Behutsamkeit und Abwechslung: Im Universum der Architektin Lina Bo Bardi

Die brasilianische Architektin Lina Bo Bardi kennt man hier kaum. Das Architekturmuseum möchte diesen Umstand mit einer Ausstellung ändern.

Die markanten Betontürme des Kultur- und Sportzentrums SECS Pompéia. (Bild: zVg)

Die brasilianische Architektin Lina Bo Bardi kennt man hier kaum. Das Schweizerische Architekturmuseum möchte diesen Umstand mit einer Ausstellung ändern.

Wer an die klassisch moderne Architektur Brasiliens denkt, dem kommen unweigerlich Namen wie Oscar Niemeyer oder Lucio Costa in den Sinn, deren skulpturale Betonbauten für die Hauptstadt Brasilia bis heute wenig an Faszination eingebüsst haben. Dass es in Brasilien darüber hinaus viele weitere Architekturperlen zu entdecken gäbe, zeigt die von Noemì Blager in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Madelon Vriesendorp und dem Künstler Tapio Snellman kuratierte Schau zu Lina Bo Bardi. Das Werk der 1992 verstorbenen Architektin war letztmals vor über zehn Jahren im Rahmen einer Ausstellung am Museum für Gestaltung in Zürich zu sehen. Um so erfreulicher ist es, dass die Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen Erbe des Multitalents weitergeht.

Bo Bardi wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Italien geboren und schloss ihr Architekturstudium im Ausbruchsjahr des folgenden Weltkrieges ab. Die während jener Jahre zum Stillstand gekommene Bautätigkeit zwang sie, publizistisch tätig zu werden. Nach kurzer Zusammenarbeit mit Gio Ponti wurde sie in den letzten beiden Kriegsjahren zur stellvertretenden Leiterin der bedeutenden Architektur- und Design-Zeitschrift «Domus». Nach 1945 dokumentiert sie die kriegsbedingten Zerstörungen in Italien und setzt sich für den Wiederaufbau in einer modernen Architektursprache ein. Sie heiratet den Journalisten und Kunstkritiker Pietro Maria Bardi, mit dem sie 1946 Italien für immer in Richtung Brasilien verlässt.

Besonderes und Alltägliches

An diesem Zeitpunkt setzt nun die Ausstellung im Architekturmuseum ein, wobei Bardis Neuanfang in Brasilien im letzten Raum zu suchen ist. Dieser ist ihrem ersten Gebäude, dem eigenen Wohnhaus – der Casa de Vidro in São Paulo – gewidmet, das schon Max Bill seiner Eleganz wegen lobte (siehe Bild). Der auf dünnen Stelzen ruhende Bau ist inmitten eines alten Baumbestandes situiert. Aus dem auf die Höhe der Baumkronen gehobenen Innenraum geben Glaswände die Sicht frei auf die immergrüne Vegetation. Die grossformatigen Abbildungen und ein Film Snellmans richten den Blick gleichzeitig gegen das Gebäudeinnere und geben einen Eindruck von Bo Bardis eigenem Universum. Sie offenbaren ihr unbeirrbares Auge für die Schönheiten, die das Besondere wie das Alltägliche gleichermassen bieten: Moderne Möbelikonen stehen neben einem italienischen Renaissanceschrank, abstrakte Malerei wechselt sich ab mit Volkskunst aus Pappmaché. 


(Bild: zVg)

Die Casa de Vidro ist in vielerlei Hinsicht ein Sinnbild für Bo Bardis Gesamtwerk: Der Behutsamkeit, mit der das Haus in Beziehung zu seiner Umgebung gesetzt wurde, wie auch dem Abwechslungsreichtum der darin versammelten Gegenstände begegnet man in ihrem Schaffen auf Schritt und Tritt. Sie veranstaltet Ausstellungen, übernimmt diverse Lehrtätigkeiten, publiziert, entwirft Kostüme und Bühnenbilder für Theaterstücke, gestaltet Möbel und anderes mehr. Daneben baut sie beispielsweise das berühmte São Paulo-Kunstmuseum, dessen kühne Konstruktion den Blick auf das Stadtzentrum frei behält und gleichzeitig einen überdachten Platz für diverse Veranstaltungen schafft. Das Innere ist nicht weniger spektakulär, hängen doch die Gemälde nicht wie gewohnt an weissen Wänden, sondern an transparenten Glasstelen.

Die Ausstellungsmacher haben sich angesichts der Fülle, die Bo Bardis Werk bietet, dazu entschieden, das für die sozial engagierte Architektin so zentrale Anliegen herauszugreifen, für eine breite Bevölkerung funktionierende Lebensräume zu schaffen. Stellvertretend dafür stellen Vriesendorp und Snellman zwei für das öffentliche Leben wichtige, von Bo Bardi umgestaltete Bauten ins Rampenlicht: Das Museu de Arte Popular do Unhão in Salvador und das rund fünfzehn Jahre später entstandene Kultur- und Sportzentrum SESC Pompéia in São Paolo. Sie tun dies aber nicht im gewohnten Sinne als Dokumentation über Architektur, sondern in einer künstlerischen Auseinandersetzung, die mit der Architektur stattfindet.

Handfeste Zeugnisse

Madelon Vriesendorp, die vor noch nicht allzu langer Zeit selbst mit einer Retrospektive im SAM zu sehen war, veranstaltete dazu Workshops im Museum für Volkskunst. Die dort entstandenen Figuren und Objekte sind zusammen mit einigen ihrer eigenen Kunstwerke in verschiedenen Schaukästen und Vitrinen ausgestellt. Sie sollen wohl nicht bloss handfestes Zeugnis der Nutzung von Bo Bardis Architektur sein, sondern auch an die für sie wichtige Auseinandersetzung mit dem brasilianischen Handwerk erinnern, mit dem sie während des Museumsumbau in der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre eingehend beschäftigte.

Tapio Snellman seinerseits gelingt es, mit filmischen Mitteln einen Eindruck vom Innenleben einer von Bo Bardi zum Sport- und Kulturzentrum umgebauten Industriebrache in São Paolo zu geben. Die aufwändig inszenierten Projektionen zeigen Menschen beim Schachspiel, Zeitunglesen, Basketballmatch, beim einfachen Zusammensein und führen damit vor allem vor Augen, dass das Zentrum bis heute rege und mit grosser Selbstverständlichkeit von der Bevölkerung genutzt wird.

Neue Präsentations-Richtung

Diese Inszenierungen fügen sich gut in die neue Richtung ein, die das Schweizerische Architekturmuseum in letzter Zeit in Bezug auf die Präsentation von Architektur einzuschlagen versucht hat. Architektur wird nicht mehr in Form von objektivierenden Plänen, Modellen und Abbildungen vorgeführt, sondern will durch eine beabsichtigt subjektive und künstlerische Perspektive direkter und sinnlicher erfahrbar gemacht werden. Mit Sicherheit liegen die Stärken der derzeitigen Ausstellung in ihrer Sinnlichkeit und der vieldeutigen Botschaft, dass Architektur zuallererst Orte des menschlichen Zusammenseins schaffen soll.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob damit für den Besucher, der Lina Bo Bardi kaum kennt, die Ausstellung an Attraktivität gewinnt. Für ihn wird gerade zu Beginn der Präsentation durchaus nicht immer klar, worin genau der Bezug zu Bo Bardis Schaffen besteht und wie er das eng ineinander verflochtene Werk der beteiligten Persönlichkeiten entziffern soll. Natürlich kann man dieses Streben nach Klarheit für naiv halten. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass Orientierungslosigkeit im schlimmsten Fall frustrierend wirkt und damit das Ziel der Ausstellung in Gefahr bringt, Lust zu machen, mehr über Lino Bo Bardi in Erfahrung bringen zu wollen.

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