Immer mehr Basler Künstler versuchen ihr Glück ausserhalb Basels. Offspaces versuchen seit ein paar Jahren, diese Abwanderung zu stoppen.
Er schlafe kaum, sagt Pedro Wirz. Der Basler Künstler bereitet gerade seinen Beitrag zu einer Ausstellung im Kornhausforum Bern vor. Doch weil er tagsüber einem Geldjob nachgeht, bleibt ihm dafür wenig Zeit. Er muss Einladungen verschicken, das Netzwerk von Freunden, Galeristen und Sammlern pflegen.
Das Wichtigste kommt zuletzt: Die Kunst. Zuletzt, das heisst für Wirz im Moment abends. Statt nach Hause zu fahren, um zu essen und zu schlafen, geht er ins Atelier. «Ich hätte gern eine gute Galerie, die mir den Rücken freihält», sagt er. «Damit ich mich voll und ganz auf die Kunst konzentrieren kann.» Doch er zweifelt, dass er eine solche in Basel finden kann – aus zwei Gründen: Einerseits verfüge Basel über wenige Galerien, die ihn mit einem spannenden Konzept überzeugen, andererseits scheinen sich, so Pedro Wirz, die meisten Galerien auch nicht für die regionalen jungen Künstler zu interessieren.
Künstler ergreifen Initiative
Wirz steht mit seinem Vorwurf an die regional ansässigen Galeristen nicht alleine da. Es handelt sich um eine relativ träge Masse, so zumindest der Eindruck von aussen. Nur wenig tut sich in dieser Szene – zu wenig für den Geschmack vieler. Die meisten Basler Galerien existieren seit Jahrzehnten. Und die üblichste Veränderung ist keine positive: Immer wieder wandert eine Galerie ab, nach Zürich meist. Neue werden kaum eröffnet. Und die Geschäfte der Verbliebenen laufen in den meisten Fällen schlecht.
Die Trägheit der Basler Galerienszene hat in den letzten Jahren die Kunstschaffenden auf den Plan gerufen. In eigener Initiative haben einige von ihnen selbst Ausstellungsräume eröffnet – die sogenannten Offspaces schiessen wie Pilze aus dem Basler Boden.
Einer dieser umtriebigen Künstler ist Pedro Wirz selbst. Der gebürtige Brasilianer, der gerade sein Studium an der Basler Hochschule für Kunst abgeschlossen hat, hat schon während des Studiums alleine und in Gruppen in verschiedenen Projekträumen ausgestellt, nicht nur in Basel. Als Mitglied des Kuratorenteams «the forever ending story» hat er zudem Ausstellungen organisiert und damit einiges erreicht: Seit Juni stellt er ein Werk an der Rückwand der Basler Kunsthalle aus. Eine gute Referenz fürs Portfolio eines jungen Künstlers, doch der Aufwand dafür sei hoch, sagt er. «Es gibt Phasen wie jetzt, da schlafe ich kaum.» Und trotzdem: «Ohne diesen Aufwand wäre ich nirgends», konstatiert der 29-Jährige.
Ohne Offspaces wäre er nirgends, könnte man Wirz’ Statement umformulieren. In diesen Projekträumen leisten die Kunstschaffenden jene Aufbauarbeit selbst, die sonst eine Galerie übernimmt. Sie planen und richten die Ausstellung ein, sie gestalten und drucken Flyer, machen Werbung auf verschiedenen Kanälen, laden Sammler, Kuratoren und andere Künstler ein. Sie formen sich so das Netzwerk, das notwendig ist, um irgendwann von der Kunst leben zu können, um Karriere zu machen. In der Regel funktionieren Offspaces unkommerziell. Verkäufe werden, wenn, dann direkt über den Künstler getätigt. Viel mehr als einen freien Raum – sei es eine ehemalige Metzgerei wie das «S.A.L.T.S» in Birsfelden, ein leerstehendes Fabrikgebäude wie die «Schwarzwaldallee» oder der einstige Laden des Grossvaters wie das «deuxpiece» – plus mindestens eine initiative Person braucht es nicht. Es mangelt nicht an Künstlern, die in solchen Räumen ausstellen wollen, und es mangelt nicht an Gästen, die vor allem zu den Vernissagen zahlreich pilgern und dafür auch längere Anreisewege in Kauf nehmen.
Offspace-Szene floriert
Im Unterschied zur Galerienszene floriert die Basler Offspace-Szene. Selbst Institutionen haben die Option Projektraum für sich entdeckt, wie das Museum für Gegenwartskunst mit dem benachbarten «Elaine» seit Kurzem beweist. Diesen Boom bestätigt Daniel Baumann, der 2007 mit Kollegen den mittlerweile ältesten und bekanntesten Basler Projektraum «New Jerseyy» am Lothringerplatz initiierte. «Basel hat durch diese Initiativen tatsächlich schweizweit für Aufmerksamkeit gesorgt», sagt er. «Eine richtig gute Sache, aber auch ein Hype, der schnell wieder vorbeigehen kann.»
Die Projekträume haben vordergründig ein Ziel: Basler Künstler sollen in Basel bleiben. «Wir wollten und wollen etwas für den Kunstplatz Basel machen», sagt Baumann. «Gründe schaffen, hier zu bleiben, nicht immer nur abzuwandern.» Also schuf man ein Angebot, das von den Kunstschaffenden seit Anbeginn rege genutzt wird. Doch trotz des reichhaltigen Offspace-Angebots führt für einen Künstler, der international denkt, irgendwann kein Weg mehr an einer Galerie vorbei. Zwar lernt man in Offspaces den Umgang mit dem Ausstellungsbetrieb und dem Publikum, für den Verkauf von Werken ist das Netzwerk eines guten Galeristen mit kauffreudigen Stammkunden jedoch immer noch Gold wert.
Offspaces als Konkurrenz
Den meisten Basler Galerien aber geht es schlecht. Ihre Hauptsorge sind nicht die Offspaces, die in den Verdacht geraten könnten, ihnen Publikum und Künstler wegzunehmen, sondern die Konkurrenz in anderen Städten. Während in Zürich die Basler Offspace-Szene wahrgenommen wird, ignoriert man die Galerien, denn davon hat Zürich selbst mehr als genug. Und weil an der Limmat genügend finanzielles Potenzial und Interesse am Risiko vorhanden ist, blüht das Geschäft mit junger Kunst, während der Basler Markt im selben Sektor stagniert.
Obwohl die Offspaces im Grunde dieselben Ziele haben wie die Galerien auch, sind sie einigen professionellen Kunstverkäufern ein Dorn im Auge – vor allem jenen, die ihren Fokus auf junge Kunst ausgerichtet haben. So sagt Galerist Guillaume Daeppen: «Natürlich sind sie eine Konkurrenz. Und dazu noch eine subventionierte.» Dasselbe meint auch Karin Sutter: «Die Offspaces umgehen dank öffentlichen und privaten Geldern geschickt den Überlebenskampf der Galeristen.»
Tatsächlich finden sich die Logos von Migros-Kulturprozent, Christoph Merian Stiftung oder den Kantonen Baselland und Basel-Stadt auf einigen Websites von Projekträumen wieder, und auch private Stiftungen investieren gerne in die nicht-kommerziellen Lokalitäten. Das Geld wird von den Räumen an die Künstler weitergegeben, die diese damit bespielen. Finanzielle Gewinne gibt es nicht, wie das Beispiel des «New Jerseyy» zeigt: Von den jährlich rund 60 000 Franken Stiftungsgeldern bleibt nach Abzug der Raummiete und dem Ausrichten von elf bis zwölf Ausstellungen im Jahr kein einziger übrig.
In Basel fehlen Käufer
Dass sich Galeristen wie Daeppen oder Sutter trotzdem daran stossen, liegt hauptsächlich daran, dass sie ihren eigentlichen Beruf nur noch ausüben können, wenn sie nebenbei zu mindestens 70 Prozent in einem Bürojob arbeiten. Bei Guillaume Daeppen ist es ein Buchhalterjob, der ihn über Wasser hält, Karin Sutter arbeitet im Moment noch zu 70 Prozent für die mittlerweile geschlossene Galerie Beyeler. Als kommerzielle Betriebe können sie auf keine Subventionen hoffen. Als Konsequenz können sie die Galerie nur zu Randzeiten öffnen. Der Galeristenberuf wird durch äussere Umstände quasi zum Hobby degradiert. Durch die zeitliche Einschränkung müssen zudem etwaige Teilnahmen an Kunstmessen auf ein Minimum beschränkt werden; dabei werden gerade diese immer wichtiger für Galerien. «Dort macht der Galerist heute sein Geld», erklärt Karin Sutter. «Und er erweitert sein Netzwerk, ohne das sowieso nichts läuft.» Dazu kommt, dass eine Galerie, die an vielen Messen präsent ist, auch für einen Künstler attraktiver wird. «Es ist ein regelrechter Teufelskreis», urteilt Sutter.
Ein viel grösseres Problem als die Offspace-Konkurrenz ist für Galerien jedoch, dass in Basel Käufer fehlen. «Zu sagen, es gäbe keine, wäre jedoch verfehlt», sagt Galerist Tony Wüthrich. «Doch es fehlt die ‹kritische Masse› an Sammlern, wie es sie etwa in Zürich gibt, wo auch junge Galerien eine Chance haben, weil sie von einer kauffreudigen jungen Mittelschicht profitieren.» Dieses neue Publikum, das nicht nur schaut, sondern auch ins Portemonnaie greift, wird in Basel immer rarer. Hinzu kommt, dass die Ausstrahlung Basels als Galeristenstadt und als Zentrum für zeitgenössische Kunst in den letzten 25 Jahren kontinuierlich abgenommen hat und es schwierig geworden ist, nationale und internationale Sammler anzulocken, wenn nicht gerade die «Art Basel» stattfindet.
Wüthrich gehört zu jenen Galeristen, die in den vielen Projekträumen eine Bereicherung sehen. «Sie sprechen ein anderes Publikum an als wir», ist er sich sicher. Dass sie jungen Künstlern eine Ausstellungsplattform bieten und dort vielleicht auch künftige Galeristen erste Erfahrungen sammeln können, findet er gut. «Als Galerie kann man sich das in Basel kaum mehr leisten: Denn der Aufbau junger Künstler ist betreuungsintensiv und mit erheblichen Kosten, etwa für Kataloge oder Messebesuche, verbunden. Will man einen solchen Galeriebetrieb seriös betreiben, kostet das Geld. Das jedoch macht man nur mit arrivierter Kunst.»
Vielen Kunstschaffenden bleibt aus diesem Grund nur eines übrig: es jenen Galerien gleich zu tun, die Basel den Rücken kehren. Denn für Künstler, die ein internationales Publikum im Visier haben, bieten die hiesigen Galerien zu wenig Chancen. So kann es zwar sein, dass ein Künstler zuerst sein Glück mit einer Basler Galerie versucht, nach kurzer Zeit jedoch seine Fühler in Richtung Zürich oder Berlin ausstreckt. Andere nehmen von Beginn weg diese Städte ins Visier. «Für die EasyJet-Generation ist das keine Distanz», sagt Daniel Baumann. Bekannteste Auszügler der jüngsten Zeit sind Kilian Rüthemann, der in Basel als Mitbegründer der Projekträume «Schalter» und «Vrits» bekannt geworden ist und nun von der hippen Zürcher Galerie RaebervonStenglin vertreten wird, sowie Emil Michael Klein oder Kaspar Müller, die beide zuvor vom Basler Nicolas Krupp vertreten wurden. Klein hat heute keine Galerievertretung, Müller arbeitet mit der Zürcher Galerie von Francesca Pia zusammen.
Und wer profitiert?
Bei einigen Basler Galeristen macht sich nach solchen Erfahrungen Resignation breit. Man wird nicht gern nur als Sprungbrett missbraucht, hört man, sondern wäre durchaus an längerfristigen Engagements interessiert. Und man würde regionale Künstler auch gerne vertreten, doch man kann ihnen nicht genug bieten. Die Kluft, die in der Basler Kunstszene so entstanden ist, wurde somit von beiden Seiten aufgetan – von den Künstlern im selben Masse wie von den Galeristen. Die Offspaces sehen zwar wie die Nutzniesser dieser Situation aus – den Profit jedoch machen auch sie nicht. Den machen andere, anderswo.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26/10/11