In Freiburg zeigen der Kunstverein und das Kunsthaus L6 künstlerische Positionen, welche in verschiedenen Medien Strategien des Erinnerns reflektieren und Spuren des Abwesenden legen. Die Reise zu diesen «Aussenposten» der Regionale lohnt sich.
An der Jahresschau Regionale 13 sind Ausstellungsräume aus allen drei Ländern des Dreiländerecks beteiligt. Was liegt an den Feiertagen näher, als sich die die Arbeiten ennet der Grenze anzusehen? Nach Strassburg haben wir uns für Werkbetrachtungen auch nach Freiburg im Breisgau begeben, zunächst ins Kunsthaus L6.
Als Dokument ihres performativen Aktes zeigt Alexandra Meyer die Fotografie ihrer Fusssohlen, in die sich zwei rote Kreise eingebrannt haben. Während mehreren Tagen hat sie dort die Eheringe ihrer Eltern getragen, die Präsenz ihrer Eltern gespürt und dies wohl auch auf schmerzhafte Weise. Das Foto «Eheringe» vermag in seiner klaren Einfachheit Verbundenheit, Schmerz, Trennung und Prägung der Eltern-Kind-Beziehung zu transportieren.
Auch das Video «FLURINA» von Flurina Badel referiert auf diese Thematik, sind es doch die Eltern, welche einem den Namen geben. Badel stickt mit schwarzem Faden ihren Vornamen in Grossbuchstaben in einen makellos weissen Stoff und sticht sich dabei immer wieder in den Finger. Ihr Blut wird so Teil ihres Namens und lädt diesen weiter auf. An der Ausstellungseröffnung trug Flurina Badel ein hautfarbenes Aschenbrödel-Gewand und stickte darin Satzteile, die sie in Gesprächen über die Angst gesammelt hat. Das bestickte Gewand «Unter meiner Haut» ist nun auf einer Kleiderbüste ausgestellt und kann in seiner Vielschichtigkeit gelesen werden.
Materialisierte Abwesenheit
Marie-Anne Baccichet und Damien Charamel «gebrauchten» während ein paar Tagen für ihre Arbeit «Sous» (Darunter) zwei Stühle und einen Tisch des Kunsthauses L6: Sie warfen mit Gummiarabikum getränkte Baumwolltücher über diese vorgefundenen Möbelstücke, und als der Gummi trocken war, entfernten sie wieder Stühle und Tisch. Zurück bleibt der weisse, erstarrte Überwurf, der gespenstig leer nun selbst zum Stehen kommt. Die Oberfläche der Dinge ist zwar weiter unsichtbar, jedoch als Abdruck in der geformten Skulptur festgeschrieben. Die andere Seite des Abdrucks eines Tisches materialisiert Martina Schnyder à la Rachel Whiteread, in dem sie den Raum unter dem Tisch abgiesst und einen Block schafft, der diesmal die Oberfläche der uns abgewandten Flächen eines Tisches sichtbar macht.
Welche Mausbewegungen machen wir, wenn wir am Computer arbeiten? Dies hat Judith Marlene Dobler in «Tracking. 36 Tage (18.11.2011–15.01.2012)» mit Hilfe einer Software dokumentiert. Das Resultat zeigt sie in 36 Digitalprints. Die Strichzeichnungen scheinen alle oben links verankert zu sein – wen wundert’s – und weisen eine unterschiedliche Dichte und Bewegtheit auf, die unmittelbar die Intensität der Arbeit zu dokumentieren scheinen. Auch die Arbeitszeit wurde registriert und nach dem Grundsatz «Zeit ist Geld» kosten die einzelnen Drucke zwischen 26,09 und 481,09 Euro. Das ganze Werk ist für 9000 Euro zu haben!
Funkkontakt und Filmstills
Einige der Positionen im Kunstverein könnten genau so gut in «Gegenwärtig Abwesend» gezeigt werden. Nicht erstaunlich, da «Warum nicht sagen was passiert ist» gerade auch diesen Bruch zwischen dem Aktuellen und dem Vergangenem thematisiert.
Sagen, was passiert ist, nehmen Françoise Caraco und Lucas Kunz auf unterschiedliche Weise wortwörtlich: Lucas Kunz zeigt in «Radiograms» sauber transkribiert den Funkkontakt zwischen zwei Apache Helikoptern und der Bodenstation während eines Einsatzes im Irak, bei dem viele Zivilisten getötet wurden. Unterlegt ist der Text mit Filmstills einer der Helikopter-Bordkameras und die Fotos der drei überlebenden Kinder bilden den Schlusspunkt der künstlerischen Dokumentation. Ton und Bewegung fehlen in diesem stillen Zeugnis – sie werden erschreckenderweise ohne viel Mühe in der Imagination der Betrachtenden nachproduziert. Auf lose A4-Blätter getippt, erzählt Françoise Caraco in ihren «Begebenheiten», was ihr alles schon als Künstlerin im Kontext Kunst widerfahren ist. Skurriles und Entlarvendes ist zu lesen und gibt Einblick in den (Hai-)Fischteich Kunst. Es ist ein «work in progress», KuratorInnen, KünstlerInnen und JournalistInnen seien also schon mal gewarnt!
Von der Vaterrolle
Auch in Selma Alaçams Installation «Farewell to the Pasha» wird gesagt, was passiert ist. Um dies zu hören (und zu sehen), sollte man sich viel Zeit nehmen. In einem grossen aus Ornamentlochplatten geformten Kubus – Katholiken werden unwillkürlich an einen Beichtstuhl erinnert – sind 16 Videos zu sehen, in denen türkische Männer aus Berlin Neukölln ihre Rolle als Vater in der deutschen Gesellschaft reflektieren. Sie alle sind Teilnehmer der Selbsthilfegruppe «Türkische Väter im Aufbruch» und haben dort gelernt, über ihre Probleme zu reden. «Türkische Väter schwanken zwischen Machogehabe, Familienvater und Verlierer», sagt beispielsweise ein junger Mann. Eine Realität, die wohl nicht nur für türkische Väter als Problem empfunden wird.
Erlebtes und Erfahrenes
In 90 Putzeimern hat Astrid J. Eichin die heruntergefallenen Blätter einer Eiche im Park der Villa Aichele in Lörrach zwischen dem 22. Oktober und dem 31. Dezember 2001 gesammelt und stellt diese nun schön aufgereiht als «memento mori» aus. Parallel zum Blättersammeln und -zählen wurde tagebuchartig Erlebtes und Erfahrenes notiert, im Bewusstsein, dass «der Vorgang des Aufzeichnens die Wirklichkeit verändert» (Heisenberg). «Weisst Du wie viel oder Manchmal sehe ich ein Blatt fallen» ist der Titel der Arbeit und verweist darauf, wie Achtsamkeit, das, was ist, verändert.
Auch das E-Werk und das T66 nehmen an der Regionale teil. Möchte man alle 4 Regionale-Orte in Freiburg an einem Tag besuchen, so geht dies am Donnerstag, Freitag und Sonntag. Vor Abreise unbedingt die verschiedenen Öffnungszeiten koordinieren. Sie sind auf der offiziellen Site der Regionale www.regionale.org einfach zu finden.
Die TagesWoche stellt einzelne Ausstellungen der «Regionale 13» in einer kleinen Serie vor.