Der Dokumentarfilmer Rasmus Gerlach hat mit «Apple Stories» einen Film über die misslichen Bedingungen bei den Herstellungsprozessen von Smartphones gedreht.
Am Anfang ist das Zinn, und das Zinn muss aus dem Schacht. In Ruanda, Ostafrika, steigt Rasmus Gerlach mit einem afrikanischen Geologen hinunter in eine Zinnmine, die zur Kolonialzeit von einem deutschen Unternehmen erschlossen wurde, bis die Förderung nicht mehr rentabel war. Nun steigen die lokalen Bauern mit ihren Pickeln und Bohrern hinunter, fördern auf eigene Faust, was sich noch aus dem Berg holen lässt, und verkaufen es. Von dort gelangen die Mineralien über den Hafen von Dar-es-Salaam nach China, und irgendwann landet das Zinn in einem Schaufenster des Apple-Stores am Hamburger Jungernstieg. In der Benutzeroberfläche eines iPhones.
Ein solches iPhone erhielt der Dokumentarfilmer Gerlach eines Tages zugestellt. Es ging kaputt, und weil Gerlach es reparieren lassen wollte und eine Reparatur bei Apple zeit- und kostenaufwändig ist, brachte Gerlach sein Smartphone zu einem «Handydoktor». Dort sass er und hörte zu und erfuhr, während der Doktor flickte, wie schadensanfällig iPhones sind, wie mühsam die Ersatzteile zu kriegen sind (Apple stellt keine zur Verfügung), und wie suchtanfällig manche der Kunden mittlerweile von ihren Geräten geworden sind, dass sie lieber ein neues kaufen, anstatt auf die Reparatur zu warten. Gerlach beschloss, den umgekehrten Weg zu gehen: vom Apple-Store, wo die Leute vor Ladeneröffnung vor der Türe übernachteten und die Angestellten für einen Stundenlohn zwischen 8 und 17 Euro die Lebenslust der Apple-Family verströmen müssen, über die Produktionsbetriebe in China bis in die Dunkelheit der ruandischen Zinnmine, wo die Arbeiter das Zinn für 40 Euro im Monat aus dem Fels holen, ohne Sicherheitsvorrichtungen, und inmitten von Malariamücken.
Foxconn, die taiwanesische Zulieferer- und Herstellungsfirma für die Smartphones, ist mit ihren Produktionsmethoden dabei zum Synonym für die Schattenseite des Smartphone-Hypes geworden. Der Gegensatz könnte krasser nicht sein zwischen dem Spektakel bei der Eröffnung des Hamburger Apple-Stores und den Arbeitsbedingungen in den düsteren Zinnminen in Ruanda und den sterilen Fertigungshallen der Geräte-Hersteller in China.
In Hongkong trifft Gerlach Debbie Chan, die mit ihrer Aktivistengruppe Sacom gegen die misslichen Arbeitsbedingungen – «iSlaves» – bei Foxconn protestiert. Die Arbeiter werden so unter Druck gesetzt, dass die Selbstmordrate Schlagzeilen machte. Gerlach und sein Filmteam erhalten ausserdem Zugang zu einem «Piratenlabor» mit geheim gehaltenem Standort in der chinesischen Provinz, wo Wanderarbeiter unter denselben Bedingungen unlizenzierte iPhone-Ersatzteile kopieren, die schliesslich in den Regalen der Handydoktoren landen.
«Apple Stories» heisst Gerlachs Film zu den dunkleren Kapiteln hinter der strahlenden Erfolgsgeschichte des iPhones. Wer mehr dazu hören will: der Dokumentarfilmer ist kommenden Donnerstag nach der Filmvorführung im Neuen Kino Basel vor Ort.
Ihr Film heisst «Apple Stories», aber abgesehen von einem anonym gebliebenen Mitarbeiter eines Apple-Stores in Hamburg ist kein einziger Mitarbeiter oder Sprecher von Apple zu hören. Warum?
Rasmus Gerlach: Apple pflegt eine ähnliche restriktive Kommunikation wie der Detailhandelskonzern Aldi, mit dem ich mich in einem früheren Film beschäftigt habe: Man erfährt grundsätzlich nichts. Alle meine Anfragen wurden abgeblockt. Aber als mein Film dann erstmals auf dem TV-Sender «Phoenix» ausgestrahlt wurde, hat Apple sich bei den Hamburger «Handydoktoren», die im Film mit Namen genannt wurden, gemeldet. Sie wollten wissen, warum sie sich kritisch über die Qualität von iPhones geäussert haben.
Im Film lösen die Handydoktoren die vielfältigen Schäden auf sehr kreative Weise, etwa mit einer Mikrowelle, um die Risse in den Zinnlinien, die die Fingersteuerung auf der Benutzeroberfläche registrieren, wieder zu kitten…
…ja, die sind sehr erfindungsreich. Die Temparatur wird dabei einfach auf den Schmelzpunkt von Zinn gestellt, damit sich die Risse schliessen. Weil es keine Ersatzteile gibt, leben manche Handydoktoren komplett von iPhones.
Warum gibt es keine Ersatzteile?
Damit der Kunde im Schadensfall ein neues Gerät kauft. Davon profitieren die Reparateure, aber es ist eine nervenaufreibende Dienstleistung: Die Apple-Nutzer sind derart fertig mit den Nerven, wenn ihr iPhone kaputt geht, dass sie Ärger machen, wenn es nicht sofort repariert werden kann. Das ist nicht wie beim Schuhmacher, wo die Leute ihre Schuhe bringen und geduldig ein paar Tage warten.
«Das iPhone hat den Menschen viele neue Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Das überfordert die Leute, auch wenn sie es nicht gerne zugeben.»
Sie haben die Wartenden an der Eröffnung des Apple-Stores in Hamburg gefilmt. Schüler haben dort übernachtet, um das iPhone 5 kaufen zu können, weil es eine bessere Kamera besitze, jemand anderes hat sich als «süchtig nach Apple» bezeichnet. Nachvollziehbar?
Das iPhone hat den Menschen viele neue Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Das überfordert die Leute, auch wenn sie es nicht gerne zugeben. Dahinter steckt mehr als eine blosse Leidenschaft für ein Produkt, das iPhone greift in viele Bereiche des Lebens ein und löst mehrer ältere Kommunikationsformen ab. Und wie man in Ägypten zur Zeit von Mubaraks Sturz gesehen hat, verändern die neuen Kommunikationswege wie Twitter, die wiederum über Smartphones genutzt werden, politische Prozesse.
Das ist eine soziologische Antwort. Was macht das iPhone psychologisch? Wo ist das Suchtpotenzial?
Auf jeden Fall sind es nicht einfach schlichte Marketingopfer. Gerade für junge Leute hat das iPhone einen hohen Nutzwert und ist mehr als ein Statussymbol, trotz der irrationalen, fast religiösen Komponente. Es eröffnet neue Möglichkeiten, man schafft sich als junger Mensch eine Privatsphäre, wo man nicht mehr auf das Telefon oder den Computer der Eltern angewiesen ist, man hat seine Musik, seine Kontakte drauf, sein persönliches Leben sozusagen.
Sie haben die Zinnminen in Ruanda besucht, in denen das Zinn eine besonders hohe Reinheit hat und daher Smartphone-Hersteller auf diese Mineralien angewiesen sind. Gibt es keine geltende Standards zu den Arbeitsbedingungen?
In der ersten Mine, in Nemba, drückt der Konzessionsinhaber beide Augen zu. Die lokalen Bauern graben nebenbei im Berg die letzten Zinnadern raus, nachdem die Bergbaufirmen aus der deutschen Kolonialzeit die Mine aufgegeben haben. Das machen die Bergarbeiter auf eigene Verantwortung. Wenn es Unfälle gibt, ist keiner verantwortlich. Anders sieht es in der zweiten Mine, in Utongo, aus. Die hat das allerbeste Zinngestein. Dort findet man Arbeiter aus Südafrika und internationale Geologen, und Nichtregierungsorganisationen sind vor Ort, um die Arbeitsbedingungen und vor allem das Lohnsystem zu überwachen. Das hat schon seine Wirkung: man will nun ein Lohnsysteme einführen, damit die Minenarbeiter nicht mehr auf Gedeih und Verderb auf eine hohe Fundmenge angewiesen sind und ein sicheres Einkommen haben.
Das deckt sich mit der Aussage eines Zinnhändlers im Film: Die Weltgemeinschaft müsse aufhören, von Ausbeutung zu reden, schliesslich würden von den Bergbaumöglichkeitne tausende Arbeiter und ihre Familien leben. Korrekt?
Natürlich ist das eine Ausbeutung. Es ist ja nicht so, dass es in diesem Landstrich grosse Arbeitsmöglichkeiten gibt. Das mindeste, was man verlangen muss, sind gerechte Löhne. Wenn man sieht, welche Gewinne Apple macht, ist es nicht richtig zu sagen, die Löhne dürfen tief sein, die Lebenskosten seien es ja auch.
Ein weiteres Problem, das sie ansprechen, sind «Konfliktmineralien», mit deren Handel lokale Konflikte finanziert werden. Im Film treffen Sie einen chinesischen Mineralhändler, der tonnenweise Gestein kauft, ohne nach der Herkunft zu fragen. Im Unterschied zu «Blutdiamanten» gibt es hier noch keine wirksamen Kontrollen?
Das verbindliche internationale Regelwerk ist erst in der Entstehung. Konfliktmineralien sind in der Regel billiger, weil sie weniger Abnehmer finden. In Deutschland allerdings erprobt man nun die Entwicklung eines geologischen «Fingerabdrucks»: Geologen von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover arbeiten daran, eine Markierung für Gesteine einzuführen, durch die sich ihre Herkunft ablesen lassen …
… und deren Handel einzudämmen, sofern es sich um ein Konfliktgebiet handelt.
Genau. Das Problem ist, dass soviel gefördert wird, dass längst nicht alles Gestein in die Kontrolle gerät und viele Schmuggelwege existieren. Aber es ist ein Anfang. Bleiben die Kontrollen lax, geht man auch grosszügig mit Vorschriften um.
A propos Kontrolle: Das Thema des Datenschutzes wird im Film nicht zentral angesprochen, taucht aber immer wieder auf. Die Minenarbeiter werden mit einem Chip erfasst, um ihre Fördermenge festzuhalten und den Schmuggel zu unterbinden. Der Lohnzahlungsverkehr läuft über Mobiltelefone. Und in Hamburg können die Handydoktoren aus Second-Hand-Telefonen noch immer Informationen über die Vorbesitzer herauslesen. «Apple weiss alles», sagt einer. Eine weitere beunruhigende Apple-Story?
Das Thema ist natürlich brandaktuell. Dass der Film im Kino gut gebucht wird , hat bestimmt mit dem NSA-Skandal zu tun. Auch wenn der Film nur hintergründig davon handelt, wird der Film aus genau diesen Gründen geschaut, und die Leute kommen mit vielen Fragen dazu. Sie sorgen sich um ihre Daten, hingegen weniger um die sozialen Probleme, die die Herstellung ihrer Telefone verursacht.
«Das mindeste, was man verlangen muss, sind gerechte Löhne. Wenn man sieht, welche Gewinne Apple macht, ist es nicht richtig zu sagen, die Löhne dürfen tief sein, die Lebenskosten seien es ja auch.»
Bei der Eröffnung des Apple-Stores in Hamburg haben sie das Desinteresse an kritischen Fragen an Apple festgehalten. Heisst das, Foxconn und Co. interessiert die Menschen nicht?
Apple und Foxconn wissen natürlich Bescheid, wo die Rohstoffe herkommen. Dass sich die Menschen nicht sonderlich dafür interessieren, kommt ihnen natürlich entgegen. Die Arbeitsbedingungen in Foxconn sind vielleicht am Rand noch ein Thema in den Medien, gewiss aber nicht die Minen in Ruanda. Ich denke aber nicht, dass sich aufgrund der Medienberichte etwa über Foxconn etwas geändert hat. In Südkorea ist das anders: ein Fernsehsender will meinen Film dort ausstrahlen. Vom zuständigen Redakteur habe ich erfahren, dass es dieselben Fragen zum Apple-Konkurrenten Samsung – eine südkoreanische Firma – gibt. Interessant ist, dass Samsung offenbar ein abgeschottener Familienbetrieb ist, wo wohl ähnlich traurige Herstellungsverhältnisse herrschen, aber man weiss nichts drüber. Noch viel weniger als bei Apple, da wurde eine regelrechte Firewall darum gebaut. Und Samsung weist ja noch bessere Verkaufszahlen als Apple auf.
- «Apple Stories», Do 24. und Fr 35. Oktober, 21 Uhr, Neues Kino Basel.