Blur: Eine Band auf der Flucht vor sich selbst

20 Jahre ist es her, da verlor eine Band namens Oasis einen medial inszenierten Kampf. Die Gewinner hiessen Blur und hatten soeben ihr viertes Album veröffentlicht: «The Great Escape».

Erschien 1995, auf dem Höhepunkt des Britpop: Blurs «The Great Escape».

20 Jahre ist es her, da verlor eine Band namens Oasis einen medial inszenierten Kampf. Die Gewinner hiessen Blur und hatten soeben ihr viertes Album veröffentlicht: «The Great Escape».

Die Geschichte des vierten Albums von Blur ist auch die Geschichte einer legendären Rivalität zwischen zwei Bands. Die eine – Blur – gründeten vier Kunststudenten im Jahr 1988 in London. Die andere entstammte Manchesters Arbeiterklasse und nannte sich Oasis.

Die Legende erzählt, dass Blur-Sänger Damon Albarn im Frühjahr 1995 an eine Party ging, wo Oasis gerade ihr neuestes Album namens «What’s the Story (Morning Glory)» feierten. Da traf Damon auf Liam Gallagher, Oasis-Sänger, der ihm ins Gesicht sagte: «Number fucking 1!». Und Damon dachte: «Warts ab.»

Wenige Monate später gelangte Blurs «The Great Escape» in die Plattenregale. Als erste Single erschien «Country House», die vor Zynismus triefende Geschichte eines Prozac-geschädigten Stadtbewohners, der sich aufs Land zurückzieht, und dessen zweite Strophe sicher nicht zufällig so begann: «He’s got morning glory and life’s a different story.»

Oasis veröffentlichten am selben Tag die zweite Single aus ihrem Erfolgsalbum, «Roll with it» – ein Schachzug der Plattenfirmen.

Die Medien waren Feuer und Flamme für diesen Wettstreit und gossen Öl ins Feuer, wo sie konnten. Die grössten britischen Musikmagazine, der NME und der «Melody Maker», platzierten Damon Albarn und Liam Gallagher in Boxerstellung auf ihren Covers. Der Kampf – in den Volksmund eingegangen als «The Battle of Britpop» – konnte beginnen. Und Blur gewannen ihn. Was Blur-Bassist Alex James prompt dazu verleitete, bei ihrer Nummer-1-Performance in der damaligen Hitparade-Sendung «Top of the Pops» ein Oasis-T-Shirt zu tragen.

Gitarrist Graham Coxon hatte damals bereits genug. Um darauf aufmerksam zu machen, dass «hier übrigens auch Menschen involviert» seien, versuchte er, an der «Sieges-Party» aus einem Fenster zu springen. Der Öffentlichkeit war das egal. Sie liebte den hochstilisierten Kampf, und die Fans beider Bands bekriegten sich bald gegenseitig.

Und irgendwann ging es dann auch wieder um die Musik.

Das Album, das den ganzen Wirbel ausgelöst hatte, erschien auf dem Höhepunkt des sogenannten Britpop. Die Presse liebte es, lobte die einfallsreichen Texte, die musikalische Dichte, welche Blur mittels eines ganzen Arsenals von Instrumenten zustande brachten, die eingängigen Melodien, die sich mit schwergängigerem Material abwechselten. Die Songs «Stereotypes» und «Country House» wurden zu Hymnen, die bald jeder mitsang. Nur Blur selbst waren mit ihrem Werk nicht zufrieden – sie hatten nach ihrem dritten Album «Parklife» höhere Ansprüche an sich selbst, waren aber gleichzeitig derart unter Druck, dass ihnen nicht das gelang, was sie wollten, wie sie später eingestanden. Auf ihren folgenden Alben «Blur» und «13» wandten sie sich wohl auch deshalb vom typischen Britpop ab und versuchten sich an experimentellem Rock.

Seit «The Great Escape» sind 20 Jahre vergangen. Zwei Blur-Mitglieder machten unterdessen im Alleingang weiter (Albarn und Coxon), mehrere von ihnen überwanden Krisen oder Alkoholsucht oder suchten sich alternative Jobs – zum Beispiel als Anwalt (Drummer Dave Rowntree) oder als Käser (Bassist Alex James). Es brauchte einige Zeit, bis sie sich wieder zusammenrauften und tatsächlich noch ein achtes Album produzierten: Es heisst «The Magic Whip» und wurde am 27. April 2015 veröffentlicht. Und es klingt – nun ja, wie Blur eben. Als wäre die Zeit stehengeblieben. Nur den Kampf, den gibts nicht mehr.

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Weils mir noch nicht gereicht hat, mir das neue Blur-Werk so richtig in Ruhe zu Gemüte zu führen und somit entsprechend zu würdigen, empfehle ich die kurze Kritik von Leuten, die sich auskennen sollten: Dem Rolling Stone-Magazin.

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