Belas Wirren

Im neuen Roman des Schweizer Autors Michael Stauffer verliert ein Mann seine Freundin – und seinen Halt. Zu Fuss macht er sich auf den Weg, um sich neu zu erfinden. Seine «Pilgerreise» – so der Buchtitel – führt Stauffer jetzt nach Basel. Am 28.2. liest er im Literaturhaus.

Michael Stauffer in Beschwichtigungspose. Ein wenig bös ist sein Bela Schmitz schon. (Bild: Tobias Bohm)

Im neuen Roman des Schweizer Autors Michael Stauffer verliert ein Mann seine Freundin – und seinen Halt. Zu Fuss macht er sich auf den Weg, um sich neu zu erfinden. Seine «Pilgerreise» – so der Buchtitel – führt Stauffer jetzt nach Basel. Am 28.2. liest er im Literaturhaus.

Zugegeben, diesen Zettel von der Freundin will man auf dem gemeinsamen Küchentisch nicht finden: «Du bist nichts weiter als ein ordinäres Arschloch.» Verständlich, dass Bela Schmitz nichts anderes einfällt, als in der Wohnung herumzukrabbeln, sich bald einmal zu übergeben und einzelne Gegenstände aus der gemeinsamen Einrichtung kaputtzuschlagen, klar, manche müssen auch aus dem Fenster fliegen. Und sie muss auch Schuld sein, die Sau, sie wird nicht mal mit Namen genannt, sie ist einfach die Frau, in die Namenlosigkeit entrückt, ein Stück Vergangenheit, das Unding.

Aber Bela Schmitz ist ein harter Knochen. Michael Stauffer muss ihn auf eine Pilgerreise schicken, wie Bela sie selber nennt, damit er den Kopf wieder über Wasser bekommt. Damit er aus der Identitätskrise, die sich während der Beziehung ausgebreitet hat und die eskaliert, als die Frau ihn verlässt, wieder herausfindet.

Ein mieser Typ

Stauffer erzählt diesen Lebensabschnitt seines Helden in zwei Perspektiven. Ein aussenstehender Erzähler berichtet Belas Wirren vom Zettelfund bis zum Aufbruch. Bela selbst dokumentiert seine Fussreise in einem Tagebuch. Beide Stränge sind ineinandergeflochten, was eine zeitliche Verschiebung mit sich bringt: Der Tagebuch-Bela hat den Schritt zur Pilgerreise schon getan, während der beschriebene Bela noch um sich selbst kreist. Und wie so oft ist die Entscheidung wichtiger als das, wozu man sich entschieden hat – aus den beiden Erzählsträngen sprechen zwei verschiedene Welten.

Michael Stauffer wurde 1972 in der Ostschweiz geboren. Er studierte Literaturwissenschaften und Kunst in Bern, arbeitete zwischendurch als Lehrer und ist seit 1999 freier Schriftsteller. Er verfasst Prosa, Theaterstücke und Lyrik, ausserdem macht er Performances und Hörspiele. Stauffer unterrichtet am Literaturinstitut in Biel, wo er auch wohnt.

Bela Schmitz, der beschriebene, ist halt nicht der Typ, der zu seiner Freundin hingeht und das Gespräch sucht, mit Blumen oder so. Vielmehr zeugt der Zettel davon, dass das Gespräch seit Jahren versäumt wurde. Er geht stattdessen in Bars, weil spazieren gehen und in öffentlichen Parks sitzen unerträglich ist. Zu seinen Studenten spricht Bela, der (wie Stauffer selber) literarisches Schreiben unterrichtet, wie zu unmündigen 16-Jährigen. Kollegen beleidigt er bodenlos, inszeniert sich selbst als poesiereichen Bohème und seine Umwelt als ununterscheidbare Menschenmasse, deren Sichtkreis sich auf Profanitäten und Administration beschränkt. Namentlich natürlich seine namenlose Frau, die ihn immer verkannt hat: «Ich hatte nie Angst, unter dem Himmel zu stehen und winzig klein zu sein. Du schon.»

Lauter Menschen

Zwar stellt sich die Frage, wie Bela überhaupt zu so einer Frau kommt, an der alles unpassend scheint. Doch was wie eine Abrechnung klingt, ist eher die Geschichte eines Eigenbrötlers, dessen Enttäuschung und Trauer seine eigene Wahrnehmung vergiften. Die Selbstdarstellung als Bohème wirkt trotzig und eitel, die Profanität der Anderen eher ablehnend als glaubhaft. Doch Bela weiss das selbst und schon aus dem Auftakt zu seinem Tagebuch klingt ein anderer Ton: «Gleichzeitig ist mir klar: Wer so denkt wie ich und es dann auch noch glaubt, ist auch ein bisschen selber schuld an allem.» Und als sich ein Gespräch mit einem Mitreisenden ergibt, darf Bela eine Grunderfahrung machen: «Ich bin völlig überrumpelt von der Kooperationsbereitschaft und muss lachen.»

Lauter Menschen, mit denen sich sprechen lässt! Als frankierten Ausdruck seiner neuen Zugewandtheit schreibt Bela Postkarten an die Leute, denen er begegnet. Etwa diese:

Lieber Herr Poldermann,
Ich habe immer noch keinen einzigen Fisch gefangen. Ich habe es aber auch nicht versucht. Ich hoffe, dass es den Forellen und allen Bächen gut geht.
Ich grüße Sie herzlich
Bela Schmitz

Spricht so ein Abgekapselter? Natürlich bleibt Bela ein Kauz und es wäre ja auch furchtbar wenn nicht. Aber seine «Pilgerreise», die sich rotzig, liebenswert und geistreich liest, hat eine heilsame Richtung.

  • Michael Stauffer liest aus seinem Roman «Pilgerreise» und begleitet sich selbst musikalisch: Literaturhaus Basel, 28. Februar, 19 Uhr.
  • Das Buch: «Pilgerreise», mit einer CD-Aufnahme des Hörspiels
    «Mein Motto: Mutter», Volandt und Quist 2012, CHF 27,25.

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