Biancas Heimkehr – ein Märchen 2.0

Heute Abend präsentiert die Basler Band The bianca Story ihr zweites Album «Coming Home» in der Kuppel. Das Ausland jubelt bereits über den Schweizer Art-Pop. Wann folgt die Heimatstadt?

Beim Barte des Propheten! Viele Neider würden den Popvisionären Elia Rediger (links) und Fabian Chiquet (rechts) und deren Band The bianca Story bei einem Abschied gen Ausland nur Krokodilstränen nachweinen. (Bild: zVg)

Heute Abend präsentiert die Basler Band The bianca Story ihr zweites Album «Coming Home» in der Kuppel. Das Ausland jubelt bereits über den Schweizer Art-Pop. Wann folgt die Heimatstadt?

Die folgende Geschichte liest sich über weite Strecken wie ein postmodernes Märchen: Es war einmal eine junge Basler Band namens Kanu, die einige ansehnliche Rock-Nummern im Repertoire hatte, vielversprechende Konzerte gab und aufgrund dieser ermunternden Signale vom Durchbruch träumte. Als dieser aber auf sich warten liess, und für die Mitglieder zunehmend andere Interessen – berufliche Zukunft, Studium, Beziehungen – im Vordergrund standen, löste sich Kanu auf. So weit, so unspektakulär: Courant normal in Basel, genauso wie in jeder grösseren Kleinstadt, wenn kleine Musiker gross und die grossen Träume klein werden, bis sie als Erinnerung an eine ehemals solide Band verblassen, eine Band, die wie Hunderte andere schliesslich vom Ernst des Lebens eingeholt wurde. End of the story?

Im Gegenteil: Hier fängt die erstaunliche Geschichte eines der ungewöhnlichsten Basler Bandprojekte erst an. Die verbliebenen Mitglieder, Sänger Elia Rediger und Keyboarder Fa­bian Chiquet, treffen Anfang 2006, beide Anfang 20, eine erstaunlich kompromisslose Entscheidung: «Alles konsequent auf die Karte künstlerische Karriere setzen und die Musik zum Lebensmittelpunkt machen.»

Das heisst konkret: sich auf die eigenen Stärken besinnen, auf das, was sie herausragend und einzigartig macht, jegliche falsche Bescheidenheit abzulegen, keine Angst mehr vor der grossen Geste zu haben, freimütig auf Ruhm und Ehre hinzuarbeiten. Dies bedeutet auch, dass die weiteren Interessen – ­Video und Performance-Kunst, Theater, Hochschulstudium – nicht mehr als Konkurrenz zur Musik, sondern als deren Erweiterung und Ergänzung, als Inspiration gelten sollen.

Um gegenüber sich selbst und der Welt keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Neustarts, an dieser «Band 2.0» zu lassen, deren Erfolgs­geschichte wie auf einem weissen Blatt Papier erst noch geschrieben werden soll, nennt sich das Projekt fortan The bianca Story.

In den Kopf gestiegen?

Wie reagiert ihr Basler Umfeld auf dieses klare Bekenntnis? Gelinde gesagt: zwiespältig. Die Neuerfindung der Band stösst bei weiten Kreisen des ­regionalen Bandkuchens auf Konsternation. Bald machen Gerüchte die Runde: Ihre ersten Erfolge, positive Kritiken und prestigeträchtige Bookings, seien den fünf «Biancas» (mittlerweile um Sängerin Anna Waibel, ­Lorenz Hunziker, Joël Fonsegrive ergänzt), wie sie nun genannt werden, in den Kopf gestiegen. Die musikalische Umorientierung hin zum Elektro-Pop mit experimentellen Anleihen sowie Redigers atonaler Baritongesang gilt unter manchen Rockfans als «affig». Nachdem der Band bei ihrer ersten grossen Tour in Osteuropa der Bus geklaut worden war, machten hämische Kommentare die Runde. Je mehr sich die Band mit ­spartenübergreifenden Kunstprojekten, mit Installationen und DJ-Gigs, einem Kurzfilm, der Elektro-Oper «Chris Crocker» oder spektakulären Kunst­aktionen wie dem «Unique Copy Album», (ein Album­unikat, das für 10 000 Franken verkauft wurde) profiliert, desto stärker scheint das Unbehagen zu wachsen.

Als das Debüt «Hi Society» (2008) zwar ein Achtungs-, aber kein Gross­erfolg wird, scheint man in Musikerkreisen fast erleichtert. «Hört endlich auf mit dem ganzen Brimborium», raten ihnen ältere Kollegen. Doch die «Biancas» machen, offenbar unbeirrt, einfach weiter. Wie sehr die Band damit zur Projektionsfläche, die Mitglieder zu Reizfiguren werden, zeigt ein Blick auf den bekanntesten Schweizer Indie-Musikblog «78s»: In zum Teil über hundert Kommentaren werden kleinste Neuigkeiten debattiert, wird «Bianca-Bashing» zum neuen Volkssport.

«Unfassbare Wichtigtuer»

An dieser Stelle eine kleine Auslese anonymer Bloggerblüten: «Wohlstands-Indie für schnell Beeindruckte», «Was für unfassbare Wichtigtuer», «Sowas von arrogant wie diese Kunsti-Band gibt es nicht» (sic!), «extrem gekünstelt und gesucht», «Von wo haben diese verwöhnten Idioten eigentlich das viele Geld?», «Ist es eigentlich nötig, dass die Visage von dem Sänger einem in jedem verdammten Video in Grossaufnahme präsentiert wird?» Zusammenfassend: «Echte Kunst hat Substanz und diese fehlt hier leider durchgehend. Der Sound ist übel, die ‹Songs› sind langweilig und das affektierte Geschwätz der Band nervt. Passt also alles perfekt zusammen.» Ein vernichtendes Urteil. Aber kein Grund für übermässiges Mitleid: Denn der Ruf als «meistgehasste Basler Band» trägt für die «Biancas» marketingtechnisch unverhoffte Blüten. Schweizweit beginnen sich Szenebeobachter für das Phänomen zu interessieren, sogar zu solidarisieren.

Polarisieren, provozieren

Wer sich von den selbstbewussten bis grossspurigen Statements der Band nicht abschrecken lässt, ist erstaunt, wie freundlich, professionell, gar selbstironisch deren Mitglieder auftreten, wie souverän sie mit dem ganzen Wirbel umgehen.

«Wir haben eine gesunde Distanz zu unserer Arbeit und erst recht zu unserem Image», sagt Fabian. Ausserdem sei man heute nur noch selten mit offener Feindseligkeit konfrontiert, ergänzt Elia. Dennoch: «Es ist uns ­bewusst, dass wir stark polarisieren, teilweise auch provozieren. Es stimmt allerdings nicht, dass dahinter eine bewusste PR-Strategie steckt. Wir wollen eine Band mit Ecken und Kanten sein, die Reibungsfläche bietet, die das Publikum nicht nur gut unterhält, sondern auch herausfordert. Eine Band, mit der man sich immer wieder aufs Neue auseinandersetzen kann und will.» 

Perfekter Pop, das heisst für die ­beiden Mittzwanziger: postmodern, intelligent und kritisch – aber auch ­offen, ehrlich, authentisch. Wer die «Biancas» für reine Hipster, für Indie-Klone von Franz Ferdinand oder Hot Chip, den Editors oder The National hält, hat sie missverstanden. Tatsächlich heissen die Vorbilder der Band nämlich Talking Heads und Queen, Yello oder Young Gods. Lauter Bohemiens, denen das Kunststück gelang, ihre Visionen langfristig salonfähig, massentauglich zu machen.

Ein tragischer Todesfall

Und genau dasselbe Ziel verfolgt unüberhörbar auch ihr zweites Album, bereits 2010 (dank Sponsoren, wie die Band betont) in den legendären Londoner Abbey-Road-Studios aufgenommen, das jetzt, mit über einem Jahr Verspätung erscheint. Beinahe wäre das ehrgeizige Projekt gescheitert: Nach dem Freitod ihres Managers stand die geschockte Band nämlich auf einen Schlag ohne Label da, also: zum wiederholten Male vor dem Nichts. 

Doch in dieser Notlage zahlte sich die bereits geleistete Arbeit aus: Denn im selben Jahr gewann The bianca ­Story überraschend den mit 15 000 Franken dotierten Basler Pop-Preis. «The bianca Story entwickeln ihren elektrifizierten Art-Pop seit ihrem Debüt mit viel Erfindergeist und Kunstsinn stetig weiter und gehören deshalb zweifellos zu den originellsten und kreativsten Basler Bands», lobt Dänu ­Siegrist, Pop-Preis-Initiant und Geschäftsführer des Basler Rockfördervereins, die Band. Und hebt gerade ­deren «Affinität zur bildenden Kunst, die Mitarbeit an verschiedenen Theaterproduktionen wie letzthin an M & The Acid Monks» hervor: Dies zeige das grosse künst­lerische Spektrum der Band, deren Performances und Produktionen «dementsprechend spannend und eigenwillig» seien. 

Dass die Zeichen für den lange ersehnten Durchbruch mit dem neuen Album nun endlich gut stehen, davon ist auch Jean Zuber vom Fördergre­mium Swiss Music Export überzeugt: «The bianca Story haben bei uns zurzeit Top-Priorität. Wir glauben fest an den internationalen Erfolg.» Den Optimismus begründet Zuber nicht nur mit der «Weltklasse-Produktion» des Albums und dem «sehr starken Band-Umfeld», sondern auch mit der «unglaublichen Kreativität dieser Aus-nahmetalente». Zubers Fazit: «Sofern sie sich nicht verzetteln, dürfte 2012 das bisher beste Jahr ihrer Karriere werden.»

Sind die «Biancas» also doch mehr als eine verwöhnte, selbstverliebte, überschätzte Hype-Band? Könnte die Kulturstadt Basel dank ihnen gar endlich wieder international punkten? Patrick Gusset alias Shabani, selber Basler Musiker sowie Theaterschaffender, traut es der Band zu: «Sie kreieren eine eigene Atmosphäre und Ästhetik, die unserem eklektischen Zeitgeist entspricht.» Das Negativimage: «in erster Linie Neid.»

Das gesprengte Korsett

Dass die vor Kurzem noch verpönte Vielseitigkeit der Art-Popper neuerdings als Vorteil gilt, weist auf ein Umdenken hin. Der wichtigste Grund dafür: Die Basler Band ist nicht mehr alleine. Als hätten alle nur auf den richtigen Moment gewartet, tritt schweizweit plötzlich eine ganz neue «Pop-Generation» ans Tageslicht.

Geistesverwandte, die genauso grosse Ziele hegen, die ebenfalls den Versuch wagen, über den Gartenzaun der eidgenössischen Popszene zu klettern. Als Erste hat die Kunstfigur Sophie Hunger das Korsett gesprengt und vermeintlich Unmögliches geschafft, nämlich: als Sängerin weltweit Erfolge zu feiern. Es folgte der Berner Wahlberliner Tobias Jundt mit seinem freakig-flippigen «Bonaparte»-Zirkus, der genauso als Gesamtkunstwerk funk­tioniert.
In Zürich stehen das Künstlerkollektiv My Heart Belongs to Cecilia Winter und das Frauenduo Boy schon in den Startlöchern. Während sich die Perspektive für herkömmliche Bands im übersättigten, rezessiven Musikmarkt verschlechtert, wirken die vielseitig vernetzten Kulturkollektive mitsamt ihren exaltierten Ecken und knackigen Kanten wie prädestinierte Aufsteiger: Aufbruchstimmung also im kreativen Kosmos der Schweiz.

«Die Schweiz ablecken»

Jascha Dormann vom aufstrebenden Basler Duo laFayette nennt dies den «Roger-Federer-Effekt»: Schweizer ­Talente müssten sich erst im Ausland beweisen, bevor sie auch in der Heimat ernst genommen würden. Ein gesundes Selbstvertrauen, Merkmal vieler skandinavischer Musiker, würde hier dagegen oft als überheblich taxiert. «Erst wenn der Auslandserfolg da ist, springt die Begeisterung auf die Schweiz über, hierher zurück.»

«Man könnte fast meinen, die Schweiz sei das neue Schweden», jubelt dagegen Tim Renner, ehemaliger Deutschland-Chef des Plattenmultis Universal, der die «Biancas» für sein Indie-Label «Motor» unter Vertrag genommen hat: «Es ist eine Flut von Talent, die gerade von unserem kleinen Nachbarland kommt.» Man sei «froh» mit einigen dieser Gruppen arbeiten zu können, schätze insbesondere «die unverwechselbaren Stimmen von Elia und Anna», ihren Versuch, so etwas wie einen «Alpen-Country» zu definieren, und die «Offenheit für ungewöhnliche Wege, das Musikbusiness zu denken».

Ins gleiche Horn stösst Linus Volkmann, stellvertretender Chefredaktor des renommierten Kölner Musikmagazins «Intro»: «In der Tat ist auffällig, was für interessante Acts zuletzt aus der Schweiz bei uns in den Pop-Feuilletons auftauchten. Und damit sind eben nicht die ewigen Rockbubis am Katzentisch der Trends gemeint. Nein, Acts wie The bianca Story, aber auch Cecilia Winter schaffen sich einen eigenen künstlerischen Zugang zu Pop, der Kunst und Inszenierung mitdenkt und so selbst in der Lage ist, mitunter wirklich Aufregendes in Song und Erscheinung zu kreieren. Eure Schweiz will man nur ablecken. Echt!»

«Leck mich»: Bedeutet dies also endlich das Happy End für die einst so verhassten «Biancas»? Wird nun auch Basel die Band dank «Coming Home» als «Homecoming Queens», als Abschlussball-Königinnen feiern? Kaum. Denn das grosse, dreitägige «Coming Home»-Festival samt Plattentaufe findet diese Woche in Zürich statt. Erst am Samstag gastiert die Band in der Region, im Birsfelder «Salts», einem privaten Appartement. Kapazität: knapp hundert Plätze, alle längst vergeben. Vielleicht ganz gut so – schliesslich ist The bianca Story alles andere als am Ende. Im Gegenteil: Das postmoderne Märchen hat gerade erst von vorn begonnen.

 

The bianca Story: «Coming Home» 

The bianca Story: Coming Home

The bianca Story: Coming Home

Drama, Baby, Drama: Eingängige Melodien, ausladende Emotionen und eine gross­zügige Portion Pathos sorgen bei allen elf Tracks auf ­«Coming Home» für bestes Entertainment. Die geschlif­fenen Arrangements und ­stadiontauglichen Mitsing-Refrains setzen einen Kontrapunkt zum sperrigeren Songwriting früherer Tage. Druckvoller Pop im Breit­format, bei dem allerdings ­gerade die zartesten, bittersüssen Gesangspassagen die grösste Sogwirkung entfalten. (tah)

Quellen

www.thebiancastory.com

www.soundcloud.com/the-bianca-story

www.bonaparte.cc

www.shabanimusik.ch

http://lafayettemusic.wordpress.com/

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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