Das Museum Tinguely widmet ihm eine Retrospektive und im Sommer wurde er 80 Jahre alt: Doch dies sind nur Scheingründe, warum man Ben Vautier kennenlernen sollte. Der wichtigste ist: Er macht Kunst, die uns immer wieder zum Lachen bringen kann.
«Ich bin ein bisschen zu viel gleichzeitig, wie zehn Künstler.» Ben Vautier – oder einfach Ben, wie ihn alle nennen – sagt dies ohne Arroganz, eher wie eine Entschuldigung. Er könne sich nicht auf weniger Themen konzentrieren. Mehr als 800 Werke sind in der aktuellen Ausstellung des Museums Tinguely versammelt.
Während die Retrospektive, kuratiert von Andres Pardey, die Vergangenheit des Künstlers wohlgeordnet präsentiert, sind die von Ben gestalteten Nischen die reine Reizüberflutung. War ja nicht anders zu erwarten nach dem Blick auf seine Website.
Bis 1972 betrieb Ben einen Schallplattenladen, den er «Galerie Ben doute de tout» nannte.
Bekannt wurde Ben für seine schwarzen Leinwände mit in weiss gemalten Statements: «L’art est inutile» (Kunst ist nutzlos), «La Suisse n’existe pas» (Die Schweiz gibt es nicht) oder schlicht «beau« (schön). Seit den späten 1950er-Jahren schreibt er, so scheint es, alles auf, was ihm einfällt. Dann setzt er seine Signatur darunter, als habe er «die Welt» oder selbst «Gott» geschaffen. Kurz: Bei Ben wird jede Idee in Kunst verwandelt, in seine Kunst. Oder doch nicht?
Selbst mit seinen heute 80 Jahren stellt Ben alles infrage. Seine scharfen Aussagen, die er inzwischen gerne farbig malt oder mit Gegenständen verbindet, sollen provozieren. Immer sind es Fragen, auch wenn kein Fragezeichen folgt. «Ben doute de tout», ein weiteres Schriftbild, bringt es auf den Punkt: Ben zweifelt an allem. Trotz oder gerade wegen seines grossen Egos befragt er auch die eigene Arbeit. Immer wieder erfindet er sich neu.
«Künstler haben alle ein grosses Ego», sagt Ben.
Benjamin Vautier, wie ihn wohl niemand nennt, ist französisch-schweizerischer Doppelbürger. Geboren wurde er 1935 in Neapel, wuchs dann in der Türkei, in Ägypten und in Griechenland auf, bevor er als 14-Jähriger nach Frankreich zog. Nationale Grenzen sind für ihn nebensächlich, nicht aber die ethnische oder regionale Zugehörigkeit. In Schriften und Schriftbildern thematisiert er die Anerkennung von ethnischen Minderheiten.
Es begann mit Bananen
In Nizza freundete sich Ben mit zahlreichen Künstlern an und setzte sich intensiv mit der jüngeren Kunstgeschichte auseinander. In den späten 1950er-Jahren suchte er nach einer Form, die noch nie gemalt worden war – und fand diese in der abstrakten Darstellung von Bananen.
40 unterschiedliche Versionen malte er vom immer gleichen Bogen, bis ihm der befreundete Künstler Yves Klein Marcel Duchamps Idee der Ready-Mades näher brachte.
Bananen, Bananen, Bananen…
Alles könnte Kunst sein, sofern dies der Künstler als solche definiert – und mit der Signatur für sich beansprucht. Von da an gab es für Ben keine Grenzen mehr, zumindest nicht zwischen Kunst und Leben, aber auch nicht zwischen Malerei, Musik, Theater oder Tanz. Gegenstände und Ideen müssen nicht zwingend geschrieben werden – auch flüchtige Handlungen können Kunst sein, wie etwa «den Himmel anschauen» oder «sich schämen». So begründeten Ben und George Maciunas im Jahr 1963 eine neue Kunstform und nannten sie Fluxus. Kunst muss weder still in Museen hängen noch mit ernsthafter Miene analysiert werden, ist Ben überzeugt.
Ben ist ein Urgestein der Moderne, ein «Dinosaurier», wie Kurator Andres Pardey scherzend zu ihm sagt. Nach einer kurzen Pause – mit seinem typischen Ausdruck, mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen – antwortet Ben: «Ich will kein Dinosaurier sein, auch kein Ausserirdischer.» Wenn Kunst alles sein kann, so seine Hauptaussage, dann solle man hauptsächlich sich selber sein.
So ist er: Ben Vautier.
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«Ben Vautier – Alles ist Kunst», Museum Tinguely, 21. Oktober 2015 bis 22. Januar 2016.