Bridget Jones ist wieder da. Neu mit Twitter-Account, Botox, Kindern und 29-jährigem Toy Boy. Ein Erlebnisbericht.
Dienstag, 18. März 2014, 17:00 Uhr
0 Seiten, Erwartungen: sinngemäss (es trägt den Namen «Verrückt nach ihm», es hat ein Schwarz-Weiss Bild auf dem Cover, ist 500 Seiten lang, es ist Chick-Lit)
Habe soeben neues Bridget Jones-Buch angefangen. Umschlag zeigt schlanke Frau auf Barhocker, die versonnen in die Ferne blickt, unter ihr Kinderspielzeug, ein Teddy und Schuhe mit sehr hohen Absätzen. Im Einband bereits die erste Jones’sche Liste:
Sie will:
- 15 Kilo abnehmen.
- Nie mehr dauernd dieselben drei Sachen anziehen, weil es so praktisch ist, sondern stattdessen allmorgendlich ein richtig cooles Outfit zusammenstellen, wie die Promis auf den Illustrierten-Fotos.
- Endlich die Ursache für die seltsamen Geräusche vom Kühlschrank ergründen.
- Einmal die Woche zum Pilates, zweimal zu Zumba, dreimal ins Sportstudio und viermal zum Yoga.
Sie will nicht:
- Reibkäse direkt aus der Tüte essen.
- Ihre Kollegin Nicolette «Nicorette» nennen.
- Mehr als zehn Stück Nicorette täglich kauen.
- Mit Kindern schimpfen, sondern nur noch mit ruhiger Warteschleifen-Stimme mit ihnen kommunizieren.
Viel scheint sich nicht geändert zu haben.
17:50 Uhr
45 Seiten, grausame Todesfälle: 1, grausame Titel: 1, Überraschung: 1
Ok, eine Sache hat sich doch geändert: Bridgets Freund Mark Darcy ist ihr Mann geworden, dann Vater von zwei Kindern, dann gestorben (erfährt man auf 2,5 Seiten, unter der Überschrift «Mitternacht der Seele»). Bridget ist jetzt also Mutter und Witwe. Ansonsten alles mehr oder weniger wie früher. Soll heissen: Witzige Tagebucheinträge von Frau mit Gewichts-, Alkohol- und Ordnungsproblem. Frau ist jetzt einfach älter, hat zwei Kinder, Läuse im Haus und oha!: einen Toy Boy. Er ist 29, heisst Roxster, hat Waschbrettbauch und feiert am selben Tag seinen 30. Geburtstag wie Bridgets Freundin Talitha ihren 60. As if.
19:15 Uhr
202 Seiten, Bridgets Gedanken bisher: 30% Reibkäse, 25% Schoko-Protein-Riegel, 15% Sex/Mangel an Sex, 12% Kinder, 10% Twitter, 6% verstorbener Ehemann, 2% Läuse.
Auf die ersten 40 Seiten Prolog folgte eine Rückblende, die immer noch andauert. Leser erfährt, wie Darcy gestorben ist, dass Bridget jetzt als Drehbuch-Autorin arbeitet, sich fett fühlt und ihre Kinder zwar voller Nissen, dafür aber schlau sind. Dazu viele Seiten gefüllt mit mehr oder weniger hochstehend literarischen Leckerbissen. Darunter:
- «Alkohol wirkt wie Waschmittel für seelische Schmutzwäsche.»
- «Schoko-Mousse ist vom Mund direkt in den Magen gerutscht und hat sich dort festgesetzt wie die Plastikauskleidung einer billigen 5-Liter-Weinbox Rüppelheimer Nierentritt.»
- «Selbst die knappsten Shorts sollten noch einen Tick länger sein als die eigene Vagina.»
- «Ich war stoned wie Tetris.»
Auf Seite 198 dann endlich Toyboy aufgetaucht, jedoch vorerst nur in Twitter-Form. Bridget Jones ist jetzt nämlich auch auf Twitter (@JoneseyBJ, gibts in echt, steht aber nichts) und schreibt tiefgründige Tweets, grösstenteils dem Dalai Lama geklaut. Zu ihren Followern hat sich @Roxster gesellt, der *tiefe maskulin Stimme annehm* – so mit ihr kommuniziert.
19:25 Uhr
Kurz ausgerastet. Finde die sich anbahnende Beziehung zwischen Bridget und diesem Roxster total daneben. Autorin offensichtlich keine 29 mehr. Welcher normal funktionierender 29-Jährige mit Waschbrettbauch schreibt schon «*fauch*, bis dann Baby» einer Frau, die er noch nie getroffen hat? Bin skeptisch, aber wer weiss. Vielleicht entpuppt sich Roxster ja als Verlierer. Oder als Ü50-Cyber-Psychopath.
21:00 Uhr
308 Seiten, davon unrealistisch: Ü100
Roxster weder psychisch krank noch über 50. Roxster ist «wie ein Model aus einer Davidoff-Cool-Water-Reklame, dem ein Bildbearbeiter einen besonders attraktiven Sixpack verpasst hatte.» Und er kann sich «nichts Schöneres vorstellen, als meinen Dreissigsten zusammen mit Talithas Sechzigstem zu begehen.» Na dann.
Ansonsten nicht viel Spannendes passiert. Bridgets Drehbuch «Laub in seinem Haar» (Anspielung auf Hedda Gabler, von Jones irrtümlicherweise «Gabbler» genannt. Allerdings hat sie diesen Ansatz auch nur gewählt, weil äusserst intellektuell und eh von niemandem gelesen und so wieder sehr beeindruckend auf Leute von Produktionsfirma, etc.) wird eventuell mit sexy Schauspielerin verfilmt. Kinder endlich läusefrei.
Donnerstag, 20. März, 17:30 Uhr
405 Seiten, Bridgets Gewicht: 62 Kilo, davon Botulinum-Neurotoxin: 0,5 Kilo
Es kam, wie es kommen musste: Bridget hat sich Botox spritzen lassen, nachdem sie einen Artikel über alte Frauen und ihre Toy Boys gelesen hatte. Konnte daraufhin nicht mehr reden. Hat sich mit Tiefkühlgesicht vor gutaussehendem Lehrer der Kinder blamiert. Später hat Roxster Schluss gemacht wegen Altersunterschied («Du bist das Beste, was mir je widerfahren ist. Aber wir sind nicht in derselben Lage.»). Und Daniel (Cleaver, von Hugh Grant gespielt im Film. Ja, den gibt es auch noch. Ist jetzt nicht mehr sexy promiskuitiver Chef oder Kollege von Bridget und Erzrivale von Mark sondern Pate der beiden Kinder) hat Fairy-Ultra-Waschmittel getrunken.
19:00 Uhr
470 Seiten, Enden: 1, erwünschte Enden: 0
Langsam nähert sich die Geschichte ihrem Ende. Wurde auch Zeit. Daniel hat Spülmittel mit Alkohol verwechselt und ist in Klinik gelandet. Roxster wollte nochmal, aber Bridget liess ihn ziehen, da Altersunterschied zu schwerwiegend («Ich liebte Roxster, ja. Nur: Bei seiner Geburt war ich einundzwanzig Jahre alt.»). Bin jetzt noch entrüsteter: Welche normal funktionierende 50-Jährige macht mit einem 30-Jährigen mit Waschbrettbauch Schluss? Aber untrügliches Chick-Lit-Gefühl sagt mir, dass der Sportlehrer vom Botox-Vorfall wieder auftauchen wird.
20:40 Uhr
Ende. Anzahl durchgelesener Seiten: 507. Anzahl Seiten, mit denen man diese Geschichte hätte erzählen können: 130.
Bridgets Geschichte endet mit:
- 17 verlorenen und 18 zugenommenen Pfunden
- 1 neuen Job
- 152 sichergestellten Nissen
- 797 Twitter-Followern
und einem neuen Typen, der über 30 ist.
Ein schönes, mitunter etwas langatmiges und klischiertes Wiedersehen war es, liebe Bridget. Aber wer dich kennt, der wird Mrs. Jones, beziehungsweise Mrs. Fielding die Ausschweifungen vergeben und kann sich auf eine geballte Ladung Rotwein, Beziehungskrisen, britischen Humor, Gewichtsprobleme, Datingseiten und Reibkäse freuen. Es muss ja nicht immer Hedda Gabbler sein.