Basler Rock ist reif fürs Museum

Mit einer multimedialen Sonderausstellung präsentiert das Museum für Musik Basler Pop-Geschichte(n).

Hits à Gogo: In der zweiten Hälfte der 60er-Jahre brachte das Schweizer Fernsehen den Beat – hier von The Sevens – in die guten Stuben. (Bild: Ruedi Bertschi/Sammlung Nando Gasparini)

Mit einer multimedialen Sonderausstellung präsentiert das Museum für Musik Basler Pop-Geschichte(n). Ein guter Grund, an die aufregenden Anfangsjahre in den 1950ern und 1960ern zu erinnern.

Im Basler Museum für Musik wird dieser Tage geschraubt, geklebt, ­beschriftet und geputzt, kurz: Platz für eine neue Ausstellung geschaffen, die bis zum nächsten Sommer zu ­sehen sein wird. Sie trägt den Titel «pop@basel» und ist auf die Initiative einer Handvoll Musikfans, einiger Szene-Urgesteine, zurückzuführen: Die Gastronomen Andy Ibach und Ruth Moser, Gitarrist Werner Kunz (Hula Hawaiians), Radiomann Christoph Alispach (SRF3) und Dänu Siegrist vom RFV gelangten mit der Idee an die Museumsleitung – und stiessen auf offene Ohren.

Kuratiert von Martin Kirnbauer erinnert die Schau mit Filmen, Tonbeispielen und vielen Erinnerungsstücken (von Instrumenten über ­Plakate bis hin zu Tonträgern) an die jüngere Basler Musikgeschichte. Erstmals trägt das Historische Museum dieser damit Rechnung.

Pop im Museum für Musik
Die Ausstellung pop@basel ist vom 20. September 2013 bis 29. Juni 2014 im Museum für Musik im Lohnhof Basel zu sehen.

Einer der Co-Initianten hat ganz am Anfang aktiv Geschichte geschrieben. Denn als der Rock ’n’ Roll, diese neue, revolutionäre Subkultur aus den USA, 1955 eine ganze Generation von ­Jugendlichen elektrisierte, stand auch Werner Kunz unter Strom: Damals 18-jährig, spielte er E-Gitarre bei den Hula Hawaiians – einem Unterhaltungsquintett, das 1945 vom exquisiten Lapsteel-Gitarristen Werner Roost ins Leben gerufen worden war und sich auf Hawaii- und Schlagerklassiker spezialisiert hatte. Eines Abends sah er mit Bruder Ruedi (Ukulele) und Kumpel Robert Felix (Kontrabass) im Kino Royal «Blackboard Jungle», den neuen Film mit Glenn Ford: «Zum Filmintro lief ein Song mit einem völlig neuen Sound. Mich hob es fast aus dem Sessel», erinnert sich Kunz. Die akustische ­Offenbarung hatte einen Namen: «Rock Around The Clock». Urheber: Bill Haley & The Comets.

Für Werner Kunz war klar: Diese musikalische Energie galt es aufzugreifen. Zu Hause schrieb der Gymnasiast ein Instrumentalstück, entlockte seiner «Epiphone»-Gitarre die neuen Töne. «Die Gitarre kostete mich 1900 Franken – ein Vermögen», erzählt er. «Leisten konnte ich sie mir nur, weil wir die Anschaffung von Instrumenten aus dem Gagen-Kässeli finanzierten.» Da die Hula Hawaiians damals zu den wenigen privilegierten Musikgruppen gehörten, die einen Plattenvertrag hatten, führte das Kinoerlebnis 1957 zur ersten Rock-’n’-Roll-Veröffentlichung in der Schweizer Musikgeschichte: «The Chimpanzee Rock».

Obschon beim renommierten Label «His Master’s Voice» erschienen, schlug die EP keine hohen Wellen. Ihr historischer Wert wurde erst Jahrzehnte später entdeckt – und das nicht nur in der Schweiz. So hielt das amerikanische «Vintage Guitar Magazine» im Jahr 2001 fest: «The Hula Hawaiians’ music is a ton of fun, with plenty of fine playing.» Für Werner Kunz blieb der Ausflug ins Rocka­billy-Genre aber eine einmalige Angelegenheit: «Wir waren eine Hawaii-Band und wollten dies auch bleiben, ungeachtet der neuen Trends.»

Explosion in Kleinhüningen

So war es an der jüngeren Generation, den Rock ’n’ Roll in Basel fest zu installieren. Eine Pionierrolle nahm der Sänger und Gitarrist Robert Wittner ein (1942–2012), der 1958 die Little Robin Band gründete. Die Gruppe probte im Saal des Kleinhüninger Restaurants Drei Könige und zog durch die Fenster neugierige Blicke anderer Teenager auf sich. Bald breitete sich das Rock-’n’-Roll-Fieber im Quartier aus, neue Bands formierten sich. Wittners Band blieb die explosivste und nannte sich ab 1959 The Red ­Dynamites.

Protestkultur? Sicher, auch das. Vor allem aber trieb die Jugendlichen der Spass an – und die Hoffnung, wie Elvis Presley mit Coverversionen zu Stars zu werden oder sich wenigstens ein Zubrot zu verdienen. Wie das funktionierte, machten die Red Dynamites vor: Mit einer ersten Rock-’n’-Roll-Veranstaltung füllte die Combo den Saal des Drei Könige, 1962 war die Safran Zunft ausverkauft, und schliesslich hielt der Beat auch Einzug ins bürgerliche Stadtcasino. Tausend Zuschauer bejubelten den Auftritt der Band, die sich ab 1964 kurz und knackig The Dynamites nannte – und von der «Tribune de Genève» als «Le premier orchestre ­suisse dans le style Beat» gefeiert wurde.

Gefragte Sammlerstücke

Der Impuls, den sie gaben, war einer der Gründe dafür, dass das untere Kleinbasel erster Brennpunkt der frühen Schweizer Beat-Szene wurde, das Arbeitermilieu im Hafenquartier ein anderer. «Es waren die einfacheren Leute, die den Rock ’n’ Roll so früh entdeckten», erzählte mir Peter Brugger, der wie Wittner zu den ersten Basler Bandleadern zählte. 1959 hatte er im Alter von fünfzehn Jahren The Tornado’s gegründet, die sich später The Blizzards nannten und 1965 als The Sheapes ins Profilager wechselten. Sie waren nicht die Einzigen: Auch The Red Devils und The Sevens (zuvor: Les Pirates) wagten diesen Schritt. «Es hatte einfach zu viele Bands, die schossen wie Pilze aus dem Boden», wird der Schlagzeuger Nando Gasparini im Buch «Als die Haare länger wurden» zitiert. «Man ging entweder unter oder musste Profi werden.»

1965 nahmen The Sevens als erste Schweizer Beat-Band eine komplette LP auf. Heute ist das gleichnamige Album ein Sammlerstück, das in hochwertigem Zustand bei Internetauktionen für 3000 Dollar gehandelt wird und zudem als Raubkopie im Umlauf ist – allerdings in mangelhafter Qualität. Um das zu unterbinden, entschied sich der Basler Sixties-Kenner und Sammler Rolf Rieben 2005, das Sevens-Album auf seinem Retro-Label «Feathered Apple Records» neu herauszubringen. Was nicht nur bei hiesigen Nostalgikern auf offene Ohren stiess: «Ich bin mir sicher, dass diese Platte als Klassiker gewertet wird», freute sich Billy Miller im New Yorker Magazin «Kicks».

Hohe Wellen in den Hafenstädten

Wie Liverpool und Hamburg wurde auch in der Schweiz eine Hafenstadt zum grossen Zentrum für den Rock’n’Roll. Die Beatmusik schlug hohe Wellen, viele Bands probten in Hafennähe – und richteten ihre Blicke nach Norden. In diesen zog es Mitte der 60er-Jahre mehrere Basler Bands: Sowohl The Red Devils als auch The Sheapes spielten im legendären Hamburger Star-Club.

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Und den Countdowns gelang 1967 gar ein vermeintlich grosser Coup, als ihr schlitzohriger Manager Werner Kestenholz in London eine Art Plattenvertrag für seine Protégés an Land zog. Als erste Schweizer Band überquerten die Countdowns den Ärmelkanal und nahmen in der britischen Hauptstadt mehrere Songs auf – wofür sie einige Tausend Franken auftreiben und schliesslich als Lehrgeld abschreiben mussten. Die Platte wurde nie veröffentlicht. «Dennoch behalte ich diese Reise in bester Erinnerung», schwärmt Gitarrist und Songwriter Claude Pfau. «Wir setzten uns in den Pub The Ship, gleich neben dem Marquee Club. Auf einmal kam einer rein und trank neben uns in aller Ruhe seinen Tee. Es war Paul McCartney. Wir waren wie versteinert, trauten uns nicht, ihn anzusprechen.» Heute würde er keine Sekunde zögern.

«Generell würde ich mehr Risiko eingehen», sagt Pfau, der wie der Grossteil der damaligen Szene Ende der 60er-Jahre einen «anständigen Beruf» erlernte und die Ambitionen als Musiker in den Hintergrund rückte. «Seit 1998 sind wir wieder zusammen und präsentieren ‹A History of Rock›, also uns selber, Archetypen ­einer Vorstadtband, die die Welt ­erobern wollte und es fast geschafft hätte», erzählt er lachend – und fährt in ernstem Ton fort: «Ich glaube im tiefsten Innern noch immer, dass der grösste Moment für mich als Musiker noch kommen wird.» Diese Aussage machte er 2009. Und tatsächlich stand der 64-Jährige auch in den letzten Jahren mehrmals auf der Bühne, spielte 2013 unter anderem in einer Basler Version des Who-Musicals «Tommy» mit.

London calling

Daneben kann er von den Erinnerungen zehren, etwa vom Empfang nach der Londonreise: Damals, 1967, wartete am Basler Flughafen ein Kamerateam des Schweizer Fernsehens, Jugendliche jubelten, eine Band spielte, und der achtzehnjährige Claude Pfau wurde mit seinen Bandkumpels in Cadillac-Taxis zur Pressekonferenz ins Szenelokal Brandis chauffiert. Eine clevere Inszenierung, ein Vorläufer des Hypes.

Wenige Monate später mussten die Countdowns wie alle anderen Bands mitansehen, wie die Zürcher Sauterelles auf der Überholspur an ihnen vorbeizogen. Und das, obwohl die Basler die druckvollste Szene in der Schweiz bildeten, wie der Berner Musikjournalist und Chronist Sam Mumenthaler bestätigt: «Die Basler waren musikalisch führend, international ausgerichtet, hatten die Nase immer im Wind. Aber Zürich war das Zentrum der Beat-Szene.»

Tatsächlich: In der Limmatstadt waren die grossen Plattenfirmen zu Hause, dort fanden sich gewieftere Manager als am Rhein oder an der Aare, und mit der 1966 von Jürg Marquard lancierten Zeitschrift «Pop» hatten die Zürcher Bands, namentlich Les Sauterelles, auch einen medialen Fürsprecher. Dies führte dazu, dass manch talentierter und ambitionierter Basler Musiker in Zürich vorstellig wurde: allen voran Rolf ­Antener und Peter Rietmann von den Dynamites (Letzterer ist, wie viele ­Pioniere, verstorben). Sie traten den Sauterelles bei. Antener gelang der Wechsel zum richtigen Zeitpunkt. Er schrieb 1968 gemeinsam mit Toni Vescoli das Lied «Heavenly Club», sang es im Studio ein – und war die erste einheimische Stimme, die auf Platz 1 der Schweizer Hitparade zu hören war.

Am Ehrgeiz hatte es den Baslern nicht gemangelt. Bei Gastspielen der Kinks hatten sie im Gundeldinger Casino und im Kino Union hautnah erleben können, was eine der drei britischen Top-Bands auf der Bühne bot.

Disziplinierte Bandleader

Die Ambitionen waren vorhanden: Während eines vierzehntägigen Engagements auf der Insel Elba probten The Sheapes tagsüber und gaben allabendlich ein Konzert, wie sich Peter Brugger erinnerte. «Als unser Schlagzeuger eines Tages statt zu proben ­lieber tauchen wollte, schloss ich ihn im Zimmer ein. Ich fand, dass das ­einfach nicht drin lag.»

Ebenso diszipliniert verhielt sich Robert Wittner: «In unseren besten Zeiten hatten wir ein Repertoire von über zweihundert Stücken», sagte der Kopf der Dynamites. «Statt stundenlang aufzutreten, konzentrierten wir uns auf die absoluten Top-Hits, um anderen Bands eine Nasenlänge voraus zu sein.»

In der Spitzenphase der Beat-Ära dürften es um die fünfzig Formationen gewesen sein, die in Basel um die Gunst des Publikums buhlten. Ein Dutzend schaffte den Sprung über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus, aber nur The Sevens, The Red Devils und The Sheapes vermochten einige Zeit davon zu leben. «Das Problem lag darin, dass alle dieselben Idole kopierten», analysierte Peter Brugger. «Erst mit Grössen wie Jimi Hendrix begann sich auch in der Basler Szene eine gewisse Individualität durchzusetzen.»

Tatsächlich teilte sich die Szene in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre in zwei Lager auf. Wer nicht wie die Dynamites oder The Sheapes das Handtuch warf, den zog es zum Soul und R&B (etwa Urs Fensters Band Berry Window And His Movements und Thomas Moeckels The Souldiers) oder stärker Richtung Psychedelik (für kurze Zeit etwa The Countdowns und – weit über die Landesgrenzen hinaus zur Kultband geworden: Brainticket).

Peter Brugger entdeckte den Jazz und kehrte dem Rock den Rücken. «Ich machte eine Ausbildung zum Musiklehrer, begann mich für meine ‹Jugendsünde› zu schämen und entsorgte all meine Platten.» Darunter auch eine Liveaufnahme der Sheapes auf einer Compilation-LP des Hamburger Star-Club. Jahre später bereute er die Tat: «Ich versöhnte mich mit meiner Vergangenheit und schaffte mir einige der Platten wieder an. Für jene mit meiner eigenen Musik musste ich satte 500 Franken hinblättern, dermassen rar war ein solches Exemplar geworden.»

Gepflegte Rebellion

Bruggers Rebellion gegen die Rebellion war bemerkenswert und nicht untypisch für die Basler Mentalität. Denn bei aller Wucht, mit der die Rock-Musik einschlug und die Masse fanatisierte, breitete sich die Gegenkultur hier in recht gepflegter Weise aus. «Als in den 80er-Jahren Bands wie Metallica auftauchten, erinnerte mich das an uns selber», sagte Peter Brugger. «Sie verkörperten einen ähnlichen Widerspruch: Vordergründig rebellisch, steckte musikalisch enorm viel Disziplin dahinter.»

Bis zu seiner Pensionierung gab Brugger sein Wissen als Gitarrenlehrer weiter. So auch einem gewissen Jari Altermatt, der selbst einmal durch Deutschland touren würde, mit einer Band, die ebenfalls rebellierte: Navel aus «Arschwil». Doch das ist ein anderes, ein neueres Kapitel in der Basler Musikgeschichte – und daher noch nicht ganz reif fürs Museum.

  • Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch «Pop Basel – Musik und Subkultur», das 2009 beim Christoph Merian Verlag erschienen ist.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 13.09.13

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