Blitze über antiker Kulisse

Bei der sonntäglichen Aufführung von «Stella Orfeo» im Rahmen des Stimmen-Festivals musste der Sonnensänger dem Donnergott weichen: Der Tanz wurde abgebrochen, die auf Montag angesetzte Aufführung verschoben.

(Bild: Juri Junkov)

Bei der sonntäglichen Aufführung von «Stella Orfeo» im Rahmen des Stimmen-Festivals musste der Sonnensänger dem Donnergott weichen: Der Tanz wurde abgebrochen, die auf Montag angesetzte Aufführung verschoben.

Ist ein Sagenstoff so mächtig wie der von Orpheus, lässt er sich auf alle Zeiten und Genres übertragen. Zum Finale bringt «Stimmen» in der Kulisse des Römertheaters von Augusta Raurica Barockoper, zeitgenössische Musik und moderne Choreographie zusammen. In der sonntäglichen unter den vier Aufführungen spielte jedoch einmal mehr das Wetter die Hauptrolle beim Festival. Eine letzte Performance gibt es am Dienstag.



Orpheus als mythischer Urvater allen Gesangs stand Pate für die diesjährige, neunzehnte Ausgabe von Stimmen. Nach der experimentellen Konzertcollage «Eurydikes Lamento» von Ann Allen, der jazzigen Ausgestaltung von Orpheus-Adept Claudio Monteverdi durch den Serpentspieler Michel Godard und der barocken Revue der Lauten Compagney Berlin setzt die Eigenproduktion des Festivals «Stella Orfeo» nun die grosse Klammer ums Leitmotiv. Passagen aus Monteverdis «Orfeo», eine der ersten Opern der Musikgeschichte, treffen hier auf experimentelles Tanztheater im «Canto Di Orfeo», das der langjährig mit dem Burghof Lörrach verbundene Italiener Mauro Bigonzetti für die Compagnia Aterballetto choreographiert hat. Und schliesslich erfährt der Stoff noch in Hans Werner Henzes «Orpheus Behind The Wire» eine weitere moderne, diesmal wieder musikalische Ausdeutung.



Szenische Bereicherung



Dass die vielen Spuren, die die antike Sage durch den Lauf der Jahrhunderte gezogen hat, in einer solchen dreiteiligen Performance gerade in Augusta Raurica gebündelt werden, ist natürlich ein im wahrsten Wortsinn «sagenhafter» Glücksfall. Denn im Halbrund des Römertheaters raunt dem Zuschauer jeder Stein Jahrtausende alte Geschichte zu. Die Lokalität wird bei der konzertanten Aufführung der Monteverdi-Passagen noch szenisch bereichert. Fritz Näf und seine Basler Madrigalisten nutzen zusätzlichen Freiluftraum. Hinter der Bühne steht das Instrumentalensemble, das mit viel Impetus, mit sattem Klang des Zink und zackigem Spiel auf der Theorbe einen mitreissenden Klang erzeugt, während pünktlich zum Start ein erstes Donnergrollen zu hören ist.

Von der Tempeltreppe gegenüber strömen die Sänger über Stufen und Wiese heran, um den Preis von Orpheus zu singen. Sie verkörpern Nymphen und Hirten, sind passenderweise léger, fast pastoral gekleidet, werden von den lichten Soli Daniel Issas und Agnieszka Kowalczyks angeführt. Es gibt dann, unter den beängstigend herandrängenden Wolkenwänden und zuckenden Blitzen, einen «Orfeo» im Schnelldurchlauf. Man erlebt, wie Orpheus den Tod seiner Eurydike beklagt, mit überzeugend inniger Schmerzlichkeit von Hans-Jörg Mammel gesungen. Wie er den Fährmann Charon überlistet, um die Geliebte aus der Unterwelt zu retten. Und wie er schliesslich in einem bukolischen Schlussduett mit Apollo (Gregory Finch) zur Unsterblichkeit erhoben wird. Die Tänzer von Aterballetto können, in antik inspirierter weisse Kleidung nur noch ein paar Takte zu Akkordeon und Radiosignalen andeuten, dann öffnen sich die Schleusen des Himmels und sorgen für Abbruch.



Sagenhafte Musik, durchwachsene Witterung



Eine der vielen Wetterkapriolen, unter denen «Stimmen» 2012 zu leiden hatte, was aber der Güte der Musik und der Zähigkeit des treuen Publikums nicht abträglich war. Nur ein paar Eckpunkte: Nach einem relativ spröden und verkopften Beginn mit Godards jazziger Annäherung an den Barock begeisterten im Wenkenpark Lizz Wright und Raúl Midón mit kräftiger Erdigkeit, Low Anthem mit berührendem Songwriting. Bei den Marktplatzkonzerten, deren Auslastung über der Erwartung der Veranstalter lag, überzeugten einmal mehr die quirligen Katzenjammer-Frauen und Superstar Lenny Kravitz. Und im Lörracher Rosenfelspark zeigte sich auch die Schweiz interkulturell: in Gestalt von Albin Bruns Jazzensemble zur Verbrüderung mit den Frauen von Akana aus Belarus, sowie in Fortunat Frölichs gewagtem Chor-Spagat «Chanta O Unda» vom Bündnerischen bis nach Marokko. Yemen Blues schliesslich brachte neue Helden der Weltmusik aus Israel ins Gespräch.

Mit eigenwilliger und kreativer Handschrift hat Festivalleiter Helmut Bürgel in seinem Abschiedsjahr nochmals kräftige Impulse für seinen mittlerweile gut eingeführten Nachfolger Markus Muffler gegeben. Um «Stella Orfeo» doch noch zu erleben, gibt es noch eine Chance am morgigen Dienstag (die für heute geplante Aufführung wurde verschoben). Die Wetteraussichten sind gut, statt Donner wird es wohl tatsächlich Sternenfunkeln geben.

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