Der Autor Peter Wawerzinek trank, um im Mittelpunkt zu stehen. Und kam davon weg, indem er ganz auf Literatur setzte. Dabei fand er wieder den Mittelpunkt: 2010 in Form des Bachmann Preises.
Peter Wawerzinek ist ein wenig über 1.60 Meter gross, radikal informell gekleidet und mit seiner Berliner Schnauze auf keinen Fall für einen gepflegten Literaturdiskurs zu haben. Schöner hätte deshalb der Kontrast nicht sein können, als ihn das Hotel Eden in Rheinfelden neulich für eine Lesereihe gebucht hat – ein Ort, wo alles piekfein ist und zugleich etwas bieder. Im Gegensatz zu diesem Ambiente quasselt Wawerzinek, wie ihm, dem «Schluckspecht», der Schnabel gewachsen ist.
Unter diesem Titel hat er ein Buch über sein Leben als Trinker geschrieben. Zugleich beschreibt Wawerzinek darin, wie ihn das Schreiben vom Saufen weggebracht hat. In beidem findet er etwas, was er nicht missen kann: den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Seinen Durchbruch hatte Wawerzinek mit dem Roman «Rabenliebe», der ihm 2010 den Bachmann-Preis bescherte.
Als wir den 60-Jährigen im Unternehmen Mitte treffen, starten wir mit Kaffee und enden im Manger-Boire mit Gin Tonic. Wo man schon mal so zusammensitzt.
Herr Wawerzinek, was ist das Schöne am Trinken?
Dass man zusammenkommt. Man trifft sich nachmittags und versucht, über die Mitternacht zu kommen. Zusammensitzen, rumschnacken, Albernheiten machen.
Trinken macht nicht einsam?
Nein. Also die gibt es auch, die still im Eckchen sitzen und ihr Pensum bewältigen. Die habe ich immer bemitleidet. Für mich waren Kneipen immer ein grosses Hallo.
Sind Sie zum Trinken gekommen, um Einsamkeit zu vermeiden?
Nein, Einsamkeit kenne ich nur beim Schreiben. Da trinke und rauche ich nicht. Schreibarbeit ist suchtfrei, ausser Musik hören. Den richtigen Song zu hören, kann den Schreibmotor anwerfen.
Ihr Buch ist selber wie ein Musikstück geschrieben, wie ein Songtext.
Ich habe häufig empfohlen, zum Lesen Musik anzustellen. Ich habe auch viele Musikhinweise hineingeschrieben. The Who, Led Zeppelin. Man braucht für dieses Buch einen gewissen Rhythmus. Wenn man den mal hat, dann wartet man nur so, bis der nächste Hinweis kommt. Der Leser sollte seinen Spass haben. Wenn ich lese, dann singe ich, rappe ich. Der ganze Literaturzirkus wird viel zu ernst genommen.
Wofür lesen Sie?
Ich lese gerne Bücher, die sehr lange nicht verraten, worum es geht. Und irgendwann muss eine Überraschung kommen.
Wollen Sie unterhalten werden?
Ich suche nicht die spassige Unterhaltung. Kabaretts und so einen Schwachsinn kann ich nicht leiden. Ich bin ein altlastiger Typ. Ich lese gern Texte mit Abstand wieder, die ich von früher kenne. Auch um zu lernen, wie es die anderen machen. Kafka zum Beispiel, den haben wir damals alle gelesen und darüber geredet. Aber mehr, um zu sagen: «Wow, geiler Typ!»
Woher kommt eigentlich Ihr Spitzname?
Aus Wawerzinek wurde in der Kindheit Wauwau, weil kein Kind das aussprechen konnte. Daraus wurde Hundefutter, dann war ich Pal, Frolic und Schappy ist hängengeblieben. Ich hab immer versucht, daraus S. C. Happy zu machen, Doktor der Fröhlichkeit.
Nehmen Ihre alten Saufkumpels Sie noch ernst?
Die haben grossen Respekt vor meinem Ausstieg.
Sie haben ein gesundes Selbstvertrauen. Gibt es etwas, was Sie an sich nicht mögen?
Ja, dass ich nicht so der grosse Frauenliebhaber bin. Nicht, dass ich etwas gegen Frauen hätte, aber ich bin nicht so scharf darauf. Irgendwann sterbe ich und habe von der ganzen Frauenwelt nicht viel gehabt – das wird auf jeden Fall das Thema des nächsten Buches.
Sind Sie vielleicht schwul?
Nein, auf keinen Fall. Es ist eher eine Kontaktscheu. Flirten, lange knutschen, Händchen halten, das kann ich alles nicht. Das ist mir zu umständlich, das bringt mir persönlich nichts. Vielleicht kann man es damit begründen, dass ich ohne Eltern aufgewachsen bin, vielleicht ist es einfach verklemmt. Aber dieses Beim-Anstossen-in-die-Augen-Kucken – ich glaube, dass sich die Liebenden sehr viel abzwingen, was nicht mit Echtheit zu tun hat.
Was vermissen Sie denn?
Es gibt bestimmt Arten von Liebe, die nicht so Etepetete sind, wie es im europäischen Raum gehandhabt wird. Bei den Mongolen zum Beispiel wird man als Gast nicht aufgenommen, bevor man mit der Tochter geschlafen hat. Auch was bei uns in den 1968er-Jahren passierte, war doch alles verklemmter Quatsch.
Haben Sie jemals geliebt?
Ganz kurz mal. Während der Therapie auf dem Land jene Dorffrische, die sich selber Dorffrische nannte. Das war das erste Mal, mit 50 Jahren, das müssen Sie sich mal vorstellen.
Und?
Das hat sich dann Gott sei Dank erledigt, kurz bevor ich wegging, und letztlich mein Schreiben ausgelöst. Als sie erfuhr, dass ich gross rauskommen will, wollte sie lieber einen Bauern mit zwei Gehöften und so. Sie hat gemerkt, dass Dorffrische und Dichter nicht so richtig funktioniert. Etwas Besseres konnte mir im Grunde nicht passieren.
Sie sind im Literaturbetrieb angekommen. Wie gefällts Ihnen dort?
Es ist seither leichter, an Stipendien ranzukommen. Sonst geht mich der Betrieb nichts an. Aber ich finde es gut, wenn ich helfen kann. Wenn ich unter eine Bewerbung schreiben kann, dass die Person meiner Meinung nach gute Texte macht, und das klappt dann.
Wann nervt er Sie?
Wenn ich den Betrieb im Fernsehen sehe und die Schlaumeier auf dem Bildschirm erscheinen, die dann angeblich wissen, was in Georgien oder im Irak passiert. Mich nervt auch Denis Scheck. Der sucht nicht, entdeckt nicht. Er bespricht Vorhandenes und hat nur seine Sendung «Druckfrisch» im Kopf. Auch Elke Heidenreich hat keine Ahnung von Literatur. Da ist kein Interesse, keine Sympathie, sondern Machtspiel. Man will nicht andere Bücher als die FAZ besprechen, sondern nur früher, damit man der Entdecker war. Diese Medienleute haben Macht, die sie nicht abtreten und nicht rotieren lassen. Genauso in den Preisjurys. Beim Bachmannpreis wurden in den letzten Jahren lediglich einzelne Personen ausgetauscht. Das kann doch nicht wahr sein!
Wie entdeckt man gute Literatur?
Das spürt man.
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Peter Wawerzinek: Schluckspecht. 2014; Galiani, 460 Seiten.