Jah Shaka trägt seine musikalische Botschaft in die Kaserne Basel. Damit sie physisch spürbar wird, spielt der Dub-Hohepriester lieber über selbstgebaute Soundsystems als die potente Club-PA. Denn kein Bass federt wie die Tieftöner dieser klingenden Holzkolosse. Entstanden in Jamaika, beschwingen diese heute immer mehr Basler Bäuche und Boxen-Bauer.
Tanzen? Die Frage erübrigt sich im Epizentrum eines Soundsystems: Der Bass lässt die Nasenflügel flattern, schüttelt Körper wie Becher, dass an Schlucken nicht zu denken ist. Es tanzt dich einfach.
Klingt brutal, doch man gibt sich dieser Urgewalt gerne hin. Der Bass wabbert warm und der Beat ist so friedfertig wie die mehr oder minder spirituell aufgeladene Message dazu.
Gewumme mit Gefühl
Ein Dub-Abend kann zu transzendentalen Tanzerfahrungen führen, wie sie auch Hippies und Yogis anstreben. Die Gläubigen heissen hier Rastas. Doch Dub ist genauso Clubmusik für gemütliche Genusstänzer.
Infolge ihrer afrikanischen Ursprünge fokussiert die jamaikanische Erleuchtungsmusik auf den Rhythmus, und der basiert beim Dub auf physisch packendem Bass. Wohl darum stürzen in Basel immer mehr in den Sog der Soundsystems, die sich sonst nicht in der Reggae-Szene tummeln.
Deutscher Reggae-Blogger Socialdread berichtet über die Dub-Szene Basel: «Bunt gemischt und fröhlich am feiern.» (Bild: Nils Kersten)
«Die Schweiz tickt anders», berichtet ein deutscher Reggae-Blogger über den Besuch einer «Step It Up!»-Party in der Kaserne Basel: «Kaum Alternative mit Dreads und selbstgenähten Gewändern oder Party-Spanier» seien da gewesen. «Eher ganz normale Leute bis hin zu etwas schicker, sehr offen. Fröhlich gefeiert haben sie auch.»
Begeistert war der Blogger auch von «Turbo Audio Posse» und «Echolot Dub System». Wie in der jamaikanischen Soundclash-Kultur üblich, battlen die beiden Basler Soundsystems bei dieser Partyserie seit zwei Jahren freundschaftlich um die Gunst des Publikums. Die Mittel sind, anders als bei üblichen DJ-Battles, nicht bloss Musik- und Mixing-Skills. Im Fokus stehen die eigenhändig gebauten Soundsystems selbst, genauer ihr Sound.
Mit ihren austarierten Verstärkeranlangen sind die hölzernen Kolosse sensible Instrumente. Was die DJs, hier Selector oder Operator genannt, an Musik produzieren, ist genau auf ihr Soundsystem abgestimmt. Ihre exklusiven «Dubplates» (Platten) werden nicht gemixt. Der alten Garde in der Szene reicht deshalb ein Plattenspieler. Darauf dreht dieselbe Dubplate bis zu dreimal hintereinander. Doch jeder Durchgang klingt anders. Der Selector verfremdet – oder eben verdubt – den Originalsound mittels Frequenzreglern und Effektgeräten.
Eine Legende kommt nach Basel
Es braucht Fingerspitzengefühl und Erfahrung, dass die Hörner klingeln und der Bass schön warm vibriert. Bei der letzten «Step It Up!» demonstrierte die Londoner Kultfigur Aba Shanti I, dass er auch auf fremden Instrumenten spielen kann. So gut klang das «Echolot Dub System» noch nie.
Bald alle Szenegrössen hat Sandro Bernasconi in den zwei Jahren «Step It Up!» schon in die Kaserne geholt. Und nun kommt Jah Shaka – der unangefochten Grösste im UK-Dub.
Mit den grössten Bassrhythmen sowie den futuristischsten Sirenen, Hörnern und Delays zerstört Jah Shaka alles, was seither an Club Music erschien und verging:
Der Mittsechziger kam als Junge von Jamaika nach England, wo er seit vier Jahrzehnten die Soundsystem-Szene prägt. Als einer der Ersten legte er in Personalunion Platten auf, mixte und sang auch noch dazu – spektakulär sind zudem seine ekstatischen Tanzeinlagen. In den 1970er-Jahren gründete Jah Shaka sein Label und veröffentlichte darauf nebst eigenen Produktionen Legenden wie Horace Andy (auch bekannt als Stimme von Massive Attack), Max Romeo oder Mad Professor.
Als die anderen Soundsystems in den 1980er-Jahren die angesagten neuen Dancehall Riddims spielten, mit digitalen Beats und mehr Sex als spirituellen Texten, verfolgte Jah Shaka unbeirrt seinen «Roots and Culture»-Anspruch. Bei der neueren Dub-Generation wird er dafür verehrt wie ein Heiliger.
Aber Jah Shaka geniesst heute weit über die Szene hinaus Respekt. So wurde er etwa nebst Musikern wie Nick Cave, Patty Smith, Iggy Pop, Portishead oder Sonic Youth an die legendäre All Tomorrow’s Parties geladen und ist als einziger Reggae-Artist Teil der Festival-Dokumentation. Auch die Club-Szene huldigt ihm.
«Das ist der Gipfel von ein paar Jahren Aufbauarbeit in der Soundsystem-Szene.»
Die Produzenten verehren dabei nicht nur seine Künste im Schneiden von Dubplates. Roly Porter, früher düsterer Dubstepper, jetzt Noise-Act, schwärmt: «Als es angesagt war, dachte ich, dass Jungle die futuristischste, basslastigste und effektivste Dance Music überhaupt sei. Mit Sicherheit dachten viele Leute so über Dubstep. Aber seit den Siebzigern hat Jah Shaka all das konsequent zerstört: mit den grössten Bass-, den intensivsten und ansteckendsten Dance-Rhythmen sowie den futuristischsten Sirenen, Hörnern und Delays – alles unter einer spirituellen Friedensbotschaft vereint. Er ist der wahre Meister.»
Die britische Insel verlässt Jah Shaka nicht so oft, und wenn dann am ehesten nach Jamaika. In der Schweiz war er das letzte Mal vor sieben Jahren. Damals hätte sich hier kaum ein passendes Instrument für ihn finden lassen. Und über eine normale Club-PA, die zwar viel potenter ist, aber von der Klangästhetik nicht passt, spielt er nicht. Umso mehr freut sich Bernasconi, selbst passionierter Besucher von Dub-Festivals in ganz Europa, über das exklusive Gastspiel: «Das ist der Gipfel von ein paar Jahren Aufbauarbeit in der Soundsystem-Szene.»
Basler Soundsystems im Aufschwung
Bereits in der ehemaligen ABX-Bar auf dem nt/Areal buchte Bernasconi Soundsystems, seit gut vier Jahren auch in der Kaserne: erst bei den sonntäglichen Sunday Dishes im Gang, dann mit «Tear Down Basylon», dem ersten Clash aller Basler Soundsystems. Seither forciert er die Szene mit der «Step It Up!»-Serie sowie den Nomidance-Anlässen, wo etwa während der Art Basel oder dem Open Air Basel nachmittags ein Soundsystem schallt.
Kam anfangs nur eine eingeschworene Truppe von 50 Leuten, tanzen heute gut 300 an den «Step It Up!»-Anlässen. Ähnlich die Entwicklung bei den Soundsystems: Vor zehn Jahren gab es hier nur das «Green Venom»-System von Sonic Immortal, das allerdings nicht immer voll einsatzfähig war. Heute hat die Region wohl die höchste Dichte an Soundsystems in der Schweiz. In den letzten Jahren bauten «Melchezidek HIGH POWA», die «Turbo Audio Posse» und zuletzt das «Echolot Dub System» eigene Türme.
Bislang stellten «Turbo Audio Posse» (rot) und «Echolot Dub System» ihre Anlagen nebeneinander auf. Für Jah Shaka vereinigen sie all ihr Material zu drei Türmen. (Bild: zVg)
«Soundsystems sind eigentlich ein musikalischer Anachronismus: zu gross, zu klobig, sauschwer und ganz anders gebaut als moderne Anlagen», so Luc Montini, Erbauer und als Belly Ranking auch Bediener von «Turbo Audio Posse». Warum diese Box gewordenen Bubenträume besser klingen als moderne Topanlagen, kann der Musiker und Studiobesitzer technisch kaum erklären: «Eine Klangquelle sollte eigentlich nicht schwingen, genau das machen die selbstgebauten Boxen. Vielleicht ist dies das Geheimnis.»
Montini betreibt sein Soundsystem als Hobby, aber mit viel Herz. «Eine Party mit dem System, braucht fast einen Tag Vorbereitung. Allein der Aufbau vor Ort dauert locker vier Stunden, doch schon nach dem Einladen im Studio bin ich fix und fertig.» Kein Wunder, all die Boxen und Verstärker bringen locker eine Tonne auf die Wage.
In der spanischen Stadt Almeria gibt es jetzt auch ein Soundsystem: Hier entsteht «Mystical Hifi»:
Doch Bass hat grosses Suchtpotenzial. Sein ursprüngliches System hat Montini letztes Jahr verdoppelt und gerade baut er ein «kleineres» dazu – nach den Bauplänen des legendären «Home Town HiFi»-Soundsystems von King Tubby aus den Sechzigern. Mit seinen für die Zeit einzigartigen Hall- und Echoeffekten prägte der 1989 erschossene Dub-Pionier diesen Musikstil massiv mit.
Das kleine System bleibt am Samstag in der Werkstatt, dafür belädt Montini zweimal den grossen Transporter der Kaserne, um all sein Material in die Kaserne zu bekommen. Für Jah Shaka baut er erstmals nicht gegen, sondern gemeinsam mit dem «Echolot Sound System» auf. In der Reithalle stehen dann drei Boxentürme, wie es bei den Dancehalls üblich ist. Ein Bermuda-Dreick der Bässe.
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Samstag, 22. Oktober, 23 Uhr, Jah Shaka powered by Echolot Dub System & Turbo Audio Posse, Reithalle Kaserne Basel.