Charmante Traumspielereien und deftig-packendes Trashtheater

Mit einem charmant-verspielten «Traumspiel» und einem deftig-trashigen «Don Karlos» sorgten die beiden neuen regieführenden Co-Leiter, Tomas Schweigen und Simon Solberg, für einen fulminanten Neubeginn im Basler Schauspiel.

«Don Karlos» im Dreck: Don Karlos (Paul Grill) und der Marquis von Posa (Jan Viethen) (Bild: Judith Schlosser)

Das kann ja heiter werden! Spannend und ganz sicher sehr abwechslungsreich: Die beiden regieführenden Co-Leiter des Basler Schauspiels, Tomas Schweigen und Simon Solberg, leiteten mit höchst unterschiedlichen Arbeiten aber äusserst fulminant eine neue Ära im Sprechtheater ein.

Sie sind in bester Erinnerung geblieben, die Doppelprogramme in den Revolverkinos oder Kultkinos (als dies noch kein Markennamen war). Als man sich mit viel Chips, Bier oder Wein in den abgewetzten Sesseln zwei Nicht-Mainstreamfilme reinzog. Stellt man sich nun noch vor, dass man an so einem Abend einen Buñuel-Film und einen John Waters-Streifen vorgesetzt bekommen hätte, kommt man in die Nähe der Eindrücke, die die Eröffnung der neuen Schauspiel-Ära am Theater Basel beim Publikum hinterlassen hat. Nur dass Theater um einiges unmittelbarer ist als Kino, dass Theater nicht zur mehr oder weniger beiläufigen Berieselung taugt und der kumulierte Bilderrausch, der einem da vorgesetzt wurde, letztlich einer wahrhaftigen Überforderung gleichkam.

Nun war das Doppelprogramm mit zwei Stücken, die inhaltlich und stilistisch eigentlich nichts gemeinsam haben, eine Ausnahme. Die beiden Inszenierungen laufen nach der Premiere unabhängig voneinander und das ist gut so. Wir wollen hier auch gar nicht den Versuch unternehmen, irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Produktionen zu konstruieren. Ausser vielleicht, dass es in beiden Fällen um das ewige Leid der Menschen geht. Wobei das eine Stück – Strindbergs «Ein Traumspiel» – eine Reise durch die (Alb-)Traumwelt ist, während das andere – Schillers «Don Karlos» — das böse Erwachen nach dem Traum zum Inhalt hat, womit wir bereits bei den massgeblichen Unterschieden der beiden Arbeiten angelangt sind.

Charmant-verspieltes «Traumspiel»

Strindbergs sprung- und rauschhaftes «Traumspiel» fordert die Erfindungsgabe des Theaters heraus und ist damit bei der wunderbar verspielten Truppe «Far A Day Cage», die sich zusammen mit ihrem Kopf Tomas Schweigen ins Basler Schauspielensemble einbetten liess, an die richtige Stelle gelangt. Mit der Begrüssung «Hallo, wir sind Far A Day Cage, und wir spielen heute ‹Ein Traumspiel›», wird dabei bereits zu Beginn klargestellt, dass man sich vor allzuviel bitterer Schwermütigkeit nicht zu fürchten braucht. Das grosse Leid des Menschen, das Agnes, die Tochter des Gottes Indra (Cathrin Störmer), im glitzernden Abendkleid erkunden will, ist hier ganz so schmerzhaft nicht. «Versuchen Sie Ihre Logik auszuschalten, und versuchen Sie nicht etwas zu verstehen! Sie tun sich und uns keinen Gefallen damit», heisst es, bevor sich die Schauspielerinnen und Schauspieler, die zu Beginn eine wortlose Version des Beatles-Klassikers «With A Little Help From My Friends» intoniert haben, sich im Trainingsanzug einzeln vorstellen.

Und tatsächlich kommt Strindbergs Episodendrama um das ewige Scheitern der menschlichen Existenz so locker und leicht daher, als handle es sich um eine Light-Verschnitt von Shakespeares «Sommernachtstraum» mit Lewis Carrolls «Alice im Wunderland». Zwar tauchen all die unglückseligen Figuren, die Strindberg konstruiert hat, auf: der Offizier (Vincent Leittersdorf) etwa, der mit dem Blumenstrauss in der Hand über Jahre vergeblich versucht seine Geliebte zu treffen, oder der Advokat (Silvester von Hösslin), der all die Laster und Verbrechen seiner Mandanten in sich aufgesogen hat. Aber wirklich verzweifelt und verloren scheinen diese Wesen, wie auch die weiteren Figuren (Mareike Sedl, Vera von Gunten, Jesse Inman und Philippe Graff), nicht zu sein. Sie sind letztlich nur Bilder einer vorübergehenden Traumphase. Wenn die Göttertochter Agnes zum wiederholten Mal sagt, wie schade es doch um diese Menschen sei, dann kann man ihr kaum beipflichten. Und damit wirklich nichts schiefgehen kann, stellt Regisseur Tomas Schweigen (der zwischendurch auch zur Leadgitarre greift) die Weckuhr auf 75 Minuten ein, damit man – geschehe, was wolle – auch ganz sicher wieder aufwacht oder vielleicht doch nicht so richtig…

… aber mehr sei hier nicht verraten.

Bezauberndes Zaubertheater

Schweigen und das lustvoll auf- und zusammenspielende Ensemble beeindrucken durch einen stringenten sowie ausgesprochen bilderreichen Erzählfluss, der das Episodenstück stimmig in einen Guss bringt und einen sogleich in seinen Bann zieht. Alles scheint, so durchdacht es sicherlich ist, wie selbstverständlich aus dem Moment heraus zu entstehen. Dazu gehört auch die Ausstattung: einfache Stellwände aus Pappe, die von den Spielerinnen und Spielern auf der Bühne mit Farbstiften und Messer spontan zu konkreten Ausstattungsobjekten umgestaltet werden. Der Erzählfluss bricht auch nicht ab, wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler aus ihren Rollen treten, und der Bühnenbildner (Stephan Weber) sowie der Lichtdesigner (Demian Wohler) ihre Kommentare zum Ganzen abgeben. Gewiss: Das hat man alles schon gesehen, aber selten auf so eine charmant-verspielte Art und Weise. «Ein Traumspiel» ist intelligentes Zaubertheater, witzig, betörend und einnehmend. Vielleicht ist das Ganze letztlich etwas gar zu leichtfüssig und gewinnend, aber schliesslich sind dies ja zwei Begriffe, die auch eine durchaus positive Bedeutung haben.

Schiller durch den Trash-Wolf gedreht

«Leichtfüssig» und «gewinnend» sind Begriffe, die für Simon Solbergs auf knapp anderhalb Stunden eingedampfte Version von Schillers Freiheitsdrama «Don Karlos» wiederum ganz und gar nicht zutreffen. Während das «Traumspiel» durch den lichten Erzählfluss überzeugt, dominieren bei Solbergs Arbeit spitze Kanten und harte Brüche das Spiel. «Don Karlos» ist ein böser, überdrehter, lauter und deftig trashiger Bilderrausch, der zwischen Slapstick, eingestreuten Albernheiten und absolut ernsthaften Gefühlsmomenten so rasch und unmittelbar hin- und herschwappt, dass es einem beinahe schwindlig wird. Das Ganze kommt daher, wie wenn es darum ginge, ein vierstündiges Video in knapp anderhalb Stunden abzuspielen. Das funktionert nur, wenn der Vorführer immer wieder auf die Schnellvorlauf-Taste drückt und nur die Schlüsselszenen im normalen Abspieltempo belässt.

Im Schnellvorlauf steigen wir also in die vielschichtige Geschichte um die Intrigen, die Machtspiele und den Freiheitskampf am spanischen Hof ein. In einem bizarren Superheldenkostüm stellt der Graf von Lerma (Johannes Schäfer) das von rund zwanzig auf sieben Figuren geraffte Personal vor: den herrisch-machtbesessenen König Philipp (Thomas Meinhard), die engelhafte Königin Elisabeth (Judith Stössenreuter), den anfangs noch dickbäuchigen und vollbärtigen Kronprinzen Don Karlos (Paul Grill), die von Don Karlos bitter-verschmähte Prinzessin Eboli (Inga Eickemeier), den um die Freiheitsrechte der Bürger kämpfenden Marquis von Posa (Jan Viethen) und den in Kampfstiefeln im Rollstuhl sitzenden Intriganten Herzog von Alba (Dirk Glodde).

Wrestling-Kämpfer in Seifenkisten

Zu Beginn sind die Figuren ganz und gar Karikaturen ihrer selbst, die in überdrehter Cartoon-Manier unter anderem als Wrestling-Kämpfer in Seifenkisten vorgeführt werden. Wahrlich: «Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende», wie es bei Schiller heisst. In Solbergs Szenerie ist nichts erhaben, regiert im eigentlichen Sinne König Trash, der die slapstickartige Handlung mit lautem Heavy-Metal-Sound untermalt. Mit der Zeit aber lässt Solberg mehr und mehr auch ernsthafte Momente einfliessen – in ausgesprochen harten Brüchen zwar, aber vielleicht gerade deswegen auf eine eindrückliche und berührende Art. Es handelt sich um die Schlüsselszenen des Stücks, etwa um den Moment als Prinzessin Eboli erfahren muss, dass Don Karlos‘ Liebe nicht ihr, sondern seiner Stiefmutter Elisabeth gilt. Oder bei Von Posas berühmtem Freiheitsapell an die Adresse des Herrschers Philipp. Es gibt sogar Momente von poetischer Symbolik, etwa wenn Don Karlos in Anlehnung an das unterdrückte Flandern Tulpen in die herangekarrten Dreckhaufen einpflanzt (die von König Philipp aber sogleich mit einem Schwerthieb geköpft werden).

Das Eindrückliche des Abends ist das rasante Tempo, die Kraft und Kompromisslosigkeit, mit der das Ensemble Schillers Drama über die Bühne fegt und es gleichzeitig schafft, die Geschichte oder besser die Geschichten nachvollziehbar zu halten. Lediglich die Videoeinspielungen vom arabischen Frühling sowie die Bezüge zur Occupy-Bewegung und zur machtgierigen Wirtschaftswelt von heute wirken etwas aufdringlich und aufgesetzt. Die Bezüge zur Aktualität wären auch ohne diese offensichtlichen Fingerzeige verständlich gewesen.

Aufbruchstimmung

Der Doppelabend zum Beginn der neuen Spielzeit hat eines sicherlich gezeigt: Es herrscht wahrlich Aufbruchstimmung im Basler Schauspiel. Das war auch dem Premierenpublikum anzumerken, das sich – vom etwas eingängigeren «Traumspiel» vielleicht etwas mehr als vom ruppigen «Don Karlos» – ausgesprochen angetan zeigte vom Erlebten. Der Mut der Theaterleitung, die Geschicke des zuletzt etwas in den Dämmerzustand abgerutschten Schauspiels in die Hände von kompromisslosen, jungen aber hochbegabten Theaterleuten zu legen, scheint sich auszuzahlen.

 

Theater Basel, Kleine Bühne

«Ein Traumspiel»

Von August Strindberg

Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Anne Buffetrille, Musikalische Leitung: Martin Gantenbein, Dramaturgie: Bettina Ehrlich

Besetzung und weitere Vorstellungsdaten auf www.theater-basel.ch

 

Theater Basel, Schauspielhaus

«Don Karlos»

Von Friedrich von Schiller

Regie und Bühne: Simon Solberg, Kostüme: Sara Kittelmann, Musik: Henrik von Holtum, Dramaturgie: Eva Böhmer

Besetzung und weitere Vorstellungsdaten auf www.theater-basel.ch

 

 

 

 

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