Bitte keine Raubkunst für das Kunsthaus Zürich

Wenn im Jahr 2020 die Sammlung Bührle ins Kunsthaus Zürich zieht, sollte die Provenienz der Bilder restlos geklärt sein. Wie schwierig das ist, beschreibt das soeben erschienene «Schwarzbuch Bührle».

Werke aus der Sammlung Bührle wurden schon 2010 im Zürcher Kunsthaus ausgestellt – allerdings noch temporär.

(Bild: Keystone / Walter Bieri)

Wenn im Jahr 2020 die Sammlung Bührle ins Kunsthaus Zürich zieht, sollte die Provenienz der Bilder restlos geklärt sein. Wie schwierig das ist, beschreibt das soeben erschienene «Schwarzbuch Bührle».

Lange Zeit war es schwierig bis unmöglich, in Fragen von unrechtmässigem Kunstbesitz die nötige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Jetzt dagegen ist die Bereitschaft, dieser Problematik Beachtung zu schenken, so stark gewachsen, dass daraus schnell ein Medienthema wird. Dies zeigt sich an den ersten Reaktionen der eben vorgelegten Schrift «Schwarzbuch Bührle».

Ein Schwarzbuch: Dieser Buchtypus will Klageschrift sein, er gehört auch zur Gattung der Enthüllungsliteratur und denunziert vermeintliche oder tatsächliche Missstände. Dazu gehören etwa Rudolf Oldens Schrift «Das Schwarzbuch. Tatsachen und Dokumente. Die Lage der Juden in Deutschland 1933» (1934) oder Arthur Koestlers «Schwarzbuch über Spanien» (1937).

Warum nun das «Schwarzbuch Bührle», und warum gerade jetzt? Die Herausgeber, der Historiker Thomas Buomberger und Guido Magnaguagno, Kunsthistoriker und ehemaliger Vizedirektor des Kunsthauses Zürich, fordern im Hinblick auf die geplante Übernahme der Gemäldesammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle durch das Kunsthaus eine umfassende Abklärung der Provenienz der Bilder und diesbezüglich eine schonungslose Aufklärung des künftigen Kunsthauspublikums.

Das Buch erklärt sich nicht aus dem Zeitpunkt seines Erscheinens. Wenn es seinen Zweck erfüllen soll, muss es aber früh genug erscheinen, dass noch vor der für 2020 geplanten Präsentation genug Zeit für die geforderten Abklärungen bleibt. Eigentlich wäre es besser vor 2012 erschienen, als zu diesem Projekt eine Volksabstimmung stattfand.

Die Buchpublikation fällt aber symbolisch mit dem Beginn der Vorbereitungsarbeiten zur Einrichtung des Baus von David Chipperfield («grösstes Kunstmuseum der Schweiz») zusammen. Auf dem Areal des Erweiterungsbaus werden, nach einigen Rekursen, die bestehenden Bauten und Baracken von Schadstoffen (unter anderem Asbest) befreit. Mit der Schadstoffsanierung will man sicherstellen, dass weder Menschen noch Umwelt gefährdet sind. Gleiche Sorgfalt sollte auch zum Inhalt des künftigen Museums getragen werden.

Druck produzieren

Mit Neuigkeiten kann das Buch jedoch nicht wirklich aufwarten. Es muss dies auch nicht, das wäre eher Aufgabe der Tagesmedien, die jeweils über plötzliches Auftauchen von verschwundenen Bildern oder über Klagen und Gerichtsurteile im Streit um Kunstbesitz berichten. Ein Buch aber kann Druck und Nachdruck produzieren, kann dafür sorgen, dass eine an sich bekannte, aber auch gerne verdrängte Frage vermehrt beachtet wird.

Es gibt in der Tat mehr oder weniger gute Gründe, sich mit den aufgeworfenen Fragen zu beschäftigen. Zu den sehr guten Gründen gehört: Wenn die Privatsammlung des Waffenhändlers Bührle zu einem Teil der öffentlichen Kunstsammlung der Stadt Zürich wird, besteht ein erhöhtes, sozusagen ein absolutes Interesse an einer restlosen Abklärung der Herkunft dieser Bilder.

Da diese 190 Bilder bloss einen Teil des ursprünglichen Bestandes ausmachen und 120 Bilder bei Nachkommen bleiben oder geblieben sind, strahlt dieses Interesse auch auf das private Gut aus. Man müsste ausschliessen können, dass eher unproblematische Bilder an die öffentliche Hand abgetreten und dadurch gleichsam geadelt werden und im gleichen Vorgang allenfalls problematische Bilder problemlos im Privatbereich verschwinden.

Raubkunst und Fluchtgut

Was ist mit restloser Abklärung der Herkunft gemeint? Im Allgemeinen meint man damit, dass die Umstände des Besitzwechsels seit 1933 beziehungsweise seit dem Einsetzen der Judenverfolgungen geklärt werden müssen. Dabei geht es nicht einzig um die Abklärung von krudem Raub oder pseudolegaler Arisierung, sondern auch um die Abklärung, ob sich Eigentümer «verfolgungsbedingt» in einer Notlage von ihrem Besitz trennen mussten, weil sie bei ihrer Emigration Werke nicht mitnehmen konnten und ihre Ausreise finanzieren mussten. Diese neuerdings vermehrt beachtete Kategorie wird Fluchtgut genannt und bildet einen zentralen Punkt der neuen Publikation. Der Untertitel des Buches beschränkt sich allerdings auf den spektakuläreren Begriff der Raubkunst.

Abklärungen in diesem Bereich geraten in schwer einschätzbare Zonen. Jedenfalls muss festgestellt werden, ob «gerechte» Preise bezahlt wurden, wobei diese Preise bei überschwemmtem Markt zeitweise eher niedrig sein konnten. Eine rigorose Auffassung könnte dahin gehen, dass unabhängig vom erzielten Preis in dieser Periode jeder Verkauf an sich als genötigt und darum auch nach Jahrzehnten als nichtig einzustufen sei.

Thomas Buomberger, selber an einem Restitutionsbegehren als Gutachter beteiligt, rekapituliert die Geschichte der von Bührle seit Ende der 1920er- bis in die 1950er-Jahre getätigten Ankäufe. Er zeigt, dass auch Werke, die erst nach 1945 erworben wurden, problematische Vorgeschichten aus der Zeit vor 1945 haben könnten. Neben minutiösen Zusammenstellungen finden sich auch ein paar sehr schwerwiegende und doch sehr allgemeine Sätze, wenn gesagt wird, dass in Frankreich «Millionen» von Kunstwerken gestohlen worden und davon «Hunderttausende» bis heute verschollen seien und dass «die wenigsten» Schweizer Museen die Provenienzen ihrer Sammlungen abgeklärt hätten.

Die freundliche Impressionisten-Sammlung

Zudem wird die von der Bührle-Stiftung mit der Abklärung beauftragte Kunstexpertin Laurie Stein auf Vorrat dem Verdacht der Parteilichkeit ausgesetzt, weil sie für diese Arbeit (mit «Sold») entschädigt wird. Hingegen ist der Interpretation zuzustimmen, dass das Bundesgericht um 1950 mehrere Kunsthandelsfälle auf Kosten der Steuerzahler unangemessen als «gutgläubig» eingestuft hat, um damit auch den Status der Schweiz zu schonen.

Guido Magnaguagno zeigt an zwölf illustrierten Fallbeispielen exemplarische Schicksale jüdischer Sammler auf und benennt generelle Probleme der Beutekunst und der Restitution. Er verweist auch auf das «Lockvogel»-Marketing, das die Bührle-Sammlung vor allem als freundliche Impressionisten-Sammlung beliebt machen wollte.

Besonders eindrücklich ist Charles Linsmayers Beitrag, der schon 1997 verfasst wurde, zu einer Zeit also, da die «Schatten des Zweiten Weltkriegs» vorübergehend etwas deutlicher wahrgenommen wurden. Linsmayer zeigt, wie sich Bührle nicht nur in der Welt der bildenden Kunst, sondern auch im Zürcher Schauspielhaus und beim Schriftstellerverein einzukaufen verstand und wie sich die Begünstigten in der Regel nicht der Frage stellten, ob sich die Annahme von «Blutgeld» mit dem von ihnen beanspruchten Ethos verantworten lasse. Max Frisch hingegen lehnte 1950 den Auftrag, für Oerlikon-Bührle ein Festspiel zu schreiben, was sicher gut entschädigt worden wäre, mit eindrücklichen Worten ab.

Die problematische Herkunft des Geldes

Bührle war, wie auch der Historiker Hans-Ulrich Jost in seinem Beitrag «Ausgegrenzt und eingespannt» ausführt, ein Unternehmer, der für die Schweiz gerade in den Kriegsjahren eine wichtige Rolle spielte, aber doch nicht akzeptiert war. An seiner Person zeige sich die eidgenössische Ambivalenz von Wirtschaftsinteressen und angeblich über den Interessen stehender Neutralität.

Das Schwarzbuch ist, wie der Titel besagt, auf Bührle ausgerichtet, auch im Fall der substanziellen Beiträge des Wirtschaftshistorikers Wolfgang Hafner über den Rüstungsindustriellen. Neben der Herkunft der Bilder ist eben die Herkunft des Geldes wichtig. Wäre es nicht Rüstungsgeld und bloss Chemiegeld oder Uhren- oder Schoggigeld, die Herkunft würde als weniger problematisch eingestuft.

Dahinter und davor steht aber die allgemeinere Frage des Umgangs mit Fluchtgut, eine Frage, die mit dem spektakulären Gurlitt-Erbe des Berner Kunstmuseums Auftrieb erhalten hat. Im letzten Beitrag regt der Ethnologe Heinz Nigg an, die Kunsthaus-Erweiterung auch als «Einladung» zu einem transparenteren Umgang mit Raubkunst und Fluchtgut zu verstehen und als Anlass für ein breiter angelegtes Gedenken an die Verfolgungsgeschichte zur NS-Zeit: Es soll eine einfach Stele auf dem Vorplatz errichtet werden und es sollen, jeweils am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, die Kunstmuseen für Schulklassen geöffnet werden, damit sie sich an konkreten Fallbeispielen mit der Problematik auseinandersetzen können.

Lukas Gloor, Direktor der Stiftung Sammlung E.G.Bührle, hat zu verstehen gegeben, dass die zentralen Forderungen – Provenienzabklärung und entsprechende Deklaration bei der Bilderpräsentation – entweder bereits erfüllt seien oder noch erfüllt würden. Also viel Lärm um nichts? Wir werden sehen.
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Thomas Buomberger/Guido Magnaguagno (Hg.), «Schwarzbuch Bührle. Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?» Zürich, Rotpunktverlag 2015, 255 S.

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