«Basel tut sich schwer mit der Erinnerung an Friedrich Nietzsche»

Dank Philosoph und Dozent Andreas Sommer hat Basel nun einen Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Im Gespräch erzählt er, was Nietzsche mit Quecksilber zu tun hat, und was die Herausforderungen an eine Jury sind, die den Preis eines akademischen Enfant Terrible vergibt.

Dank Philosoph und Dozent Andreas Sommer hat Basel nun einen Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Im Gespräch erzählt er, was Nietzsche mit Quecksilber zu tun hat, und was die Herausforderungen an eine Jury sind, die den Preis eines akademischen Enfant Terrible vergibt.

Viele prominente Denker werden mit Basel verbunden, nur einer ist nie unter ihnen: Friedrich Nietzsche. Obwohl der kontroverse Philosoph zehn Jahre lang in Basel unterrichtete und lebte, hat man sich hierzulande bis jetzt nur wenig für die Erinnerung an ihn eingesetzt.

Das soll sich nun ändern: Seit Kurzem gibt es den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis, der alle zwei Jahre abwechselnd in Basel und in Nietzsches Geburtsstadt Naumburg vergeben werden soll. Der Preis geht an ein essayistisches, wissenschaftliches oder literarisches Einzel- oder Gesamtwerk zu philosophischen Gegenständen und Fragen, die mit Nietzsche in Verbindung stehen. Ins Leben gerufen hat diesen Preis der Direktor der Friedrich-Nietzsche-Stiftung Andreas Sommer – der sich sichtlich freut, dass dieser doch eher unbeliebte Denker nun auch in Basel zu einer späten Anerkennung kommt.

Herr Sommer, wer Basel hört, denkt an Jean Tinguely, an Leonhard Euler oder Carl Gustav Jung, aber nicht unbedingt an Friedrich Nietzsche: Welche Relevanz hat Nietzsche für Basel?

Basel tut sich schwer mit der Erinnerung an Friedrich Nietzsche, das ist schon so. Aber es gibt durchaus Bestrebungen, Nietzsche in Basel wieder mehr ins Zentrum zu rücken. Am 25. August, seinem Todestag, wird in der Nähe des Spalentors ein Brunnen mit seinem Namen eingeweiht werden, und auch an der Universität wendet man sich ihm wieder stärker zu. Am Deutschen Seminar wird beispielsweise sein später Nachlass neu ediert. Und der Schwabe-Verlag bringt eine Reihe herausragender «Beiträge zu Friedrich Nietzsche» in Buchform heraus. Es passiert also gerade einiges.

Trotzdem: In der Öffentlichkeit ist er kaum vertreten. 

Das stimmt. Es ist eine öffentliche Wahrnehmung, die seltsam kontrastiert mit dem riesigen, anhaltenden Interesse der internationalen Feuilletons und der Studierenden. Dieses Interesse ist in Basel — wie soll ich sagen — vorsichtig vornehm-verhalten. Basel hat, was Erinnerungskultur angeht, ohnehin nicht die deutsche Neigung, überall eine Tafel hinzuhängen oder ein Denkmal hinzustellen. Was auch zu Nietzsche passt: Er wäre dieser Art von übersteigerter Erinnerungskultur vermutlich sehr bissig-ironisch gegenübergestanden. 

«Nietzsche wäre einer übersteigerten Erinnerungskultur vermutlich sehr bissig-ironisch gegenübergestanden.»

Wie war Nietzsches Verhältnis zu Basel, als er hier lebte?

Als Nietzsche 1869 überraschend nach Basel berufen wurde – übrigens ohne die Regelqualifikation, also ohne Promotion und Habilitation –, kam er in eine völlig fremde Welt. Die Welt einer kleinen Stadtrepublik, die trotz Eidgenossenschaft und Bundesverfassung einen republikanischen Stolz bewahrt hat. Trotz seiner Andersartigkeit kam er sofort an und wurde überall eingeladen. Wenn Sie so wollen, war er der ideale Schwiegersohn-Kandidat. Da gab es viele junge Damen aus dem «Daig», die aus der Perspektive der jeweiligen Familien als Gattinen für den deutschen Jungprofessor hätten infrage kommen können. Mitunter wohl nicht ganz uneigennützig.

Fand er sich in dieser gehobenen Basler Gesellschaft zurecht?

Naja, er hat natürlich erst mal partizipiert. Sie müssen sich vorstellen: Er kommt von draussen und ist sozusagen sofort drin. Mit der Zeit hat sich Nietzsche aber mehr und mehr schwergetan mit diesem Basler — wie er es nannte — Pfahlbürgertum. Er fand das dann doch eine sehr beengende Welt. Dazu kamen Probleme mit der Gesundheit: Er erfüllte seine akademischen Pflichten, so gut es ging, litt aber ständig unter irgendwas. Woran, war nie ganz klar, aber er hat auf jeden Fall gelitten. Nach zehn Jahren gab er die Professur auf und begann mit einer anständigen Basler Rente seine Wanderjahre.



«Nietzsche ist ein Denker für alle möglichen Orte.»

«Nietzsche ist ein Denker für alle möglichen Orte.» (Bild: Nils Fisch)

Und jetzt wird ihm zu Ehren hier ein Preis vergeben. Wieso ausgerechnet Basel? Nietzsches «Orte» sind doch vielmehr Weimar und seine Geburtsstadt Naumburg.

Nietzsche ist kein Autor, der nur auf einer Hochzeit tanzt. Er deckt ganz unterschiedliche Bereiche ab. Und sucht dabei eigentlich immer neue Lebens- und Denkräume. Er ist ein Denker für alle möglichen Orte, ein virtuoser Denker, und so muss er unserer Meinung nach auch an verschiedenen Orten auftreten können. In Basel hat er viele Jahre seines Lebens verbracht, also lag es nahe, sich für diesen Preis an die Basler Bürgergemeinde zu wenden, die sofort begeistert von der Idee war – ebenso wie die Stadt Naumburg, die mit im Boot ist. In Weimar hat Nietzsche nur drei Jahre in geistiger Umnachtung verbracht und ist dort verstorben. Zu Weimar hatte er nie eine bewusste Beziehung.  

Wäre es nicht auch naheliegend gewesen, die Universität einzuspannen? Schliesslich verbrachte Nietzsche den grössten Teil seiner Zeit in Basel als Professor.

Das war durchaus ein Gedanke, wir wollten aber auf der Stiftungs- und politischen Ebene bleiben, zumal das universitäre Interesse an Nietzsche in Basel nicht übermässig ist. Man zeigte dort im Vorfeld wenig Interesse.

Internationaler Friedrich-Nietzsche-Preis

Der Friedrich-Nietzsche-Preis wird ab sofort alle zwei Jahre im Wechsel zwischen Basel und Naumburg verliehen. Er ist mit 15’000 Euro dotiert und richtet sich an ein essayistisches, wissenschaftliches oder literarisches Einzel- oder Gesamtwerk zu philosophischen Gegenständen und Fragen. 

Woher kommt das?

Auch heute noch ist Friedrich Nietzsche ohne Zweifel ein Enfant terrible und akademisch nicht so richtig zu fassen. Er ist ein experimenteller und radikal anti-egalitärer Denker, der quersteht zu den Erwartungen, die man an einen politisch korrekten Intellektuellen im 21. Jahrhundert heranträgt. Und das ist nicht nur im akademischen Bereich so: Auch in Kultur und Politik tut man sich mit ihm schwer, so leicht Nietzsche-Zitate auch von der Lippe gehen. Man kann ihn nicht auf bestimmte Lehren und Ideologien festlegen, er bleibt Quecksilber. Und das macht ihn für Akademiker schwierig.

«Man kann Nietzsche nicht auf bestimmte Lehren und Ideologien festlegen. Das macht ihn für Akademiker schwierig.»

Schwierig auch für Sie, einen Preis in seinem Namen auszuschreiben? 

Absolut. Ich bin sehr gespannt auf die Jury-Diskussion. Ich glaube, das wird eine Herkules-Aufgabe — jemanden zu finden, der nicht nur ein kleines Segment abdeckt. Uns ist wichtig, dass der Preisträger oder die Preisträgerin die Ideen oder Anregungen Nietzsches und seine Provokationskraft annehmen und umsetzen kann. Einem Gottfried-Keller-Preis zu entsprechen, wäre da vielleicht einfacher. Bei Nietzsche gestaltet sich das schwieriger. 

Wann wissen wir, wer der Gewinner ist?

Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, ich hoffe, dass wir es bis Oktober über die Bühne bringen. Aber die Jury ist da sehr frei und nicht weisungsabhängig. Und im Falle einer Juryentscheidung müssten der Preisträger oder die Preisträgerin ja auch noch annehmen. Es könnte natürlich sein, dass der oder die Betreffende sagt: Alle Preise der Welt, aber nicht Nietzsche, Nietzsche finde ich unmöglich.

Ganz im Sinne Nietzsches.

(lacht) Genau.

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Die TagesWoche widmet dem Philosophen eine vierteilige Serie, bisher erschienen:

7 wissenswerte Fakten zu Friedrich Nietzsche

Basel liebt Nietzsche nicht – trotzdem widmet die Stadt ihm nun einen Preis


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