Auftritt der Schattensinfoniker

Amateurorchester stehen selten im Rampenlicht, obwohl sie mit kleinen Mitteln grosses leisten. Das TriRhenum stellt sein Licht nicht länger unter den Scheffel, zum 15-jährigen Bestehen hat es sich die ganz grosse Bühne ausgesucht.

(Bild: Raphaël Monnard)

Amateurorchester stehen selten im Rampenlicht, obwohl sie mit kleinen Mitteln grosses leisten. Das TriRhenum stellt sein Licht nicht länger unter den Scheffel, zum 15-jährigen Bestehen hat es sich die ganz grosse Bühne ausgesucht.

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Hauchzart treffen die Schläger das Trommelfell. Noch kaum hörbar setzen sie dem Zuhörer das Thema ins Ohr, das ihn für die nächsten 17 Minuten begleiten wird. Mit akkuraten Pizzikati reihen sich Bässe und Celli in den Rhythmus ein, bevor in Takt vier die Flöte mit der Leitmelodie einsetzt.

«Stopp» – der Ton bricht ab. «Das war zu früh», sagt Julian Gibbons, «von vorne bitte». Gibbons ist Dirigent des Sinfonieorchesters TriRhenum Basel, ein Amateurorchester, das sich für sein Jubiläumskonzert eines der einfachsten und gleichzeitig schwersten Stücke der klassischen Konzertliteratur ausgesucht hat.

Es ist der Bolero von Maurice Ravel. Jenes Stück, dessen Ballett-Uraufführung im Jahre 1928 zu wilden Tumulten im Konzertsaal geführt hatte, und dessen Variation einzig im ewig anschwellenden Crescendo der immer gleichen Melodie besteht. 

Amateurorchester mit gutem Ruf

Wenn das TriRhenum den Bolero am Samstag im Konzertsaal des Stadtcasinos zur Aufführung bringen wird, werden die Musiker keine wüsten Rufe aus dem Publikum befürchten müssen. Zurückhaltung lautet heute das Credo der Besucher klassischer Konzerte. Doch Gibbons will erst gar keinen Anlass geben für Kritik. Er lässt die Anfangstakte noch einmal spielen. Und dann noch einmal, bis sie sitzen.

Das Orchester TriRhenum hat sich im Schatten professioneller Ensembles wie dem Sinfonieorchester Basel oder der Basler Sinfonietta einen guten Ruf erarbeitet. Mittlerweile zählt das Orchester um die 70 Aktivmitglieder aus der Region Basel, dem südbadischen Raum und dem nahen Frankreich. Ein trinationales Einzugsgebiet, das sich auch im Namen des Ensembles niederschlägt: TriRhenum.

Viele Amateurorchester müssen heute um Zuwachs kämpfen, beim TriRhenum dagegen werden Neuzugänge unter Umständen zum Probespiel vorgeladen. Was macht dieses Orchester richtig? «Wir haben eine komplette Besetzung», sagt Gibbons, «andere Orchester müssen beispielsweise ohne Bläser proben». Er überlegt. «Und bei uns spielen Leute aus allen Altersklassen, jeder kann hier Anschluss finden.»

Vom Aussterben bedroht? Mitnichten!

Klassische Musik wird heute gerne als aussterbendes Genre bezeichnet, dabei wurde diese Behauptung mit einer gemeinsamen Studie der Bundesämter für Statistik und Kultur im Jahr 2008 eindrücklich zurückgewiesen. Die Studie zeigt, wie die Wohnbevölkerung der Schweiz mit Musik umgeht und welchen Stellenwert die Musik bei ihr hat.

Im Ranking der beliebtesten Musikstile belegte klassische Musik den zweiten Rang, nur das Genre Rock/Pop schnitt noch besser ab.

(Bild: Bundesamt für Statistik)


Ein zweiter Blick bedient dann allerdings wieder die Klischees: Auf der Skala der Lieblingsstile nach Alterskategorien wird klassische Musik lediglich von den über 60-Jährigen favorisiert, während gerade einmal drei Prozent der unter 30-Jährigen dieses Genre als ihren Lieblingsstil angeben.

(Bild: Bundesamt für Statistik)

Natürlich spielt nicht jeder, der klassische Musik mag, auch selbst ein Instrument. Doch die Vermutung liegt nahe, dass sich aktive Jungmusiker am liebsten Gleichaltrigen anschliessen. Für sie ist das TriRhenum im Raum Basel eine Art Auffangbecken. Zwar gibt es mit den Jungen Sinfonikern Basel und dem Uni-Orchester jungbesetzte Alternativen, diese werden aber bevorzugt von Mitgliedern ihrer Institutionen (Musikschule oder Universität) besetzt.

«Musik ist auch Teil unseres kulturellen Ausdrucks und trägt zur gruppenspezifischen Identitätsbildung bei.»


Aus der Studie «Kulturverhalten in der Schweiz 2008»

Das TriRhenum finanziert sich zum grössten Teil über Mitgliederbeiträge. Damit werden die Stimmführerinnen und der Dirigent honoriert, auch die Saalmiete und der Solist müssen aus der Vereinskasse bezahlt werden. Dieses in Laienorchestern übliche Prinzip führt dazu, dass meistens junge, noch unbekannte Solisten verpflichtet werden, die zwar viel Können mitbringen, aber noch keinen Namen.

Im dicht besetzten Kulturkalender der Region ist es schwer, mit No-Names Konzertbesucher anzulocken. «Aber bisher haben sich die Konzerteinnahmen und die Personalausgaben immer gedeckt», sagt der Schatzmeister Nicolas Sartori, «zudem haben wir für das Jubiläumskonzert Stiftungsbeiträge erhalten». Dauerhafte Beiträge sind allerdings schwer erreichbar, denn die Konkurrenz ist gross. Stiftungen unterstützen lieber aufstrebende Jungstars mit Karriereaussichten als Amateurorchester.

Ein Solist mit Renommee

Thilo Muster hat die Tradition namenloser Solisten für das kommende Konzert durchbrochen. Der renommierte Organist hat schon mehrfach für internationales Aufsehen gesorgt. Mit dem TriRhenum spielt er Paul Hubers Konzert für Orgel und Orchester. Dass bei diesem Projekt mehr Proben anfallen als üblich, stört ihn nicht. Vielmehr zeigt er sich beeindruckt vom Aufwand, den die Amateure für ihr Projekt betreiben.

«Es ist eine besondere Wertschätzung vorhanden, die Musikerinnen und Musiker würden sonst nicht nach der Schule oder Arbeit die Strapazen der langen Proben auf sich nehmen», sagt er, «als Solist ist dieses Engagement deutlich spürbar.»

«Es ist eine besondere Wertschätzung gegenüber der Musik vorhanden.» 

Thilo Muster, Solist

Drei Stunden dauert die Generalprobe, die Musikerinnen und Musiker verlassen das Probelokal erst nach 22 Uhr. Was motiviert die Mitglieder, so lange auszuharren? «Die Tatsache, ein Ziel vor Augen zu haben», antwortet eine Violinistin aus der zweiten Geige. «Für mich alleine würde ich nie so viel üben wie für das Konzert.»

Gibbons wird an der Einspielprobe am Samstag die ersten Takte des Bolero noch einmal wiederholen lassen. Und dann noch einmal, bis sie perfekt sitzen. «Ich sehe es als meine Aufgabe, die Leute zu etwas zu bringen, was sie sonst nie erreichen würden. Auch wenn es sie manchmal an ihre Grenzen bringt», sagt er. Dann geht er mit der Partitur unter dem Arm nach Hause.

Der Bolero von Maurice Ravel, hier aufgeführt von den Wiener Philharmonikern unter Gustavo Dudamel

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Konzertdaten:
Samstag, 29. November 2014. 19.30 Uhr, Stadtcasino Basel.
Eintritt: 30.-/20.-, für Kinder unter 12 Jahren frei. Vorverkauf: Musica Classica, Spalenberg 40. 

Sonntag, 30. November 2014. 17.00 Uhr Pasquart-Kirche Biel.
Eintritt: Kollekte.

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