Blättern erlaubt: An der Liste Basel werden Kinderbücher zum Kunstwerk

Nicht nur Kunstinstallationen lassen sich an der Liste Basel bewundern, auch in Kinderbüchern kann man stöbern. Der Sondergast «Ratz Fatz Zauber Was – Fairs and Fairy Tales» präsentiert 200 Bilderbücher aus der Nachkriegszeit und ermuntert den Besucher zum selbst Entdecken.

Sowohl ideologische Aspekte als auch verschiedene Kunstströmungen lassen sich in den Kinderbüchern erkennen.

Nicht nur Kunstinstallationen lassen sich an der Liste Basel bewundern, auch in Kinderbüchern kann man stöbern. Der Sondergast «Ratz Fatz Zauber Was – Fairs and Fairy Tales» präsentiert 200 Bilderbücher aus der Nachkriegszeit und ermuntert den Besucher zum selbst Entdecken.

Als Kind fand ich schlafen gehen immer blöd. Nur etwas konnte meine abendliche Trotzlaune heben: Mama und Papa neben meinem Bett, aus einem schönen Bilderbuch vorlesend. Neugierig tauchte ich jeden Abend in die Welt der Prinzessinnen, Drachen, Trolle und Meerjungfrauen ein.

Ungeduldig versuchte ich weiter zu blättern, bevor der Abschnitt fertig vorgelesen war und eine genervte Elternstimme mahnte: «Jetzt wart‘ doch mal, bis ich fertig bin!»

An der Ausstellung «Ratz Fatz Zauber Was – Fairs and Fairy Tales» von den Kuratoren Luca Beeler, Cédric Eisenring und Carmen Tobler ist das Blättern erlaubt, ja sogar erwünscht, denn dort sind die Bilderbücher nicht Ausstellungsobjekte in der Glasbox, sondern Lesematerial zum Anwenden.

Die Sammlung, die aus über 200 Exemplaren besteht, ist ein Projekt der Kunsthalle Zürich und wird an der Liste Basel zum ersten Mal ausgestellt. Die Ausstellung befindet sich in einer möglichen Produktionsstätte ihres Inhalts, nämlich im Druckwerk Warteck.

Trotz industriellem Flair kommt irgendwie ein Kinderzimmergefühl auf: Der dunkle Raum wird von vereinzelten Lampen punktuell erhellt. Seltsame, unheimlich wirkende «Maschinenwesen» sind im Raum verteilt. Es handelt sich um Druckmaschinen, die zu skurril dekorierten Leseplattformen umgewandelt wurden und auf denen Bücher zum Stöbern bereit liegen.

In den 70ern wurden gerne Randfiguren thematisiert.

In den 70ern wurden gerne Randfiguren thematisiert.

Dicke und freche Kinder

Ich beginne an einem der «Maschinenwesen» in den Büchern zu blättern, ganz in meinem Tempo, ohne dass mir jemand auf die Finger haut. So einige kuriose Titel kommen mir in die Finger. Beim wenig bescheidenen Titel «Die Geranie auf der Fensterbank ist eben gestorben, aber Sie reden einfach weiter, Fräulein Schmitt» würde sich wohl so manches Kind schon vor Beginn der Geschichte in süsse Träume flüchten.

Ich schaue weiter und entdecke «Die gute Tat der dicken Kinder.» Auch spannend, aber was sind das hier eigentlich für Kinderbücher?

Luca Beeler klärt mich auf: Ich bin beim Maschinenwesen der antiautoritären Erziehung gelandet. Hier befinden sich Bücher, die mit aufmüpfigen und frechen Figuren die Kinder zu autonomen Wesen erziehen wollen. In fünf weitere Maschinenwesen, sprich Themenbereiche, sind die 200 Bücher eingeteilt.



Antiautoritäre Kinderbücher: Lange Titel wirken abschreckend.

Antiautoritäre Kinderbücher: Lange Titel wirken abschreckend.

Wortmalerei aus Japan

Gemeinsamer Nenner ist die Nachkriegszeit, in der die Bücher entstanden sind. Besonders der Babyboom der 1970er-Jahre sei demografisch spannend, sagt Beeler, der sich mit dem geschichtlichen Kontext der Bücher befasst hat: «Ich vermute, dass die Kinder damals einen anderen Stellenwert hatten und das sieht man auch in den Büchern.» Und tatsächlich, viele der vorherrschenden Ideologien werden auf einer kindlich-banalen Ebene sichtbar.

Besonders wichtig für die drei Aussteller ist das Buch «Moko Moko Moko» des japanischen Künstlers Sadamasa Motonaga. Dieses befindet sich an einem Maschinenwesen, wo sich Bücher auf einer Metaebene mit der Sprache befassen und wo Wort und Bild verschmelzen. Das abstrakte Bilderbuch aus Japan mit seinen lautmalerischen Ausdrücken inspirierte die drei Kinderbuch-Fans dazu, diese Ausstellung auf die Beine zu stellen.

Buch als Kunstwerk

Und was hat das jetzt mit Kunst zu tun? «Uns fasziniert einfach das Bild. Wir wollen die Kinderbücher aus einer künstlerischen Perspektive betrachten», sagt Beeler. Nicht nur politische und ideologische Ideen werden in den Büchern erkennbar, sondern auch verschiedene Kunstströmungen sind vertreten. Ziel sei es, das Buch aus seinem vermittelnden Erziehungskontext zu nehmen und als Kunstwerk zu entdecken.

Ein bisschen Nostalgie schwingt da schon mit. Ich blättere mich von den dicken Kindern über Fabelwesen im Wald zu abfallfressenden Schafen und wünsche mir wieder ein bisschen Kindheit zurück, in der ich mich unter der Bettdecke verkriechen und in eine andere Welt tauchen kann. Und vorgelesen wird dann übrigens tatsächlich – und zwar täglich um 15 Uhr von besonderen Gästen aus aller Welt.   

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