Die isländische Band Sigur Rós baute am Sonntag ihre Klang- und Lichtinstallationen in der St. Jakobshalle auf. Mit ihren entrückten Gesängen und bombastischen Klangkaskaden trieb sie den 4000 Besuchern mehrmals die Tränen in die Augen.
St. Jakob, der Ort wo man die Spitze trifft: Am Freitag jene von Novartis, die in der Mehrzweckhalle ihre Generalversammlung abhält. Am Sonntag den FC Basel und Tabellenführer GC. Und auf der anderen Strassenseite, gleich im Anschluss, kündigt sich quasi die Spitze des Geysirs an: Sigur Rós.
Seit sie mit ihrem 1999er-Album «Agaetis Byrjun» (zu Deutsch: ein feiner Anfang) die isländische Hitparade getoppt haben, sind sie mehr als nur die erfolgreichste Band ihrer Heimat. Zur stetig wachsenden Fangemeinde ihrer atmosphärischen Rockmusik gehören längst auch Pop-Prominente, allen voran Schauspielerin Gwyneth Paltrow und Coldplay-Sänger Chris Martin, deren Tochter Apple das Licht der Welt zur Musik von Sigur Rós erblickt haben soll.
Stimmungsvoll visualisiert
Wie eine Geburt, eine Reise durch das Leiden und Leben, fühlt sich ein Konzert der Isländer denn auch an. In den Nuller-Jahren stiegen sie zu Lieblingsgästen an europäischen Sommerfestivals auf. Dabei passen ihre melancholischen Lieder ebenso gut – wenn nicht besser! – in die graue, kalte Jahreszeit, möchte man sich doch in ihren Melodien verkriechen, auf der Suche nach Geborgenheit, und dabei gedankenverloren aus dem Fenster schauen, raus in die Natur.
Sigur Rós animieren die Bildhaftigkeit ihrer atmosphärischen Lieder live, indem sie sie wunderbar visualisieren: Mal archaisch, indem sie trockene Lavamasse auf die Leinwände hinter sich projizieren, mal mystisch, indem sie – ganz zu Beginn des Konzerts – nur als Silhouetten hinter einem Vorhang wahrnehmbar sind, als Schatten ihrer selbst. Es sind die vier Elemente, die uns die Isländer hier eindrücklich vor Augen führen.
4000 Menschen haben den Weg in die St. Jakobshalle gefunden, um das Schweizer Winter-Gastspiel der Isländer mitzuerleben. Und lassen sich (nach einem flauschig-elektronischen Warm-Up durch den Briten Blanck Mass) von den Bildern und Melodien einlullen und betören. Andächtig lauscht die Masse den Liedern, die Jonsi Birgisson anstimmt.
Der Sänger steht wie immer im Mittelpunkt, streicht mit einem Bogen über seine Gitarre. Und er singt und jammert und heult dazu selbstverloren. Wer Sigur Rós zuvor schon live erlebt hat, kann womöglich nur schlecht einen Refrain nachsingen – allein die sprachlichen Hürden erschweren dies – fühlt sich aber instinktiv geborgen in diesen Melodien, dieser ausgetüftelten Leichtigkeit, die mit der Kraft der Naturgewalt changiert. Entrückte Gesänge und erbauliche Klangkaskaden verstehen die Isländer brillant miteinander zu kombinieren.
Das Popformat gesprengt
So bildet «Í Gær» einen frühen Höhepunkt; ein Lied, bei dem zu Beginn harmlose Glockenspiel-Arpeggi herniedertröpfeln, ehe uns schwere Gitarren à la Pink Floyd zu Boden schmettern. Bereits in der Studioversion auf ihrem 2007er-Album «Hvarf» wuchtig, gewinnt das Stück auf der Bühne dazu: Betörend verstörend und mächtig prächtig – wie so viele ihrer Lieder, mit denen die Isländer das Popformat sprengen. Womit sich auch die Anekdote erklärt, weshalb sie einst eine Anfrage für einen Auftritt in der renommierten David-Letterman-Show ablehnten. Man wollte ihnen nur drei Minuten Spielzeit zur Verfügung stellen. Drei Minuten sind Pop. Sigur Rós aber sind Atmosphäre.
So gelingt es ihnen an diesem Abend einmal mehr grandios, minutenlange Ereignislosigkeit vorzutäuschen, in der man die Nebelschwaden vorbeiziehen hört. Beklemmend und begeisternd. Ehe sie eruptive Salven abfeuern und das Augenwasser unsere Sicht trübt. Es sind nicht nur grosse Gesten, sondern auch ganz grosse Gefühle, die sie mit Liedern wie «Hoppípolla» oder «Glósóli» auf die Bühne bringen, mit Pauken und Posaunen, Orgeln und Xylophon, knisternden Loops und sehnsüchtigen Streichern.
Am Ende den Bogen überspannt
Ein Echolot läutet nach 90 Minuten die erste Zugabe ein: «Svefn-g-englar» heisst die Ballade, die den Schlafwandel im Namen trägt und uns herrlich sanft in die kalte Nacht hinausgeleitet hätte. Doch Sigur Rós überspannen hier den Bogen und verspielen die Möglichkeit, nach herrlich schwelgerischen Augenblicken einen fulminanten Schlusspunkt zu setzen. Wenn man ihnen daher etwas vorwerfen kann an diesem Abend, dann dass sie in den letzten 30 Minuten dramaturgisch überborden, dass sich die magischen, auf Repetition und Eruption ausgelegten Klangkaskaden als Muster auf Dauer erschöpfen – und damit auch uns selber.
Doch das ist ein Schönheitsfehler, den wir ihnen gerne verzeihen.
Und wenn das alles ist, was man am Ende kritisieren muss, dann, nun ja, hat man immer noch ein ziemlich grandioses Konzert erlebt. Takk!