Bleiche Briten auf den Spuren des Souls: Die Tindersticks in Lörrach.
(Bild: Juri Junkov)Starke Songwriterin und versierte Musikerin: Lùisa aus Hamburg begeisterte im Vorprogramm.
(Bild: Juri Junkov)Alter Romantiker: Stuart Staples sang im Rosenfelspark beseelt.
(Bild: Juri Junkov)Eine Band nimmt Fahrt auf: Die Tindersticks wechselten von Schwermut zu tanzbarem Groove.
(Bild: Juri Junkov)Die Freude nach dem gelungenen Gig lässt Sänger Stuart Staples (Mitte) für einmal lächeln.
(Bild: Juri Junkov)Was für eine Atmosphäre: Der Rosenfelspark bot die perfekte Kulisse für den Auftritt der Tindersticks.
(Bild: Juri Junkov)Am Ende, bevor die Band abgeht, spricht Sänger Stuart Staples doch mal einen ganzen Satz: «It’s been a real pleasure to play for you – and the trees.» Und wenn man den Rücken zur Bühne kehrt und in die illuminierten Bäume blickt, die den Rosenfelspark säumen, kann man verstehen, dass diese Kulisse den alten Romantiker besonders motiviert.
Es ist der Abschluss eines Konzertabends, wie man ihn so stimmungsvoll und stimmig selten erlebt. Dazu trägt auch eine junge Musikerin im Vorprogramm bei. Lùisa kommt aus Hamburg und freut sich, endlich im Süden und bei Sommerwetter auftreten zu dürfen. Zum Einstieg singt sie Lieder zur Gitarrenbegleitung, eines davon auf Französisch. Dem mittelalten Mann, der den einen grossen Teil des Tindersticks-Publikums ausmacht, wird warm ums Herz.
Doch Lùisa kann auch anders. Mit Samples und Loops befreit sie manche Lieder aus dem Klampfenfolk-Korsett und zeigt sich dabei als gewiefte Arrangeurin und Musikerin. Das erfordert emsiges Treten und Drücken von Pedalen und Buttons, und wenn man sieht, wie sie sich freut, wenn alles klappt, hat man selber ein Lächeln im Gesicht.
Hier lässt sich eine starke Songwriterin entdecken, die über eine dunkle, ausdrucksstarke und fordernde Stimme verfügt. Die mitteljunge Frau, die den anderen grossen Teil des Tindersticks-Publikums bildet, lauscht gebannt und wiegt sich in der Abendluft. Schade, ist Lùisas Auftritt nach einer halben Stunde schon vorbei.
Die Tindersticks schaffen Platz für Traurigkeit und wattieren sie mit Wohlklang.
Nach einer kurzen Umbaupause schreiten die Tindersticks unter warmem Applaus in Hemd und Anzug auf die Bühne. Keyboarder David Boulter trägt ein Glas Rotwein in der Hand, das er am Ende unausgetrunken wieder mitnehmen wird – die Musik ist Rausch genug.
Zum Auftakt sehnen und schwelen «Second Chance Man» und «Were We Once Lovers» vom aktuellen Album mit suggestiver Kraft, die das Publikum umgehend fesselt. Die Tindersticks sind schlau genug, die neuen Songs für den Open-Air-Gig untenrum mit dem nötigen Druck auszupolstern.
Mit «If You’re Looking For A Way Out» kommt die Band zu ihrer Kernkompetenz: Balladen für Liebeskranke. Die Tindersticks schaffen Platz für Traurigkeit und wattieren sie mit Wohlklang. Es ist zum Weinen schön. Staples, ein notorischer Nuschler, singt beseelt, denn es geht um die Seele, beziehungsweise den Soul. Bis auf den Drummer bestehen die Tindersticks aus bleichen britischen Indierockern, doch über die Jahre haben sie sich der Emphase der Soulmusik der Siebzigerjahre angenähert.
Sorgfältig und souverän
Die Tindersticks zeigen sich motiviert und zupackend. Das durfte man nicht unbedingt erwarten. Denn zuletzt hatten die Engländer enttäuscht. Auf dem aktuellen Album «The Waiting Room» gab es statt klar strukturierten Songs zu jedem Lied einen Kurzfilm. Das hatte seinen Reiz, doch beim Auftritt im Zürcher Kaufleuten im März fehlten die Bewegtbilder und die Band verhedderte sich in allzu fein gesponnenen Arrangements.
Heute kann man die Band bewundern für die Sorgfalt und Souveränität des Zusammenspiels. Oder man lässt sich einfach sinken in die Atmosphäre, die sie so erschafft. Und diese Atmosphäre enthält mehr als nur seufzende Schwermut, wie augenscheinlich aphrodisierte Pärchen vor der Bühne zeigen. Dabei ist es noch nicht mal richtig dunkel.
Das fesselt und zwar derart, dass es eine Weile dauert, bis einem auffällt: Nanu, fotografiert und filmt hier denn niemand mit dem Handy? Als es doch einer probiert, klemmt ihn eine Frau mit Signalweste ab.
Die Ballade traut sich in den Ballsaal
Im Lauf des Konzerts nimmt das Quintett zunehmend Fahrt auf. An der E-Gitarre sorgt Neil Fraser mit dramatischen Schraffuren dafür, dass Tinderstick noch immer eine Rockband sind, wenn sie wollen. Mit der Akustischen spurt und schrubbt er den Weg für Staples‘ Erzählungen von Verlangen und Versagen.
Gegen Ende bringen «Show Me Everything» und «This Fire Of Autumn» sexy Grooves in den Rosenfelspark. Ersteres eine taumelnde Ballade, die sich in den Ballsaal traut, Zweiteres eine federnde Nummer, der Bassist Dan McKinna und Drummer Earl Harvin die Band-typische Schwere nehmen, um den Song tanzen zu lassen.
Das Publikum geniesst den flotten Abschluss eines stimmungsvollen Auftritts sichtlich. Und im Hintergrund wippen die Baumwipfel mit. Vielleicht sollte Stuart Staples stets mit Blick auf beleuchtete Bäume auftreten. Denn die daraus resultierende Performance hinterlässt die Fans beglückt und aufgekratzt wie nach einer Liebesnacht.