In Allyson Vieiras Arbeiten steckt mehr, als man auf den ersten Blick denken könnte. Die Kunsthalle Basel zeigt eine Auswahl von Werken der US-Künstlerin.
Ein ohrenbetäubendes Geräusch empfängt uns in der Kunsthalle: Eine Gerüststange ist gerade einem Mitarbeiter entglitten und auf dem Boden aufgeschlagen. Ganz fertig ist man mit der Ausstellung von Allyson Vieira wenige Stunden vor der Vernissage noch nicht. Dass aber noch der eine oder andere Hammer herumliegt, stört überhaupt nicht. Im Gegenteil, es macht einen Aspekt der Kunst der Amerikanerin sogar sehr greifbar.
«The Plural Present»
Ausstellung 14. September bis 10. November, Oberlichtsaal, Kunsthalle Basel.
«Kommen diese stützenden Balken am Boden noch weg?», fragen wir kurz darauf im Oberlichtsaal die Kuratorin Ruth Kissling. «Eigentlich war es schon gedacht ohne», antwortet diese. Doch dann würden die riesigen Aluminiumgitter, die den Raum in seiner gesamten Länge durchziehen und die Bewegungsrichtung vorgeben, zu sehr durchhängen. Also werden die hellen Holzstücke wohl bleiben. Das mache aber nichts aus, meint Kissling. Denn Vieiras Werke zeigen gerne auch den Prozess auf, machen Arbeitsprozesse sichtbar. Dazu passt irgendwie auch das Zitat der Künstlerin, mit dem der Saaltext zur Ausstellung in der Kunsthalle beginnt: «It’s dirty and real.»
Der Mensch als Mass
Das Zitat bezieht sich jedoch nicht auf den feinen Bohrstaub, der hier noch am Boden liegt, sondern auf die Begeisterung der Künstlerin über antike Stätten in Griechenland, die sie so gerne bereist. Dort interessiert sie all das, was in Museen unsichtbar bleibt: Die Rückseiten von Statuen oder Architekturelementen, die Haken oder Klammern, welche die brüchigen Überreste zusammenhalten. Hier trifft die Vergangenheit auf Gegenwart.
In «Beauty, Mirth and Abundance» (Schönheit, Freude und Überfluss) nimmt Vieira direkten Bezug auf die antike Skulpturengruppe «Die Drei Grazien» im New Yorker Metropolitan Museum. Die drei kopflosen, weiblichen Figuren im Kontrapost interpretiert sie mit handelsüblichen Ziegeln, die sie aufeinandermauert und grob und eckig in Form schneidet. Die Spuren der Herstellung sind deutlich sichtbar: die Figuren verharren quasi im Moment des Übergangs zwischen Material und Form. Und wie in vielen anderen Werken auch versucht Vieira hier die Normgrössen der Baumaterialien mit ihrer eigenen Körpergrösse in Einklang zu bringen: Die Masse ihres Körpers bestimmen nicht nur die Masse der Skulpturen, sondern etwa auch die Abstände der Aluminiumschienen in der grossen, rahmengebenden Gitterstruktur. Der Mensch fungiert in diesem Universum als das Mass aller Dinge.
Was bei der Arbeit an Überresten anfällt, wird von Vieira nicht weggeworfen, sondern findet Verwendung in weiteren Werken, welche die 34-jährige Künstlerin «Clads» nennt: Stelenförmige Objekte, in denen Abfallreste beziehungsweise alles, was sich im Atelier ansammelt – vom Holzstück über rote Kreide bis zur Plastikverpackung –, in Gips eingegossen werden. Die «Clads» fungieren so als eine Art Dokumentation der anderen Arbeiten, als eine Art Erinnerungsstück.
Diese «Clads» sollte man sich genauer betrachten, denn je länger man sie sich ansieht, umso mehr Formen entwickeln sich daraus. Plötzlich meint man etwa einen Kopf zu sehen, oder der Blick bleibt an einem eigentlich unbedeutenden Fitzelchen hängen.
Turm in der Dunkelheit
Etwas Geduld ist auch bei einem anderen Werk Vieiras gefragt: In einem kleinen Raum läuft der Film «Site» an eine Wand projeziert. Mittels einer Camera Obscura wird dieser Film, der die Bauarbeiten am neuen One World Trade Centers in New York zeigt, in den dahinterliegenden Raum gespiegelt. Dort ist es stockdunkel – die Augen brauchen wenigstens ein paar Minuten, um zuerst schemenhaft, dann etwas deutlicher die auf dem Kopf stehende Projektion überhaupt wahrzunehmen.
Der Turm, der in der einen Projektion aufgebaut wird, scheint in dieser Umkehrung wieder zurückgebaut zu werden. Für Vieira ist dies ein Sinnbild von Kreation und Zerfall, etwas, auf das sie auch in den im letzten Raum gezeigten Fotografien «Ups and Downs» anspielt: Die Motive – von Gras und Efeu überwachsene Ruinen in Archea Olympia – sind darauf gespiegelt und gedreht.
An den Ruinen interessiert die Künstlerin wiederum der zeitliche Faktor, die Geschichtlichkeit der Dinge an sich. In Architektur und Objekten zeigt sich für sie die «Form der Zeit». Die Form bildet sich aus Material – durch die physische Tätigkeit des Menschen. Ohne seine Tatkraft kann keine Kunst entstehen. Deshalb stört sich Vieira auch nicht an den Balken am Boden. Sondern akzeptiert sie als notwendigen Teil des Ganzen.