Auf Du mit der Computerstimme

So speziell kann Theater ohne Schauspieler und Bühne sein: «Remote Basel» von Stefan Kaegi führt Theatergänger ferngesteuert auf eine aufschlussreiche und phantastische Reise durch die reale Stadt.

(Bild: Ein Gruppenfoto als «Geschenk» ...)

Stefan Kaegi und sein Rimini Protokoll entführt eine «Horde» von Theatergänger mit «Remote Basel» auf einen ferngesteuerten phantastischen Menschfindungstrip durch die Stadt.

Warnung des Veranstalters (Kaserne Basel): «Bitte sind Sie sich bewusst, dass Sie sich auf eigene Gefahr im öffentlichen Raum bewegen und die Strassen- und Verkehrsordnung beachten müssen.» Diese Warnung ist durchaus angebracht, denn bei «Remote Basel» sitzt man nicht im geschützten Zuschauerraum eines Theaters, bewegt man sich nicht durch einen Parcours künstlich geschaffener Phantasiewelten, sondern durch die echte Stadt. Mit echten Autos, Drämmli, Passantinnen und Passanten, unter echtem Himmel und durch echte Räume.

Das allein wäre so speziell nicht mehr. Das Publikum auf Schnitzeljagd durch reale Räume zu schicken, ist nichts Ungewöhnliches mehr auf dem Theater beziehungsweise im Rahmen des Theaters. Doch ein Projekt ganz ohne Schauspielerinnen und Schauspieler, ohne menschliches Gegenüber, das ist denn nun doch aussergewöhnlich. Die Theatergängerinnen werden über Funkkopfhörer ferngesteuert von «Julia», einer Computerstimme, die, wie sie sagt, aus 2500 Stunden Frauenstimme generiert wurde und zumindest zu Beginn, wie sie entschuldigend selber zugibt noch etwas künstlich, aber überaus freundlich klingt. Und die im Verlauf des Spaziergangs zu Klaus mutiert, ihrem Männerstimmen-Pendant, das aber ein bestimmenteres Auftreten an den Tag legt als Julia.

Ferngesteuert

Fast alle kennen Julia und Klaus. Es sind die körperlosen, aber vertrauenserweckend klingenden Begleiter, die uns in den GPS-Navigationsgeräten auf den richtigen (oder manchmal auch nicht ganz so richtigen) Weg führen. «Ich bin so programmiert, dass Du immer Deinen Weg findest», sagt Julia, die virtuelle Stimme, die irgend ein Marketingspezialist einst so getauft hat. Aber natürlich will Julia (und später Klaus) hier mehr als das. Stefan Kaegi und sein Theaterlabel Rimini Protokoll sind spezialisiert darauf, technologische Errungenschaften oder virtuelle Echtheitskopien auf reelle Echtsituationen zu übertragen. Und damit auf höchst originelle Weise zu überraschen.

Das gelingt auch hier: Julia, die in unserer Mitte ist, ohne da zu sein, will die Menschen, die ihr zuhören, die ihren Anweisungen folgen, verstehen: «Ich weiss nicht, was Individualität ist, aber ich würde es gerne von Dir lernen», sagt sie. Sie will mehr über das Menschsein erfahren, über das Sozialverhalten ihrer reellen Vorbilder, weshalb sie die «Horde» der Theatergänger, ausgehend von der Allerheiligenkirche im Neubad, mit Anweisungen und Anregungen auf eine fantastische Reise durch die ganz normale, ganz gewöhnliche Stadt und auf Metaebene durch ein Panoptikum typischer Verhaltensmuster von Individuum und Gruppe schickt.

(Fast) geschützt durch das Kollektiv

Wo es genau durchgeht, an welche Stationen die Reise führt, soll hier, um die Überraschungsmomente nicht vorwegzunehmen, nicht im Detail verraten werden. Das Spezielle daran ist, dass man als Teilnehmender durch die Funkkopfhörer in eine andere Dimension versetzt wird. Nicht nur die Computerstimme ist zu vernehmen, sondern auch Musik sowie Alltagsgeräusche – Verkehrslärm oder Stimmen (Sound Design: Nikolas Neecke) –, welche die tatsächliche Geräuschkulisse nachahmen, die aber auf verwirrende Weise die Wirklichkeit nicht synchron wiedergeben. Solcherart von der reellen Umgebung abgehoben und in das Kollektiv beziehungsweise in die «Horde» eingebettet, traut man sich plötzlich, im öffentlichen Raum auch Dinge zu tun, die man sonst vielleicht nicht täte.

Nun gut, ganz lassen sich die Hemmungen, sich als Akteur oder Akteurin in der Stadtperformance in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, nicht aus der Welt schaffen. Und nicht immer schaffen es Julia und später Klaus, ihre Gefolgschaft im gewünschten Masse zu den angeregten Aktionen zu motivieren. Mit der Aufforderung zum Tanz, um doch noch etwas zu verraten, kamen sie beim Generalprobenpublikum am Dienstag nicht allzu weit. Aber das kann ja in anderen Beteiligtenkonstellationen ganz anders sein.

Überraschend, erhellend und amüsant

Doch das soll niemanden von einem Besuch dieser speziellen Reise durch den normalen Raum abhalten. «Remote Basel» ist erhellend, weil es uns vorführt, wie sehr wir uns heute bereits durch Maschinen der unterschiedlichsten Art im Alltag fernsteuern lassen. Es ist überraschend und amüsant, weil es spezielle Konstellationen schafft, die nicht unbedingt voraussehbar sind.

Es sorgt für kurze beklemmende Momente in Räumen, die nicht gerade Wohlbehagen auslösen. Es ist auch gesünder als normales Theater, weil es die Beteiligten auf Trab hält. Und es ist nachhaltig, weil man, nachdem man die Funkkopfhörer abgelegt hat und sich auf den Heimweg begibt, die ganz normale Umgebung vielleicht deutlicher wahrnimmt als sonst.

Stefan Kaegi (Rimini Protokoll)
«Remote Basel»
Konzept, Skript , Regie: Stefan Kaegi, Sound Design: Nikolas Neecke
Nächste Vorstellungen: 18.–21. und 25.–28. September, 17 Uhr
Treffpunkt: Allerheiligenkirche Basel (Neubadstr. 95, Tram Nr. 8, Haltestelle «Laupenring»)
Reservierung unter Tel. 061 666 60 00 oder Vorverkauf bei Starticket

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