Das Erste, was Duran zu hören bekam, als er am Flughafen Istanbul ins Taxi stieg, war: «Von welchem Berg kommst du denn?» Durans Eltern sind Kurden und verliessen die Türkei aus politischen Gründen. Er ist in Birsfelden geboren und aufgewachsen.
Vor fünf Jahren wurde der 34-Jährige nach einer heftigen Schlägerei des Landes verwiesen. Er musste zurück in die Türkei, wobei «zurück» eigentlich der falsche Begriff ist, denn einen Bezug zum Land hatte er kaum. In einem anatolischen Bergdorf leben noch einige Verwandte, das hört man seinem Türkisch an. Deshalb die Frage des Taxifahrers. Duran antwortete: «Ich komme aus den Alpen.»
Duran ist einer der Protagonisten im neuen Film von Jonas Schaffter. «Fondü Türkiye» (Arbeitstitel) zeigt drei türkischstämmige, in der Schweiz aufgewachsene Männer, die versuchen, sich nach ihrer Ausschaffung in der Türkei zurechtzufinden. Sie alle wurden nach altem «Regime» des Landes verwiesen, also vor Umsetzung der Ausschaffungsinitiative.
Ein Stück Heimat in der Fremde
In einer Szene schliessen Duran und Vedat Bekanntschaft. Vedat ist heute 39. Vor vier Jahren wurde er aus der Schweiz ausgeschafft, weil er in Solothurn einen Hanfladen betrieben hatte. Die beiden sitzen in Vedats Wohnzimmer und essen Fondue, das Schaffter ihnen mitgebracht hat. Sie tauchen Stücke von Simit (einem türkischem Sesamgebäck) in den geschmolzenen Käse. «Geil. Das habe ich bestimmt seit fünf, sechs Jahren nicht mehr gegessen», sagt Duran. «Mega. Nur die Essiggürkli fehlen», meint Vedat.
Bei seinen Recherchen in der Türkei ist Schaffter vielen nostalgischen Schweizbildern begegnet. «Duran und Vedat sehen sich als Schweizer und wollen sich in Istanbul ein Stück ihrer Heimat bewahren.» Bei Vedat hängt ein Bild des Solothurner Aareufers an der Wand, Durans Wohnung zieren FCB-Schals und eine Waggis-Tasse. «Sie haben grosse Mühe damit, in der Türkei anzukommen. Beide leben ziemlich isoliert.»
Vedat lernte Schaffter in Istanbul kennen, in einer WG von drei Schweiz-Türken, die alle ausgeschafft worden sind. «Viele kennen sich untereinander, unterhalten sich auf Schweizerdeutsch und verkehren kaum mit Einheimischen», sagt Schaffter. Die Ausgewiesenen hätten einen schlechten Stand, sie gälten als Ausländer. «Oft schämen sich auch die eigenen Verwandten für sie.»
Vedat und Duran arbeiten beide in einem Callcenter, oft sogar für Schweizer Firmen. Mit ihren Sprach- und Kulturkenntnissen sind sie gefragte Fachkräfte. Ohne die deutschen und Schweizer Türken würde die Callcenter-Industrie in der Türkei nicht funktionieren.
Obwohl ihre wirtschaftliche Situation verhältnismässig sicher ist, hoffen Vedat und Duran, irgendwann in die Schweiz zurückkehren zu können. Zumindest Durans Aussichten sind intakt. In Basel warten seine Frau und sein kleines Kind auf ihn, sie telefonieren täglich.
Das «schnelle Leben» führte zur Ausschaffung
Mustafa, der dritte Protagonist des Films, wurde vor 24 Jahren in die Türkei zurückgeschafft. Er musste als Erstes Militärdienst leisten und gegen die Kurden kämpfen. Jetzt lebt der 48-Jährige in Anatolien, zehn Autostunden von Istanbul entfernt. «Mustafa hat seine Rolle in der Türkei gefunden. Er betreibt ein Café und organisiert das jährliche Soldatenfest im Ort», sagt Schaffter.
Anders als Vedat und Duran hat Mustafa mit seiner Schweizer Vergangenheit abgeschlossen. «Es war sehr schwierig, mit ihm darüber zu sprechen, weshalb er die Schweiz verlassen musste», erzählt Schaffter, der die Frage gerne geklärt hätte. «Es muss wohl etwas Schwerwiegendes gewesen sein.»
Dem Filmemacher ist es wichtig, dass sich die Zuschauer auf seine Protagonisten einlassen können. «Dafür muss man wissen, wegen welchen Delikts jemand ausgeschafft wurde.» Doch solchen Fragen weicht Mustafa aus. Er habe sich eben für «das schnelle Leben» entschieden, sagt er im Teaser zu «Fondü Türkiye» lediglich.
In einer Szene versucht Mustafa herauszufinden, ob er seinen Sohn in der Schweiz besuchen darf. Er sitzt in einem kargen anatolischen Kaffeehaus, auf dem Tisch ein Notizblock. Sein Schweizerdeutsch hat einen gut erkennbaren Aargauer Einschlag. Der Schweizer Migrationsbeamte am Telefon versteht erst minutenlang nicht, was Mustafa von ihm will. Dann sagt er, dass dafür eine andere Abteilung zuständig sei. Irgendwann erfährt Mustafa, dass seine Chancen schlecht stehen, weil sein Landesverweis unbefristet gelte.
Für die grosse Leinwand gedreht
Um solche intimen Momente einfangen zu können, musste Schaffter viel Zeit mit seinen Protagonisten verbringen. Eine erste Recherchereise unternahm er 2015, seither hat er viele Wochen und Monate in der Türkei verbracht. Die Dreharbeiten sind zu grossen Teilen abgeschlossen, im Juni will Schaffter mit dem Schnitt anfangen.
«Fondü Türkiye» ist Schaffters Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste, die den Film neben der Basler Soap Factory mitproduziert. Die ganze Vorrecherche wurde durch ein Reisestipendium ermöglicht, wofür Schaffter viele Unterstützungsgelder zusammengetragen hat. Trotzdem fehlen ihm für den Finish noch 15’000 Franken.
Schnitt und Abschlussproduktion will er von Profis machen lassen, damit der Film kinotauglich wird. Deshalb läuft derzeit ein Crowdfunding bei Wemakeit. Er macht sich grosse Hoffnungen, dass er das Geld zusammenbekommt. Zu Recht: Weniger als 1500 Franken trennen ihn von seinem Ziel.
Zu einem Happy End könnte es auch für Duran kommen. Vielleicht bekommt er in den nächsten Wochen bereits Bescheid, dass er in die Schweiz zurückkehren darf. Schaffter will ihn dann während seiner letzten Tage in Istanbul und auf der Reise zurück nach Basel begleiten. Zurück in die alte Heimat.
Für «Fondü Türkiye» läuft noch bis zum 25. Mai 2018 eine Crowdfunding-Kampagne bei Wemakeit.