Brian Wilson: Ein Schatten seiner selbst

Die Popsongs des Beach-Boys-Masterminds sind genial gebaut und harmonisch raffiniert. Brian Wilson selber aber wirkt bei seinem Basler Gastspiel leider umnachtet. Bedeutend mehr Vitalität versprüht einer, der tatsächlich mal Surfer war: Donavon Frankenreiter.

Das Genie mit dem Prompterblick: Brian Wilson. 

(Bild: Dominik Plüss)

Die Popsongs des Beach-Boys-Masterminds sind genial gebaut und harmonisch raffiniert. Brian Wilson selber aber wirkt bei seinem Basler Gastspiel leider umnachtet. Bedeutend mehr Vitalität versprüht einer, der tatsächlich mal Surfer war: Donavon Frankenreiter.

Da sitzt er am schwarzen Flügel. Die Hände auf die Tasten gelegt, als würde er sich darauf abstützen, Sicherheit suchen. Manchmal hängen seine Arme auch einfach nur runter. Den Blick hat er ins scheinbar Leere gerichtet, in Wahrheit aber auf einen Teleprompter, der ihn an seine Texte erinnert. Nein, so möchte man sich Brian Wilson eigentlich nicht in Erinnerung behalten.

«That’s Not Me» singt Brian Wilson, die Stimme brüchig, die Töne grenzwertig. Man leidet mit ihm. «That’s Not Me». Das ist nicht er – jedenfalls nicht der Mann, der vor Ideen sprüht und mit seinen Arrangements, seinen Melodien und Harmonien die Popmusik auf den Kopf stellt. Wie keiner vor ihm zeigte der Beach Boy vor 50 Jahren auf, was in Drei-Minuten-Songs möglich ist. Zum Beispiel das hier:

«God Only Knows» ist das vielleicht göttlichste Stück Musik, das Brian Wilson geschaffen hat, zu finden auf «Pet Sounds», jenem Meisterwerk, das wir schon an anderer Stelle ausführlich gewürdigt haben. Ein sonnig-melancholisches Werk, komplex und doch leicht, das die Beatles zu «Sgt. Pepper’s» angetrieben haben soll. Als Wilson «Pet Sounds» komponierte, war er 23 Jahre alt. Es war bereits sein zehntes Album.

Und jetzt, 2016, ist der 74-Jährige nochmals auf Tour, um es lückenlos aufzuführen. Kult!

Und zeitlos schön: Detailgetreu reproduzieren elf Begleitmusiker das Album. Da ist das Vibrafon in «Don’t Talk», das Cembalo und die Velohupe in «You Still Believe in Me» oder das Waldhorn in «God Only Knows». Alles greift ineinander, alles da, wie man es verinnerlicht hat. Nur die bellenden Hunde in «Caroline, No» tauchen nicht real auf der Bühne auf (aber immerhin als Sample-Einspielung).

Vitaler Al Jardine, abwesender Brian Wilson

Keine Frage: Brian Wilson und seine Grossformation will so respektvoll wie möglich mit dem Vermächtnis umgehen. Glücklich hebt man schliesslich ab, zum abgefahrenen Theremin-Sound in «Good Vibrations».

Und dennoch: der Anblick schmerzt.

Denn der Mann am Flügel, der Mann im Rampenlicht, sitzt im Schatten seiner Band. Neben ihm: Gitarrist Al Jardine, das andere Gründungsmitglied der Beach Boys, ebenfalls 74 Jahre alt. Vital, präsent. Brian Wilson dagegen wirkt abwesend, sagt «Thank You», und «Der nächste Song heisst…». Mehr kommt da nicht. 2002, bei «Pet Sounds» in London, schnippte er noch mit den Fingern, lächelte ins Publikum, schien anwesend. Jetzt aber ist dieser legendäre Musiker nur noch ein Schatten seiner selbst.

Eine grosse Tragödie

Man war darauf vorbereitet. Wilson hat bekanntlich jahrzehntelang mit psychischen und körperlichen Problemen gekämpft, schon vor 50 Jahren nebst wundersamen Melodien auch irritierende Stimmen im Kopf. Zudem wurde er von vielen Ängsten begleitet und, das ist ja das besonders Tragische an seiner Biografie, auch noch jahrelang von Scharlatanen ausgenutzt, misstherapiert, missbraucht. Der berührende Hollywood-Film «Love & Mercy» hat diese ganze Tragödie 2015 noch einmal eindrücklich in Erinnerung gerufen.

So jemand kann vermutlich nie wieder ganz aus seiner Umnachtung ausbrechen und zurückkehren.

Ein umnachtetes Genie 

Ein Genie, von der Realität überfordert, kaum noch fähig, Akkorde zu greifen. Das stimmt traurig. Paul van Mertens versucht davon abzulenken: Der musikalische Direktor tanzt über die Bühne, wenn er nicht gerade Querflöte spielt, trägt sein Baritonsax um den Hals und lenkt mit seinen Showman-Einlagen von der stillen Tragik in der Bühnenmitte ab.

Grotesk mutet der Gastauftritt von Blondie Chaplin an: Als sei Lou Reed dem Sarg entflohen und schreddere eine Gitarre. Chaplin war Anfang der 1970er kurz ein Beach Boy – und hat sich für seine 10 Minuten Bühnenpräsenz finster geschminkt und in ein Dracula-Cape gehüllt. Happy Halloween!

Welch ein Wechselbad der Gefühle, der Songs, der Eindrücke. Man dankt Wilson mit Applaus für sein Schaffen. Man klatscht ihm Mut zu. Man erfreut sich an den Raffinessen, den kleinen Details wie etwa wunderbar arrangierten Rhythmen, angetrieben von Sleigh Bells, diesen Schlittenglocken, die auch ausserhalb der Weihnachtszeit etwas Tröstliches haben. Man möchte ihn trösten. Man möchte sich trösten. 

Es ist ein Konzert, das traurig stimmt

Denn es ist ein Konzert, das traurig stimmt. All die grossen Songs, von neun Stimmen dargeboten, darunter dem datterigen Schöpfer, man kann das nicht ausblenden. Und sich selber Freude einreden, weil es ja ein Wunder ist, dass Wilson überhaupt hier ist, in der Schweiz, auf einer Bühne. Nach Montreux zum zweiten Mal in 50 Jahren, wenn wir uns nicht täuschen. Wahnsinn!

Aber bei aller Bewunderung und bei allem Mitgefühl darf man nicht verkennen, dass Wilsons kreative Hoch-Zeit weit, weit zurückliegt. Und viele Lieder, die die Beach Boys nach «Good Vibrations» veröffentlicht haben, vernachlässigbar sind. Auch an diesem Abend.

Die Ausflüge in die 1970er-Jahre, darunter die «California Saga», bei deren Entstehung Wilson gar nicht richtig involviert war, sind zwar eine Überraschung jenseits der «Greatest Hits»-Erwartungen. Aber nicht wirklich mitreissend.

Ein wahrer Wellenreiter

In die 1970er-Jahre hat uns zuvor der erste Act des Abends entführt: Donavon Frankenreiter. Denn während Brian Wilson das Surfen nur besungen hat, hat Frankenreiter die Wellen auch tatsächlich geritten: Er war 16 Jahre lang Surfprofi, ehe er sich vor gut zehn Jahren ganz der Musik verschrieb. Veranstalterin Beatrice Stirnimann hat mit dieser schönen Verknüpfung zweier Kalifornier eine gelungene Kombination programmiert.

Und eine, die vom ersten Song an Laune macht. Denn Frankenreiter ist der spannendere Jack Johnson. Er versprüht eine Gelassenheit wie Jeff Bridges in «The Big Lebowski», ein unaffektierter, cooler Dude, mit Schnauz und Abendsonne in den Songs. Ein hoch talentierter Musiker, der nicht nur im Look nostalgische Gefühle weckt, orientiert er sich doch stark am Sound der groovigen 1970er-Jahre.



Ein Dude von einem Musiker: Donavon Frankenreiter.

Ein Dude von einem Musiker: Donavon Frankenreiter. (Bild: Dominik Plüss)

Es sind Sommerlieder mit Funk-Flavour, die uns der 43-Jährige kredenzt. Man erinnert sich an die Platten der Doobie und Allman Brothers und ergötzt sich an der Spielfreude von Frankenreiters Band: Grossartig, wie beherzt und leidenschaftlich das Trio aufspielt, den Raum einnimmt – auch mithilfe von Loops, Leslie und einer Doppelhals-Bass/Gitarre. So cool und eindringlich ist ihre Darbietung, dass man sie für eine Hausparty engagieren möchte.

Frankenreiter im Garten, an der Gitarre. Wilson auf der Veranda, im Schaukelstuhl. Und man selber mittendrin, im Swimmingpool. «Wouldn’t it be nice» manchmal, wenn man das Rad der Zeit einfach zurückdrehen könnte?

Goldene Westküste. Danke für die Musik, die du evoziert hast. Bis zur nächsten Welle.

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