«Carousel»: Monsterschnulze aus der Mottenkiste

Einen überragenden Altstar, etwas Schauspiel, eine gute Portion Ballett und viel schnulzige Musik mit «You’ll Never Walk Alone» als Höhepunkt: Dies alles vereint das Musical «Carousel» im Theater Basel zu einem ziemlich zähflüssigen Versuch, die Spartentrennung für einmal ganz aufzulösen.

«You'll Never Walk Alone»: Die nette Wirtin mit dem bezeichnenden Namen Nettie Fowler (Cheryl Studer) ist alles andere als alleine.

(Bild: Simon Hallström)

Einen überragenden Altstar, etwas Schauspiel, eine gute Portion Ballett und viel schnulzige Musik mit «You’ll Never Walk Alone» als Höhepunkt: Dies alles vereint das Musical «Carousel» im Theater Basel zu einem ziemlich zähflüssigen Versuch, die Spartentrennung für einmal ganz aufzulösen.

Um Viertel nach zehn Uhr abends ist es endlich so weit. Die einst weltberühmte Opernprimadonna Cheryl Studer setzt an zum musikalischen Höhepunkt des Abends: «When you walk through a storm, hold your head up high…» Und manch einer im Zuschauersaal muss sich etwas zurückhalten, um nicht in die Arie einzustimmen, wenn sie sich zum herzzerreissenden «You’ll Never Walk Alone» emporschraubt.

Es ist der Höhepunkt eines langen Musicalabends, der sonst nicht wirklich zu glänzen vermag. Aber dieser Moment hat es in sich. Der selbstquälerische und auch quälende Vagabund Billy Bigelow hat sich soeben durch Suizid der Verhaftung entzogen, der armen Geliebten Julie Jordan stockt der Atem, da hebt die nette Wirtin mit dem bezeichnenden Namen Nettie Fowler zum grossen Trostgesang an.

Auftritt der grossen Primadonna

Vergessen ist die Todeszene, die nicht wirklich zu berühren vermag. Cheryl Studer als Nettie Fowler überragt alle und alles an diesem Abend. Die Studer war mal ein Weltstar und in allen grossen Opernhäusern der Welt zu Gast. Und sie ist auch heute noch durch und durch Primadonna – im besten Sinne des Wortes, wohlgemerkt. Diese Frau hat eine packende Bühnenpräsenz, eine wunderbare Ausstrahlung, die sich nicht richtig erklären lässt.

Gerne hätte das Publikum, das bis zu diesem Zeitpunkt bereits fast drei Stunden ausgeharrt hat, nach dieser Arie applaudiert. Aber ein Sirenenton und die penetrant laute Ansage über Lautsprecher, dass jetzt der «Umbau zum Himmel» anstehe, erstickte den Applaus im Keim.

Spätes ironisches Intermezzo

Es ist ein ironisches Intermezzo, das sehr unvermittelt kommt. Und so spät, dass es den Abend nicht mehr aus dem zähflüssigen, schwülstig-kitschigen Morast herauszureissen vermag.

Dies, obwohl es neben den Auftritten Studers auch ein paar andere kurze Glanzlichter zu vermerken gilt: So zeigt sich der Chor einmal mehr sängerisch und spielerisch von seiner besten Seite. Ebenso das Ballettensemble, das von Richard Wherlock in regelmässigen Abständen sehr gefällig in Szene gesetzt wird. Auch die Sänger und Schauspieler vermögen in ihren Einzelleistungen zu überzeugen. Erwähnenswert ist hier Stefan Zankl in der Rolle des Billy Bigelow, der von einem Tag auf den anderen für den erkrankten Hauptdarsteller einspringen musste und vor diesem Hintergrund eine phänomenale Leistung zeigte.

Aber zusammenpassen will das Ganze nicht. Was als grosse Koproduktion von Ballett, Oper und Schauspiel angekündigt wird, endet als wenig zusammenhängendes Nebeneinander der Sparten.



Es wird ziemlich viel getanzt im Musical «Carousel».

Es wird ziemlich viel getanzt im Musical «Carousel». (Bild: Simon Hallström)

«Carousel» heisst das Musical, welches das Theater für diese spartenübergreifende Demonstration aus der Mottenkiste gekramt hat. Nach über drei Stunden bleibt das Gefühl, dass es diese Monsterschnulze von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein doch lieber dort drin gelassen hätte. Oder sie einem Regisseur übergeben hätte, der in diesem Fall die «Schamlosigkeit, ironiefrei unterhalten zu wollen», nicht «als äusserst befreiend» empfindet. So äussert sich Regisseur Alexander Charim im Programmheft.

Reaktionärer Kitsch

«Carousel» ist die Musicalversion von Ferenc Molnárs dramatischem Milieustück «Liliom». Erzählt wird die Geschichte eines ruppigen Karussell-Ausrufers, der im Strudel seiner Selbstzweifel den Menschen schlägt, den er liebt: seine Geliebte, die ein Kind von ihm erwartet. Liliom gerät immer mehr auf die schiefe Bahn und nimmt sich schliesslich das Leben. Das alles mündet in den seltsamen, zugleich versöhnlichen und unversöhnlichen Schluss, dass der Vorstadt-Vagabund 15 Jahre nach seinem Selbstmord noch einmal auf die Erde zurückkehren darf, um Busse zu tun, was er dann aber nicht wirklich schafft.

Auf der Schauspielbühne mag dieser berührend-tragische Plot funktionieren. In der banalisierenden Welt des Musicals wird es schwierig, wenn man sich nicht die Mühe nimmt, den Stoff gegen den Strich zu bürsten und die Sentimentalität, die durch die schnulzigen Melodien zusätzlichen Auftrieb bekommt, mit einem ausgleichenden Gegenpol zu konfrontieren.

In Basel geschieht das nicht. Die überlangen Sprechszenen plätschern an der Oberfläche vor sich hin. Der Umstand, dass Billy seine Geliebte schlägt, aber dennoch ein guter Kerl ist, bleibt mehr oder weniger ungebrochen stehen. So präsentiert wird das Ganze zum reaktionären Kitsch.


Theater Basel: «Carousel». Musical von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Die nächsten Vorstellungen: 20., 22., 28. und 31. Dezember sowie im Januar 2017

 

 

 

 

Nächster Artikel