Auf ein paar Ästen in den Himmel

Leicht schwebt René Küngs «Grosse Mondleiter» scheinbar vor der Fassade des Theaters. Doch sie bringt den Betrachter ganz schön ins Schwanken.

Links Richard Serras Plastik auf dem Theaterplatz, schwer und massiv, ganz im Gegensatz zu René Küngs filigraner «Grosser Mondleiter».

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Leicht schwebt René Küngs «Grosse Mondleiter» scheinbar vor der Fassade des Theaters. Doch sie bringt den Betrachter ganz schön ins Schwanken.

Die «Grosse Mondleiter» – sie ragt seit 25 Jahren mitten vor dem Theater Basel in den Himmel, 13,5 Meter hoch, und doch wissen die wenigsten bei der Erwähnung der zeichenhaften Holzskulptur von René Küng auf Anhieb, wovon die Rede ist.

Die 1980 entstandene Arbeit des Baselbieter Künstlers, der in Schönenbuch und Le Beaucet in der Provence arbeitet, war im selben Jahr zunächst anlässlich eines Wettbewerbs des Kunstkredits Basel-Stadt ausgestellt und von der Schweizerischen Bankgesellschaft der Stadt Basel geschenkt worden. Sie fügt sich derart geschickt in die doch eher komplizierte Platzgestaltung ein, dass man versucht ist, sie auf den ersten Blick mehr als Teil der Architektur wahrzunehmen denn als eigenständige Skulptur.

Schon seit 2013 widmet sich die TagesWoche jeweils im Sommer der «Kunst am Wegrand». Alle in dieser Serie erschienenen Artikel finden Sie auf der Themen-Seite Kunst am Wegrand.

Darin unterscheidet sie sich grundlegend von Richard Serras «Intersection», deren 80 Tonnen Stahl mit 4 Metern Höhe und an die 15 Metern Länge sofort in ein Spannungsverhältnis zu dem kleinen Platz treten.

Im Einklang mit der Umgebung

Die Skulpturen René Küngs hingegen stehen im Einklang mit ihrer Umgebung. Es finden sich zahlreiche seiner Werke im öffentlichen Raum in Basel und Baselland – erwähnenswert ist etwa die grosse Skulpturengruppe aus Granit vor dem Hauptgebäude der Baloise Versicherung am Aeschengraben in Basel (von 1982/1983). Die äussere Harmonie spiegelt die innere Stimmigkeit der verwendeten Materialien.

Dies zeigt sich beim Umgang des gelernten Steinmetzes mit Stein oder Metall und besonders deutlich mit Holz. Er belässt die natürliche Wuchsrichtung der Äste und fügt sie zu seinen lebendigen und reduzierten Astzeichen zusammen.

Seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit in den frühen 1960er-Jahren arbeitet er in wiederkehrenden Serien in diversen Materialien und in unterschiedlichen Massstäben, von handtellergrossen Arbeiten bis hin zu grossformatigen Skulpturen wie der «Grossen Mondleiter». Die Leiter gehört neben dem Rad, dem Tor, dem Fenster und der Treppe zu seinen Hauptmotiven.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

Am Ende des schmalen Treppenaufgangs auf den Theaterplatz von der Steinentorstrasse her schweben die beiden vertikalen Balken der Leiter in der Luft – in einer Metallverankerung hinter der Geländerbrüstung. Dreizehn Sprossen erklimmen, quasi als Fortsetzung der Treppe, ziemlich genau die Höhe der Hauptfassade des Theatergebäudes der Architekten Schwarz und Gutmann.

Folgt man ihrem Lauf, schweifen die Augen in jedem zweiten der zwölf Sprossenzwischenräume ab. Der Blick folgt dabei den parallelen Astzeichen, die ihn mal geradewegs nach oben, dann nach rechts oben führen, um anschliessend wieder mehr und dann weniger brüsk nach links unten zu kippen, und schliesslich – nach einem ausbalancierenden sanften Wink nach rechts oben – den dort angekommenen Betrachter mit einer Pfeilspitze nach links oben, über den Platz hinaus in den Himmel weisen.

Bewegt man sich in Richtung Theaterhaupteingang und gelangt so zur Seite der Skulptur, beginnen die Äste ihre natürlichen Wuchsrichtungen nach vorne und hinten noch deutlicher zu offenbaren sowie die Mondsichel in der Mitte der Spitze Form anzunehmen. Bei Wind gerät die Leiter leicht ins Schwingen.

Imaginäre Fortsetzung der Treppe

So ausgewogen sich die Abfolge der Astzeichen innerhalb der Arbeit von unten nach oben liest, so perfekt harmoniert sie mit der sie umgebenen Architektur. Als imaginäre Fortsetzung der Treppe findet sich die Bewegung der Astzeichen in der nach unten geschwungenen Linie des Theaterdaches wieder. Ebenso, wie die Höhe der Mondleiter in einem stimmigen Verhältnis zur Fassadenhöhe steht. Beide erscheinen von Tinguelys Fasnachtsbrunnen her kommend nahezu gleich hoch.

Die Stärke dieser Arbeit liegt in der inneren und äusseren Harmonie von Material und Umgebung, welche den Betrachter von seinem Standpunkt am Boden aus in eine imaginäre Bewegung versetzt. Darin besteht die Zeitlosigkeit von Küngs Arbeiten. Dies wird umso deutlicher, als der «Grossen Mondleiter» mit Serras «Intersection» eine Arbeit als Dialogpartner gegenübergestellt wurde, deren künstlerische Strategie genau gegenläufig dazu wirkt. Serras Arbeit erschliesst sich nur aus der Bewegung innerhalb der schwankenden und bedrohlich schweren Kegelsektionen, in deren Schnittpunkt man leicht den Boden unter den Füssen verlieren kann. Während bei Serra so der Betrachter durch die eigene Bewegung und die Nähe zum Werk auf sich selbst zurück geworfen wird, bietet sich Küngs Mondleiter der inneren Agitation und Imagination des eher unbewegten Betrachters aus einer gewissen Ferne heraus an.

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