Zwei Kunstpreise und eine Ausstellung an der Liste: Künstler Thomas Moor hätte jetzt einen guten Grund, abzuheben. Tut er aber nicht. Lieber schaut er sich die Besucher an und misst die Temperatur in der Messe.
«Ich imitiere lieber, um die Komplexität des Kunstwerks und die konkreten Elemente der illusio zu ergründen», steht als Aussage Thomas Moors auf dem Blatt, das an der Liste im Booth der Nationale Suisse ausliegt. Die konkreten Elemente der illusio, aha. Soll ein Künstler mit Jahrgang 1988 und zwei frischen Kunstpreisen in der Tasche gesagt haben. Das kann ja heiter werden.
Doch der gedruckte Schein trügt: Thomas Moor fragt nach, erzählt, überlegt, besteht darauf seinen Kaffee selbst zu bezahlen. Dabei hätte er guten Grund, jetzt wenigstens ein bisschen abzuheben: Im März hat er den Nationale Suisse Preis für junge Künstler gewonnen und vor ein paar Tagen gleich noch den Kiefer Hablitzel Preis an den Swiss Art Awards.
«Das ist doch alles etwas seltsam»
Und wie fühlte sich das an, aus den, Zitat Nationale Suisse: «vielversprechendsten Diplomanden aus Schweizer Fachhochschulen» als Gewinner ausgewählt zu werden? «Ziemlich gut», schmunzelt er und zündet sich eine Zigarette an. Ganz begriffen habe er die Situation aber auch jetzt noch nicht: «Am liebsten würde ich das alles super professionalisiert angehen, aber letztendlich habe ich echt gar keine Ahnung, was im Moment grad alles abgeht.» Er lacht. «Das ist doch alles etwas seltsam: Hier zu sitzen und mich mit dir über diese Veranstaltung zu unterhalten und den Preis, den ich für das, was ich mache, bekommen hab.»
Dabei ist das, was er macht, durchaus mehr als nur ein paar Sätze auf einem Saalblatt wert: Für die Zürcher Ausstellung «Plattform 14», in dessen Rahmen der Nationale Suisse Preis vergeben wurde, hat Moor die Arbeit «Power to the Home» konzipiert, eine ortsspezifische Audio-Installation, die im Abstand von 16 Minuten jeweils vier Minuten lang die Ausstellungshalle – das ewz-Unterwerk Selnau –beschallte.
Systeme, die die Welt zusammenhalten
Das ewz als Veranstaltungsort hätte ihn von Anfang an interessiert, meint Moor: «Es ist eine Halle, die sehr stark von dieser Zuschreibung als Ort für Kultur lebt. Und trotzdem bleibt er letzten Endes immer einfach diese Halle, egal ob man jetzt 200 Kaffeetassen oder drei Ölgemälde oder was auch immer reinmacht.»
Also machte er sich auf die Suche nach dessen Geschichte und stiess irgendwann auf einen Unternehmenstext, der beschrieb, wie der Strom dank der ewz-Werke über die starken Stromleitungen von den wilden Bergen zu den Leuten nach Hause geschafft wurde. Moor liess den Text von einer amerikanische Radiostimme sprechen und beschallte die Besucher alle 20 Minuten mit dem pathetisch aufgeladenen Werbetext. «Ich wollte etwas schaffen, das sich mit dem Raum auseinandersetzt, ihn beeinflusst, aber auch seine Funktion damals und heute thematisiert.»
Viel mehr als spezifische Objekte interessieren den Künstler die Systeme, die sie mit der Welt verknüpfen: «Ich will nicht einfach ein Ding schaffen, es hierher bringen und sagen: ‹Schaut her, das ist jetzt Kunst.› Es geht mir darum, das Objekt in seinen Zusammenhängen zu verstehen.» Eigentlich, meint Moor ernst, könne er nämlich nichts so wirklich gut. Seine Stärke sei es, Öffnungen im System zu finden: «Da schleich ich mich dann rein, schaue mich um und mache das Licht an.»
Kunst des Reinschleichens
Sich Reinschleichen war auch bei Moors Bachelor-Abschlussarbeit «Touching Tangibles» Programm: Hierzu schneiderte er zusammen mit einer Fasnachtsschneiderin einen «spidermanmässigen» Anzug, ausgehend von den weissen Handschuhen, die bei Ausstellungen zum Transport der Werke angezogen werden. Dann fragte er bei Kunstinstitutionen an, ob er deren Kunstwerke umarmen durfte. Und da gab es keine Probleme? «Natürlich nicht. Ich hatte doch diesen Schutzanzug», meint Moor ganz selbstverständlich.
Am Schluss hatte er 30 Umarmungen aus verschiedenen Schweizer Institutionen beisammen, verpackte die Fotoaufnahmen davon in eine Diashow und zeigte sie schliesslich «ganz didaktisch» auf einer grossen Leinwand. Die Arbeit ist momentan an den Swiss Art Awards zu sehen und hat ihm auch die zweite Auszeichnung, den Kiefer Hablitzel Preis, eingebracht.
Und was macht er mit den Preisgeldern? Das meiste gehe natürlich für neue Werke drauf, meint Moor. Zum Beispiel für «Temperatur», eine Arbeit bestehend aus einem Thermohygrograph – eine kleine Maschine, mit der Museen das die Luftfeuchtigkeit und Temperatur in den Ausstellungsräumen messen: «Das sind ganz faszinierende Objekte, die stehen oft einfach so in Museen herum, nicht als Teil der Ausstellung, aber auch nicht als Gebrauchsgegenstände für die Besucher.» Moor lieh sich einen solchen Apparat und stellte ihn in verschiedene Museen – zurzeit steht das etwas sperrige Objekt auf einem Sockel im Booth der Nationale Suisse und zeichnet die Temperatur-Tagesrhythmen der Liste auf.
Ein Auge für Zusammenhänge
Es wird klar, wieso Moor die Aufmerksamkeit der Jury auf sich gezogen hat: Seine Arbeiten sind sorgfältig durchdacht, sie setzen sich über das Materielle hinweg und bleiben trotzdem immer subtil – das Bild des Lichtschalters, das Moor zu Beginn des Gespräches verwendete, trifft es gut: Es ist ein Licht, das in seinen Arbeiten an- und aufgeht. Ein Licht, das nicht fokussiert, sondern ausleuchtet und die Beschaffung der Welt nicht in ihren Komponenten, sondern in deren Zusammenhängen aufzeigt.
Nicht nur in der Kunst scheint Moor Themen durch ihre grösseren Zusammenhänge untereinander anzugehen: Als ich ihm von einem Gespräch mit dem israelischen Künstler Ariel Schlesinger erzähle, bei dem dieser meinte, die Art Basel hätte Ähnlichkeit mit einem Schlachthof, sagte er verwundert: «Das hier ist doch kein Schlachthof, es ist eine Olma! Man muss halt einfach wissen, dass man an der Olma ist.»
«Das ist doch alles ganz lustig»
Anstatt sich über die ganzen wichtigen und weniger wichtigen Leute und grossen und kleinen Ärgernisse einer Messe zu nerven, sieht Moor die Veranstaltung als Möglichkeit, wieder einmal ein System zu durchleuchten: «Ich will wahrnehmen, wie das funktioniert hier. All diese Dress- und Verhaltenscodes, ist doch alles extrem lustig, vor allem, wenn es einen interessiert.»
Und das sei das Einzige, was ihn interessiere: wie all diese Werte und Gesetzmässigkeiten entstehen. Deshalb könne er das Ganze auch so entspannt angehen: «Alle hier sind doch auf die eine oder andere Art unsicher. Man darf die Codes einfach nicht mit Wahrheit verwechseln. Dann klappt die Auseinandersetzung ganz gut. Denn wenn mans sich richtig überlegt, dann ist das alles hier doch vor allem eines: Wahnsinnig menschlich.»