Die afrohispanische Amerikanerin Esperanza Spalding und der Belgo-Australier Wally De Backer alias Gotye bei der AVO Session: Sophisticated Bigband-Jazz traf auf einen poppigen Setzkasten.
Für sie hätte es eigentlich keinen besseren Show-Abend geben können: Die Bassistin, Sängerin und Komponistin Esperanza Spalding trat schon 2009 mit Stevie Wonder im Weißen Haus auf, sie zählt zu den Lieblingsmusikern des Präsidenten. Doch mit ausgelassener Feierlaune hält sie sich nach Obamas Wiederwahl nicht auf.
Ganz im Gegensatz zu ihrer frühen, transparenten Jazzphilosophie, in der auch immer wieder Afro- und Latin-Farben zur Geltung kamen und die auch 2009 schon in Basel zu erleben war, tritt die hagere Frau aus Portland mit satter Bigband an. Siebenfach bestückt ist die Horn Section, Flügel, E-Gitarre und Drums kommen dazu. Dieses Ensemble, das sie «Radio Music Society» nennt, beginnt den Abend mit einer freien, kakophonen Fanfare, bevor die Protagonistin im weißen Kleid auf die Bühne kommt. Zusammen zelebriert man fortan komplexe Jazzsuiten, die so manchen Zuhörer überfordert haben dürften, die aber auf stets hohem handwerklichen Niveau stattfinden.
Man hätte sich in der akrobatischen Textur bisweilen einen Refrain zum Festhalten gewünscht
Spaldings Koordination zwischen frei schweifendem Gesang mit glockenheller, aber etwas volumenloser Stimme und ihrem rastlosen, virtuosen Bassspiel ist zweifelsohne atemberaubend. Beizeiten scattet sie die kompletten Linien der Blechabteilung mit, dann unterhält sie sich mit der kantigen E-Gitarre von Jeff Lee Johnson oder spiegelt ihre hüpfenden Vokalschleifen in der brillant improvisierenden Saxophonistin Tia Fuller. Der massige Lyndon Rochelle liefert dazu eine fein dosierte Schlagzeugdynamik und stößt auch in den kraftvollsten Passagen noch nicht an sein physisches Limit.
Man hätte sich inmitten der akrobatischen Textur der Stücke ab und an eine Hook Line gewünscht, einen Refrain zum Festhalten. Wettgemacht wird diese etwas kühle Abstraktion durch das Stück über die Queens und Kings: Schnippisch geht Spalding da das starke Geschlecht an, erzählt, was einen Mann wirklich zum König macht, der Posaunist mit dem passenden Namen Corey King liefert ein Solo mit warmem Flow dazu. Und es gibt als dringend benötigten Ruhepol die feine Ballade vom «Cinnamon Tree», die sich mit gegenläufigen Bassfiguren einprägt. Vieles, vielleicht etwas zu viel geschah hier vom Kopf aus: Die Berklee-Absolventin Esperanza Spalding blieb eine ausgewogene Balance zwischen Herz und Hirn schuldig.
Gigantischer Setzkasten
Und dann hinüber ans andere Ende Welt. Wir erinnern uns: Mit «Somebody That I Used To Know» schoss ein spleeniger Sunnyboy mit wirrem Langhaar und Lausbubgrinsen zu Silvester 2011 scheinbar aus dem Nichts an die Spitze der Charts. Zuvor war der flämische Wahl-Melbourner Gotye eher ein Geheimtipp der Youtube-Gemeinde, wo seine skurrilen Videoclips seit Jahren für eine immense Fangemeinde sorgten. Gotye inszeniert seine Musik als gigantischen Setzkasten, mit Samples von verfremdeten Bossagitarren, Hongkong-Stars, Steeldrums, Daumenklavier und Latin-Bigbands, aus denen er ein Gemisch von Electro, Motown, Dub und Achtzigerpop braut.
Doch wie soll so etwas live funktionieren?
Übernächtigtes Energiebündel
Vier Mitstreiter braucht Gotye auf der Bühne, um sein spielerisches Mosaik nachzubauen. An verschiedenen Stellen auf der Bühne hat er, zusätzlich zum eigentlichen, unauffälligen Schlagzeuger, kleine Drumkits postiert, und nutzt sie fast bei jedem Stück zu begeisternden perkussiven Einlagen. Und dazu diese Stimme: Fast poetisch und verletzlich in den leiseren Passagen, hymnisch krähend in den Refrains. Der Mann in roter Hose und Plattenladen-T-Shirt, der komplett übernächtigte Augen zur Schau trägt, ist ein Energiebündel mit viel Spaß bei der Arbeit, streut immer wieder launige Ansagen.
Zugute halten muss man seiner Band um den Schulfreund Lucas Taranto, dass die Samples von den thrillerhaften Streichern à la James Bond-Soundtrack bis zu Rhythmen aus dem «Banana Boat»-Song alle live angetriggert werden, gitarristische Akzente von Surf bis Lap Steel auch handgemacht sind. Doch die gesamte erste Hälfte der Show wird durch absurd übersteuerte Bassfrequenzen richtig kaputt gewummert. Der vorwärtstreibende Hit «Eyes Wide Open», «State Of The Art», der coole Dub um die Heimorgel mit Eigenleben, der sexy Electropop von «Thanks For Your Time» – sie gehen im Tieftonpulsieren unter.
Triumphal herausposaunt
Die Stärken entfalten sich in der lyrischeren, zweiten Abteilung: Mit «Bronte», «Somebody That I Used To Know» (inklusive missglücktem Publikumkspart) «Giving Me A Chance» und schließlich dem großartigen «Hearts A Mess» mit den waidwunden Schreien im Chorus zeigt sich der Sound besser sortiert. Viel Platz für Improvisation bleibt Gotye und seinen Mannen nicht: Da die Videoclips mit ihren kandinskyhaften Fantasiewesen und Anime-Figuren, den mal morbiden, mal sphärischen Zügen in Originallänge der Studioversionen mitlaufen, kann die Band nur ein paar raffinierte neue Intros einstreuen.
Bei der Zugabe, der triumphale herausposaunten Motown-Nummer «Learnalilgivinanlovin» bleibt die Leinwand dunkel: Das gibt auch prompt mehr Raum für originelle Saxsample-Exkursionen und Gotye mehr Luft, sich die Seele aus dem Leib zu singen. Den Grundkonflikt zwischen Livemusik und am Computer gebauter Klangkunst vermochte der Belgo-Australier an diesem Abend nicht ganz zu lösen – aber er hat ihn durch seinen sonnigen Charme geschickt überspielt.