Carena Schlewitt bleibt, der Anspruch steigt

Lust auf Risiko, Mut zur Nische: Direktorin Carena Schlewitt verlängert vorzeitig – und schärft in der nächsten Saison das Kasernen-Profil weiter. Lesen Sie hier, was sie bis im Frühjahr im Kleinbasler Dreispartenhaus erwartet.

Kaserne-Direktorin Carena Schlewitt, hier während ihrer ersten Saison, bleibt Basel wohl bis 2016 erhalten. (Bild: Dominik Labhardt)

Lust auf Risiko, Mut zur Nische: Direktorin Carena Schlewitt verlängert vorzeitig – und schärft in der nächsten Saison das Kasernen-Profil weiter.

Eigentlich brauchten sie gar nicht viel zu sagen: Denn schon bei der Begrüssung machten Direktorin Carena Schlewitt und Musikchef Sandro Bernasconi einen derart aufgeräumten Eindruck, dass einen der Verdacht beschlich, hier, bei der Präsentation der Kasernen-Saison 2012/2013, gäbe es eigentlich nur Gutes zu verkünden. Und tatsächlich kam die beste Nachricht gleich zu Beginn: Man habe sich im Grundsatz bereits über eine Vertragsverlängerung bis Ende Saison 2015/16 geeinigt, verkündete eine strahlende Carena Schlewitt überraschend, und tönte dabei die gute Stimmung im Vorstand der Kaserne Basel an.

Dem war längst nicht immer so, wenn man ein paar Jahre zurückdenkt: Bis zu Schlewitts Antritt fehlte es der Kaserne an einem stabilen Konzept, verschiedene Leiter versuchten sich an der Verwirklichung ihrer jeweiligen künstlerischen Visionen, und warfen alle mehr oder minder schnell wieder entmutigt das Handtuch, während der Vorstand in mehreren Feuerwehrübungen die drohende Schliessung abwenden musste. Auch Schlewitts Entscheide sorgten bei Antritt vielerorts für Sitrnrunzeln, etwa bei der Entlassung des Musikbüros (für viele das einzig funktionierende Rädchen im Getriebe) und der Berufung des vergleichsweise unerfahrenen Sandro Bernasconis zum neuen musikalischen Leiter.

Vieles richtig gemacht

Nun, zum Start ihrer bereits fünften, gemeinsamen Saison muss man den beiden zugestehen, rückblickend vieles richtig gemacht zu haben. Mehr noch: einen langsamen, aber stetigen Aufwärtstrend initiiert zu haben. Von Saison zu Saison steigt die Auslastung, im letzten Jahr etwa von 78 auf 79 Prozent, von insgesamt 56’000 auf 65’000 Besucher, wobei der Grossteil der Steigerung auf die sehr erfolgreiche 3. Ausgabe des Viva con Agua-Festivals zurückzuführen ist, das sein Publikum mit 14’000 nahezu verdreifachen konnte. Auch das soeben zu Ende gegangene, wiedereingeführte Theaterfestival verzeichnte mit 7500 Besuchern einen überaus erfolgreichen Start.

Alles in Butter also? Das nun auch wieder nicht – zu gross sind noch immer die Fragezeichen rund um die zukünftige Nutzung und Gestaltung des Kasernenareals. Aber eines ist sicher: Die Kontinuität tut dem Haus gut. Nachdem man jahrelang stets am Limit fuhr, scheint der Zeitpunkt gekommen, um etwas weiter in die Zukunft zu planen. Und dem eigenen Besucherstamm (je nach Optik) etwas mehr zuzutrauen – oder zuzumuten. Denn das, was am ehesten auffällt an der Programmation der neuen Saison des Dreispartenhauses ist der gesteigerte Mut zum Risiko, die Lust daran, das eigene Profil noch zu schärfen.

Verflüssigtes Leben

Bei Theater und Tanz bedeutet dies, das Hauptaugenmerk auf bereits etablierte, aber unkonventionelle Ensembles der Freien Szene zu setzen – demnächst etwa auf die Berliner Kreativschmiede «Sektion Nord» des hochgelobten Künstlerkollektivs 400asa: Autorin Claudia Basrawi und Musiker und Regisseur Ted Gaier (Die Goldenen Zitronen) zeigen bereits am nächsten Dienstag die Uraufführung ihres Stücks «Flow/Wasser», eine Parabel über den Versuch, in einem abgelegenen Dorf eine Regenmaschine zu testen  – und deren verflüssigende Auswirkungen auf die menschlichen Beziehungsgeflechte.

Auch ein weiterer Schwerpunkt – die Föderung lokaler Nachwuchstalente – verspricht einige spannende Abende. So macht sich Autor und Regisseur Tim Zulauf die Querelen um die Zukunft der Kaserne gleich selber zu Nutze, und inszeniert mit «Militär/Kultur/Spionage» (3. -5.10.) zwischen Kopfbau und Parterre einen «kulturpolitischen Krimi», bei dem man die Schauspieler via eines komplexen angelegten System von Soundinstallation und Aktionen verfolgen kann. Der gefragte Basler Jungregisseur Boris Nikitin lässt in «Das Grundgesetz» vier Performer ihre Körper auf deren juridische Bedingungen abklopfen. Ihre allererste gemeinsame Arbeit zeigt dagegen das noch junge Theaterkollektiv Glück um Victor Moser (bekannt aus den The bianca Story-Produktionen «Chris Crocker» und «Acid Monks») mit «Honegger», einem Einblick in das Gehirn eines fiktiven Füdlibürgers (11.-15.10.).

Ein Stück Land für ein Stück

Der zwischen Berlin, Buenos Aires und Bern pendelnde Fribourger Choreograf Martin Schick hat sich für die Tanz-Performance «Not My Piece – Postcapitalism for Beginners» (25 & 26.10.) gar eigens ein Grundstück in Fribourg gekauft, wo er versuchsweise eine autarke Wirtschaft implantieren will. Genauso politisch präsentiert sich zum 10. Geburtstag das Festival Culturescapes (16.-30.11.), das dieses Jahr die Megapolis Moskau unter die Lupe nimmt und mit dokumentarischen Mitteln das Erbe der Sowjetzeit aufarbeitet – etwa das schwierige russische Verhältnis zur Demokratie. Dokumentation ist auch Schlagwort der im nächsten April Premiere feiernden (und ebenfalls von Boris Nikitin geleiteten) Basler Dokumentartage. Ausserdem finden die Zeitgenössischen Schweizer Tanztage im Februar erstmals in Basel statt, unter anderem in der Kaserne – welche 15 Produktionen von der Jury ausgewählt wurden, wird allerdings erst im Oktober bekannt gegeben.

Hat Schlewitts Theaterprogramm eine klare Schlagseite hin zu aktuellen, kultur- und gesellschaftlichen Problemkomplexen und kommt damit ihrer Vorstellung vom «Theater, das sich aktiv und kritisch mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandersetzt» in der Kaserne immer näher, so dürfte sich auch das politische Profil der ehemaligen «Kulturwerkstatt Kaserne» wieder stärker in Richtung einer Roten Fabrik schärfe. Schliesslich, konzentrieren sich Bernasconi und sein Assistent Linus Munz mit rund 100 Shows pro Saison darauf, den Ruf der Kaserne als mittelgrossen Basler Konzertort zu stärken.

Keine Hype-Bands mehr

Doch nicht nur das Partyprogramm überlassen die beiden Kasernen-Leiter zunehmend Mitstreitern wie Hinterhof oder Sud, auch die  Auftritte kommerzieller Schweizer Bands, deutscher Hip-Hop-Acts, britischen oder frankophoner Hype-Bands fehlen mittlerweile fast komplett (und tauchen dafür mitunter im Volkshaus auf). Ein bewusster Wandel, betont Bernasconi: «Ich denke, über die letzten Jahren konnten wir sukzessive einen Besucherstamm aufbauen, der unserem Booking vertraut und es schätzt, unbekanntere Acts zu entdecken. Es macht uns natürlich glücklich, dass die Kaserne diesem Bedürfnis nach anspruchsvoller, undergroundiger oder avantgardistischer Live-Musik, das andernorts wohl oft als zu grosses finanzielles Risiko gelten würde, nachkommen kann – und sich die Besucherzahlen trotzdem noch steigern lassen.»

So setzen Bernasconi und sein Team im Oktober auf den legendären Rock-Avantgardisten John Cale (Velvet Underground, 19.10.), den düsteren Sampler-Folk des einstigen englischen Wunderkinds Patrick Wolf (UK, 21.10.) oder die Electro-Pop-Chansons vom belgischen Duo Vive la Fête (26.10.), im Dezember auf zwei sicherlich schon bald ausverkaufte Sophie-Hunger-Konzerte (17. & 18.12.), aber auch auf die Baby-Jail-Reunion-Tour (08.12.) und das altgediente Indie-Kollektiv The Dandy Warhols (09.12.).

Reifezeugnis absolviert

Neben den bisherigen Musik-Kaserne-Eckpfeilern «lokale Bands und Labels» sowie Funk, Soul, Reggae und Black Music hat man dieses Jahr laut Bernasconi das Angebot konkret auch im Bereich Afrobeat, (Ethno) Jazz, Funk und World Music ausgebaut, was sich an Bookings wie der Funk-Ikone Keziah Jones sowie den beiden gefeierten Jazz-Pianisten Chilly Gonzales (Kanada, 10.12.) und dem letztes Jahr am Stadtmusik-Festival begeisternden New Yorker Robert Glasper (08.11.) zeigt. Ein Musikprogramm also, dem man kaum vorwerfen kann, dass es sich an aktuelle Trends anbiedern würde, sondern fast schon unheimlich konsequent auf Virtuosität, Reife und Zeitlosigkeit setzt.

Ob sich mit einer derart anspruchsvollen Saison-Programmierung eine weitere Steigerung der Auslastung bewerkstelligen lässt, scheint hingegen fraglich – oder sagen wir: zumindest ambitioniert. Handkehrum dürften die bösen Zungen, welche die Subventionsvergaben an den Kulturort angesichts vereinzelt harmloser, überhypter oder allzu kommerzieller Bookings immer wieder kritisieren über die Wintermonate vielleicht definitiv verstummen: Vier Jahre nach Antritt sind Schlewitt/Bernasconi jedenfalls mitten in Basel angekommen.

 

Quellen

Medienmitteilung der Kaserne, siehe PDF-Attachment dieses Artikels

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