Ein bisschen Kapitalismuskritik, ein wenig Nahost-Geschichtsstunde, garniert mit viel Popmusik, Rap und einigen Albernheiten: Simon Solberg bringt die Mosesgeschichte als seicht-trashige Soap Opera für die Generation TV-Comedy auf die Bühne des Basler Schauspielhauses.
Irgendwann landet alles auf der Müllhalde. Sogar die Bibel. Ein grosses dunkelrotes Buch mit goldenem Titel, das nicht wirklich in das Umhängetäschchen passt, das für Smartphone, Portemonnaie und Papiertaschentücher konzipiert ist. Und wenn wir gleich dabei sind: Auch Gott ist nicht mehr der, den die alten Meister noch als weisen alten Mann mit langem Bart dargestellt hatten. Ganz ähnlich übrigens wie Moses auf Gemälden und in Skulpturen dargestellt wurde. Aber wen interessiert das heute noch. Gott ist tot, die allumfassende Religion heisst Kapitalismus, die Gebote sind lästige Einschränkungen des individuellen Selbstverwirklichungsdrangs. Die Welt gehört den Mächtigen, Allianz oder Nestlé, und alle anderen sollen schauen, wie sie sich im Kampf jeden gegen jeden ihren Platz schaffen können.
Auf der Bühne von Simon Solberg (Mitarbeit: Yvonne Kalles) bekommen wir nun also eine Müllhalde vorgesetzt. Und auf ihr tummelt sich eine Gruppe von fünf Schmuddelkindern oder Kapitalismusopfern, die sich durch den Fund dieser rot eingebundenen grossen Bibel zur Nacherzählung der Mosesgeschichte animiert fühlt. Moses, wir erinnern uns, das ist der, der angeregt durch Gottes Stimme aus einem brennenden Dornbusch das geknechtete Volk Israels von Ägypten ins gelobte Land führen soll (wo bekanntlich Milch und Honig fliessen), dort aber nie ankommt, auf dem Weg dahin aber immerhin die zehn Gebote entgegennehmen darf, sich aber mit gewaltvollem Nachdruck von Seiten Gottes gegen sein aufmüpfiges Volk durchsetzen muss, das seinerseits dem Götzen eines goldenen Kalbes huldigt und dafür ganz gehörig eins auf den Deckel bekommt.
Gott als Penner
Gott ist im Alten Testament nicht der Erlöser, der, wie im Neuen nachgereicht, seinen Sohn opfert, um der Menschheit mit innigster Überzeugungskraft den richtigen Weg zu weisen. Die dargebrachten Wunder dienen hier noch nicht der Heilung von unheilbar Kranken, sondern der Entsendung von schrecklichen Plagen (nun gut, es darf auch mal das Himmelsbrot Manna sein). Gott ist zornig und autoritär, sein verlängerter Arm Moses zweifelnd und angefochten durch die Masse, die Opfer bringen und hinterlassen muss, um ans Ziel zu gelangen. Eine passable Vorlage also für einen Regisseur wie Simon Solberg, der klassische Stoffe gerne auf einnehmende Art und Weise nach aktuellen Bezügen abklopft. «Die Bibel ist ein superspannendes Buch, weil sich da archaische Grundkonflikte auftun, die bis heute wirken», erläutert Solberg in einem Interview mit der Tageswoche seine Motivation, diesen Stoff zu dramatisieren.
Dass keine Bibelstunde im herkömmlichen Sinne oder allenfalls in Hollywoodmanier zu erwarten ist, versteht sich von selbst. Entsprechend erscheint Gott auf der Bühne als Penner mit verfilztem Haar (Max Wagner), Moses wiederum als jugendlicher Heisssporn, dessen Überzeugungskraft unter anderem darin fusst, dass er gut rappen kann (was der Darsteller Johannes Schäfer denn auch wirklich gut kann). Und das in Abfallkleidern (Kostüme: Sara Kittelmann) steckende Volk der Hebräer (Max Wagner, Paul Grill, Joanna Kapsch und Jean-Luc Bubert) greift immer wieder zum Mikrofon, um unterschiedliche Stimmungslagen und Handlungssequenzen mit schmissig vorgetragenen Popsongs mit Playbackbegleitung zu untermalen (herausragend hier Joanna Kapsch mit ihrer eindrücklichen Singstimme).
Zwischen Slapstick und Ernst
Solberg bringt die Mosesgeschichte, wie wir es von seinen Arbeiten her kennen, als temporeiches und körperbetontes Spiel auf die Bühne. Und wie wir es bereits in seiner Inszenierung von Schillers «Don Karlos» zu Saisonbeginn erleben konnten, lässt er das Ensemble in harschen Brüchen und untermalt von viel Musik zwischen Slapstick und ernsthaften Momenten hin und her switchen und dabei stets auch auf plakative Art und Weise den Bezug zur Aktualität herstellen. Höhepunkt dieses energiegeladenen Treibens ist die Verkündung der zehn Gebote, die als überkandidelte Hitparadenshow daherkommt («Killing me Softly» steht für «Du sollst nicht töten»).
Aber anders als bei früheren Regiearbeiten vermag dieser rasante Wechsel zwischen den Spielebenen bei «Moses» nicht zu überzeugen. In den Slapstick-Phasen, die dazu da sind, die Handlung voranzutreiben, rutscht das Ganze allzu sehr in die Gefilde der deutschen TV-Comedy-Unterhaltung ab. Anders lässt sich die Tatsache, dass einer der Hebräer (Jean-Luc Bubert) sich immer wieder im betont sächsischen Dialekt zu Wort meldet, kaum erklären. Und dass der Bezug zur Gegenwartsreligion Kapitalismus mit umgehängten Plakätchen mit den Aufschriften von mächtigen Weltkonzernen oder Rating-Agenturen untermalt wird, ist nun wirklich etwas zuviel des Plakativen. In den ruhigen Momenten indes vermag der Abend dann doch noch etwas Tiefgang zu vermitteln.
Seichter Trash
Zu erleben sind 13/4-Stunden actiongeladenes Theater mit einem engagiert aufspielenden Ensemble. Letztlich vermag dieser aufgepoppte «Moses» aber nicht zu überzeugen. Für Blasphemie ist das Bühnengeschehen zu harmlos, der Versuch, brisante Bezüge zu den Krisen des Kapitalismus und im Nahost herzustellen, ist allzu plakativ und die mit viel Albernheiten durchsetzten Zwischenszenen sind seichter Trash, der nicht wirklich zu provozieren vermag. «Strand oder Kneipe» fragt einmal einer der Hebräer, den Bauch wie in einer feuchtfröhlichen Herrenrunde einziehend und wieder herausstreckend. Für den Gang zum Strand war das Wetter am Premierenabend nun wirklich allzu garstig und kalt.
Eine Koproduktion mit dem Volkstheater München
Regie und Bühne: Simon Solberg, Kostüme: Sara Kittelmann, Video: Josha Sliwinski
Mit Johannes Schäfer, Jean-Luc Bubert, Max Wagner, Paul Grill, Joanna Kapsch
Theater Basel, Schauspielhaus
Quellen
Zur Wochendebatte: Muss sich das Theater Basel neue erfinden?