Queen Bey beeindruckte im Letzigrund Stadion mit ihrem selbstbewussten Auftritt und ihrem Plädoyer für Selbstachtung. Doch stahl ihre Inszenierung vielen Songs die Show.
Das Letzigrund ist nur zu drei Vierteln gefüllt. Geschätzte 30’000 Menschen sind gekommen, um Queen Bey 2016 in der Schweiz zu erleben. Kein ausverkauftes Stadion? Auch drei Teenagerinnen bei der Bushaltestelle wären beinahe zu Hause geblieben: «Ich bi nur cho wägem scheiss Gäld woni zahlt ha. Ich schwör!», sagt eine kokett zu ihren Freundinnen.
Der Regen und die kühlen Temperaturen, sie schlagen aufs Gemüt. Dass selbst Knirpse vom Sicherheitspersonal rigoros eingesackt werden, macht es für viele nicht erträglicher. Und ja, das Wetter dämpft auch ein bisschen die Euphorie während der langen Wartezeit, bis Beyoncé um 20.30 Uhr auf die Bühne marschiert. Queen Bey mit ihrer Armee aus Tänzerinnen. In «Formation».
Es ist einer der seltenen Momente, in denen sich die Texanerin ganz ins Kollektiv einreiht und kaum erkennbar ist: Unter einem übergrossen Hut, im selben schwarzen Outfit eingekleidet wie ihre Crew, eröffnet sie ihr Konzert: «If you’re proud of where you come from, say I slay!», fordert sie ihr Publikum auf. Und bezieht sich damit ein erstes Mal auf ihr ambitioniertes Konzeptwerk «Lemonade», das von einer betrogenen Frau handelt, die auf Rache sinnt.
Im Laufe der folgenden zwei Stunden beglückt sie das Publikum mit zahlreichen weiteren Liedern dieses sechsten Soloalbums – und, ja, man ist ihr dankbar dafür. Denn während man bei anderen etablierten Musikern meist darauf hofft, dass sie ihre neuen Songs im Konzertrepertoire vernachlässigen, hat Beyoncé noch einmal an Dringlichkeit und Klasse zugelegt. Bereits im ersten Song heisst es: Hut ab!
Die Band ist an den Rand gedrängt
Das Konzept eines Visual Albums (kann man sich hier ansehen), von Musik, die filmisch in Szene gesetzt wird, überträgt Beyoncé auch auf die Bühne. Ein riesiger Kubus dient als Projektionsfläche für Live-Aufnahmen – und fürs Publikum. Dieses richtet sich an ihrer Stärke, ihrer Macht auf. Alles dreht sich um die 34-jährige Sängerin und Tänzerin, manchmal sogar der Kubus selber.
Die Band, sie ist diesmal ganz an den Rand gedrängt. Das war auch schon anders; 2007 im Hallenstadion etwa gab ihr Beyoncé mehr Raum, auch inhaltlich. Was gleich geblieben ist: die geballte Frauenpower an den Instrumenten. Allerdings wirken ihre Musikerinnen 2016 wie Statistinnen. Es dauert ganze 30 Minuten, bis man sie erstmals wahrnehmen darf, mit ein paar Drum-Fills, später mit fetten Reggae-Bassläufen («All Night») und schliesslich mit einer Rockgitarre im Windkanal – wie einst Jennifer Batton in «Dirty Diana». Das kann man als kleine Referenz an Michael Jackson betrachten, den Beyoncé bewundert hat.
Zersetzung des Songmaterials
Auch an ein zweites Jugendidol erinnert sie: Prince. In einer der fünf Umziehpausen wird dessen «Purple Rain» eingespielt, minutenlang. Das Publikum singt traurig mit – und wird jäh aufgeschreckt durch einen unschön harten Schnitt, als Beyoncé auf die Bühne zurückkehrt zu den hämmernden Beats von «Crazy In Love». Das hätte frau eleganter machen dürfen.
Ein Schönheitsfehler in der Dramaturgie, nicht der einzige. Denn auch die Musikalität ist der Show untergeordnet. Manchmal hat es etwas Martialisches, Hektisches an sich, wie Beyoncé auf der Bühne Songstrukturen opfert, indem sie diese zerschlägt. «Survivor» aus ihren Anfangsjahren mit Destiny’s Child hätte man gerne in voller Grösse statt nur als Snippet erlebt.
Die Zersetzung mancher Songs: Eine Unart, die wir hier mal auf den schlechten Einfluss ihres Gatten zurückführen. Wer Jay-Z schon live gesehen hat, weiss, wie gerne der Rapper mit Versatzstücken arbeitet. Beyoncé hätte das nicht nötig, ebensowenig den Autotune-Einsatz in «Flawless». Sie könnte auch in langen Tracks die Spannung aufrechterhalten.
Das beweist sie etwa in «1+1», den sie selber als ihren «favourite song» ankündigt: Eine klassische Ballade, über deren 6/8-Takt sie mit ihrer Stimme schaukelt, stimmgewaltig, eindrücklich – voller Hingabe lässt sie das Lied atmen. Und lächelt ins Publikum, nicht professionell, sondern voller Glück. Nahbar, für einmal.
Parforce-Leistung eines Kontrollfreaks
Ansonsten bleibt Beyoncé oft unantastbar, selbst wenn sie während «Drunk in Love» zu den Fans niederkniet: Auf die Leinwände werden verschwommene Bilder projiziert, die Multiplikation macht sie ungreifbar und übergross. Die Konzertübersetzung ihres Visual Albums sorgt mitunter für eine Reizüberflutung. So staunt man öfter, als dass man die Musik geniesst, angesichts ihrer Energie, ihrer Kontrolle, ihrer Präsenz vom Kehlkopf bis in die Stiefelspitzen.
Es ist aber auch wirklich eine Parforce-Leistung, die Beyoncé auf die Bühne bringt: Sie schüttelt ihren Hintern («Yoncé»), gleitet artistisch über ein Objekt («Rocket») oder stampft durchs Wasser («Freedom»), während sie singt, sei es mit Country Flavour («Daddy Lessons»), in Gospelstimmung («Me, Myself and I») oder mit schneidendem, angriffigem R&B («Don’t Hurt Yourself»).
Ihre Vielseitigkeit, ihr Selbstbewusstsein: grossartig. Während die ehemalige Popqueen, Madonna, in den letzten Jahren nicht nur ihre Krone abgab, sondern auch gesanglich und tänzerisch, verkörpert Beyoncé eine Souveränität und Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht.
Ein Plädoyer für die Selbstachtung
Und während Bono seine Friedensbotschaften allzu plakativ in die Stadien projiziert, setzt Beyoncé diese dezenter ein, weniger vordergründig. Keine Worte verliert sie über die jüngsten Vorfälle in den USA. Ihr Statement dazu hat sie auf ihrer Webseite abgegeben, deutlich, hörbar. Den Aktivismus von «Black Lives Matter» lebt sie zudem in ihren Songs, mit ihren Kernthemen: Liebe, Selbstachtung, Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Schwarz und Weiss.
Allein «Freedom», das Lied, zu dem sie in der Zugabe stolz und kraftvoll durchs Wasser watet, dieser Aufruf kombiniert Pop und Privates mit Politik. Auf mitreissende Art und Weise. Hut ab.