Baum: Die Knochenarbeit eines Basler Songwriters

Er läutet den Schlussabend des Stimmen-Festivals ein: Baum alias Christoph Baumgartner. Der Singer-Songwriter hat vor mehr als zehn Jahren den Moderationsjob beim SRF an den Nagel gehängt, um seither als singender Geschichtenerzähler zu arbeiten.

Lieber zufrieden als reich: Christoph Baumgartner hängte den Moderationsjob an den Nagel und startete als Baum eine Musikerkarriere.

(Bild: Remo Buess)

Er läutet den Schlussabend des Stimmen-Festivals ein: Baum alias Christoph Baumgartner. Der Singer-Songwriter hat vor mehr als zehn Jahren den Moderationsjob beim SRF an den Nagel gehängt, um seither als singender Geschichtenerzähler zu arbeiten.

Christoph Baumgartner erscheint völlig durchnässt zu unserem Treffen am Rhein. Er musste sich rasch abkühlen. Und sagt, er sei in diesem heissen Sommer froh um jeden Grund, seine Wohnung im St. Johann verlassen zu können. Dachwohnung, wir verstehen ihn. Zumal sein Zuhause auch sein Arbeitsort ist. 

Jeden Morgen geht sein Wecker um 6.45 Uhr. Um 7.30 Uhr beginnt Baum, so sein abgekürzter Künstlername, mit der Arbeit. Seit Jahren lebt er von dem, was ihm die Musik einbringt. 90 Prozent eines Tages geht für Organisation und Administration drauf, sagt er, für die restlichen zehn Prozent brennt er: Musikmachen, seine Songs ans Publikum tragen. Es ist kein leichtes Überleben, doch Baum orientiert sich gerne an seinem Grossvater, einem Kleinbasler Büezer, der ihn lehrte, was hart arbeiten und Verzicht auf Luxus heisst. 

Dabei hätte er es sich gemütlicher einrichten können. 13 Jahre lang stand er hauptberuflich im Dienst von DRS 3 und «Schweiz aktuell». Die eigene Musik spielte eine untergeordnete Rolle, auch wenn er bei Outland Teil einer Band war, über die man in den 90er-Jahren redete. Die Arbeit beim Schweizer Fernsehen zog ihn nach Zürich, aus Distanz verfolgte er mit, wie sich die Bandszene wandelte, wie der Konzertraum im Atlantis für Housefans umgenutzt wurde.

Lieber zufrieden als reich

Bei aller Popularität, die ihm seine Arbeit vor der Kamera einbrachte: Sie erfüllte ihn auf Dauer nicht. Seine siebenjährige Tochter merkte das 2002 und fragte ihn, ob er glücklich sei. War er nicht. «Ich habe lieber einen zufriedenen als einen reichen Papi», sagte sie ihm. Die Klarheit seiner Tochter überzeugte ihn, tags darauf reichte er am Leutschenbach die Kündigung ein, um sich ganz der Musik zu widmen. Das haben viele nicht verstanden, «einmal Moderadiesli, immer Moderadiesli», sagt Baum.

Hat ihm das Netzwerk von Kollegen bei Radio und Fernsehen wenigstens zu Airplays verholfen? Immerhin kam er schon zu Talkauftritten bei «Glanz & Gloria» oder «Aeschbacher», nicht schlecht für einen Singer-Songwriter. «Aber es schlossen sich auch einige Türen hinter mir, ja, mitunter war es sogar hinderlich», sagt er offen. Denn bei manchen SRF-Angestellten gilt Ausstieg als Verrat.

Musiker statt Moderator also. Freischaffend, ohne 13. Monatslohn, ohne Sicherheitsnetz. Konsequente Aufgabe aufgrund der grossen Hingabe. Baum kehrte nach Basel zurück und suchte zugleich das Weite: Seine Agentur vertrat auch Van Morrison, er konnte eine grosse Tournee im Vorprogramm bestreiten. Ohne Gage, mit 5-Sterne-Hotel. Den Launen des Hauptacts und dessen Fans ausgesetzt, lernte er, ein fremdes Publikum zu gewinnen. Zwar wurde er nicht immer freundlich behandelt vom knorrigen Van Morrison, doch ein Jahr später auf dessen Wunsch wieder ins Vorprogramm gebeten.

Danach tourte er alleine durch Irland, schlug sich durch, von Pub zu Club, «weil ich wusste, dass ich dort etwas lernen kann. Die Iren sind grossartige Geschichtenerzähler, müssen es sein, um das Publikum zu gewinnen, in einem Land wo es unzählige Sänger gibt.» 

«Es gab eine Zeit, da kannte ich jedes Budgetprodukt im Einkaufsladen.»

Bei der zweiten Tournee bekam er das Essen vor dem Konzert zum halben Preis, beim dritten Irland-Trip wurde er eingeladen. So lernte er eine Demut, die manchen Musikern in der Schweiz guttun würde, die im Vergleich zu Kollegen im Ausland oft an «First World Problems» leiden, wie er aus seiner Erfahrung weiss. Geld verdient hat er mit den CD-Verkäufen, die Gagen deckten nur die Spesen, die Schweizer Miete war davon nicht zu bezahlen. Sein Zahlungsrückstand zu Hause mündete 2011 in einem Albumtitel, «Music for my Landlord». Er widmete die CD seinem Vermieter, der nachsichtig war, denn am Ende der 150 Konzerte, die er im gleichen Jahr gab, blieben noch immer Schulden.

Auf das Vertrauen, das ihm sein Vermieter entgegenbringt, ist er bis heute angewiesen – und schätzt dies ungemein. Noch immer zahlt er Schulden ab. «Aber es geht mir besser», sagt er. So befreiend sein Ausstieg aus dem klassischen Berufsalltag war, so schmerzhaft waren manche Jahre. «Es gab eine Zeit, da kannte ich jedes Budgetprodukt im Einkaufsladen – aus der Not heraus», sagt er. In diesem Jahr hat er sich immerhin erstmals seit 14 Jahren Urlaub geleistet. Seine Freundin wünschte sich mal eine Reise, die nicht mit Konzerten zusammenhing, sondern einfach mal Ferien. Indonesien. Hat gut getan, sagt er.

Und was machen seine Kinder? Sie wandeln auf seinen Spuren, die Tochter ist mittlerweile erwachsen und arbeitet bei Radio Basilisk, der Sohn ist ein talentierter Musiker und strebt einen Abschluss am Genfer Konservatorium an. Je älter sie werden, umso mehr könnte der Vater sich auch Gedanken übers Auswandern machen. «Stimmt», sagt er, «aber es müsste mit einer Aufgabe zusammenhängen. Und wenn, dann am liebsten nach New York, die Stadt fühlt sich wie eine Heimat an für mich, wie ein Basel im Grossen.»  

Dank Werbespot im Radio

Durch Plattenaufnahmen hat er schon einige Monate im Big Apple verbracht, Kontakte geknüpft und auch das eine oder andere Türchen geöffnet. Was etwa dazu geführt hat, dass er mit erstklassigen Studiomusikern Aufnahmen machte – und gar Songs im US-Fernsehen platzieren konnte. Auch in der Schweiz zahlt sich seine Beharrlichkeit, seine Fokussierung zunehmend aus. So klopfte im letzten Jahr Möbel Pfister an, verwendete «Home One Day» für einen Werbespot, was finanziell durchaus was brachte und zur Folge hatte, dass das Lied seit einem Jahr auch auf den Schweizer Radiostationen zu hören ist.

Zum Erfolg trägt auch ein professionelleres Umfeld bei. Während andere Musiker keinen Sinn mehr in den klassischen Plattenfirmen sehen, arbeitet Baum mit Warner Music zusammen und weiss nur Positives zu berichten: «Ich verfüge nicht über dieselben Medienkontakte», sagt er. Und offenbart, dass er jetzt aus Deutschland das Signal erhalten habe, ein ganzes Album aufzunehmen. «Die wissen, dass ich keine Hitmaschine bin und glauben in längerfristigen Perspektiven an meine Musik. Das ist das, was ich gesucht habe», sagt Baum. 

Mit Festivalauftritten hält er sich mit seiner Band im Gespräch, aber die Knochenarbeit ist damit auch in diesem Jahr absehbar: Denn noch sind die Songs für das neue Album nicht geschrieben. So bleibt ihm die Hoffnung, dass der Sommer nicht weiterhin so heiss ist wie im Juli. Denn bis Ende Jahr gilt es, seinem Motto «Penpapercoffee» – wie er seine letztjährige EP treffend betitelt hat –, treu zu bleiben. Aufstehen, nachdenken, Texte schreiben, Geschichten erzählen. Dazwischen Kaffee trinken und Gitarre spielen. Es gilt, bis Ende Jahr ein neues Album zu vollenden. Hitzetage müssten da nicht sein, denn mit der Arbeit ist bei Baum schon genug Feuer unter dem Dach. 

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Stimmen-Festival: Baum und The Hooters, Rosenfelspark Lörrach, Sonntag, 26. Juli, 20 Uhr. 

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