Videofestivals gaben der damals noch jungen Kunstform massgebliche Impulse und trugen zu ihrer Etablierung bei. Die Publikation «Video Rewind» inklusive DVD dokumentiert nun diese Festivals. Sie wird am Dienstag, 22. Oktober, um 18.30 Uhr im Kunsthaus Baselland vorgestellt.

  • Reinhard Manz, René Pulfer (Hg.): «Video Rewind», Christoph Merian Verlag Basel, 2013.


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