Entworfen hatte sie ein Italiener, aber die Citroën DS ist das französische Auto schlechthin: Sie rettete dem Präsidenten das Leben, wurde von Philosophen überhöht – und sah dabei stets gut aus.
1955 stieg die Göttin vom Himmel. Als «Clou de la saison» wurde das neue Modell des französischen Autobauers Citroën im Fernsehbeitrag zum Pariser Autosalon angekündigt. Gelobt wurde, der sachlichen Berichterstattung verpflichtet, der Verzicht auf ein Kupplungspedal und das neuartige Lenkrad mit nur einer Speiche, aber der Wagen war, das wurde bald klar, mehr als die Summe seiner Funktionen.
Das Versprechen von rauschhaftem Speed
Es erstaunt nicht, dass sein Schöpfer, der italienische Designer Flaminio Bertoni, auch Bildhauer war: Ähnlich einem skulptural modellierten Fels schien die Oberfläche der Citroën DS aus fugenlosem Blech geschaffen. Zudem verabschiedete sich Bertoni vom Kastenmodell des Autos und verlieh der DS eine flache, stromlinienförmige Gestalt, die rauschhaften Speed versprach. Fahrer und Sozius sassen quasi im Cockpit.
Die Adaption verbreiteter Vorstellungen von Ufos, die damals in die Massenkultur herabschwebten, lässt sich nicht ignorieren und wurde von Bertoni selbst gefördert: In den folgenden Jahren stellte er das Modell ohne Räder, dafür auf einer hohen Säule montiert als Objekt aus, das in den Himmel zu entschweben schien.
Form und Assoziation passten in die 1950er-Jahre, die sich von den Entbehrungen der Nachkriegszeit zu verabschieden begannen und den Aufbruch in eine neue Epoche ankündigten, die Konsumfreuden, Mobilität und ein Lebensgefühl der Leichtigkeit versprach. Das Design des Modells, die leichten Materialien und eine neue Hydrauliktechnologie, die komfortable Fahrten ermöglichte, förderten die Erhöhung der DS zur «Déesse», zur Göttin.
Ein übernatürliches Automobil
Die Adelung über die Träume von Autoliebhabern hinaus erfuhr die DS zwei Jahre nach ihrer Präsentation. Der französische Kulturtheoretiker Roland Barthes widmete in seiner Essaysammlung «Mythen des Alltags» 1957 Bertonis Schöpfung mit «Der neue Citroën» einen zentralen Text, der den Funktionszweck des Modells völlig ignorierte. Er erkannte in ihm einen «Boten des Übernatürlichen», das «Äquivalent der grossen gotischen Kathedralen».
Der Bedeutungsüberschuss, den Barthes dem Auto zugesteht, gründet nicht nur in Oberflächenästhetik, sondern im Grad der Zurschaustellung und Bewunderung: ausgestellt als quasimusealer Artefakt, begehrt von seinen Anhängern – den Käufern. Für die Sinnesfülle, welche die DS in einem Zeitalter versprach, in dem Erfüllung sich auf die Konsumebene verschob, steht die Göttin auf vier Rädern stellvertretend für den Kult um das Objekt, der in einer entspiritualisierten Welt Raum zur Entfaltung vorfand.
Dass die DS mehr als ein Fortbewegungsmittel war, belegt ihre Inszenierungsgeschichte: Helmut Newton fotografierte sie, Filmgrössen wie Alain Delon, Marcello Mastroianni oder Leonardo DiCaprio fuhren sie. Im Jahr 2000 widmete ihr die Australierin Clara Law mit «The Goddess of 1967» einen so wunderbaren wie betörend melancholischen Film, in dem die DS sich als Gefährtin im Strudel der Einsamkeit anbietet.
Die Göttin rettete den Präsidenten
Ihre Seligsprechung erfuhr die DS indes bereits 1962 durch eine Wundertat, gegen die nicht einmal der Vatikan sich hätte sperren können: Als Staatskarosse rettete die Limousine dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle wahrscheinlich das Leben. Anhänger einer paramilitärischen Gruppe, die de Gaulles Abzugspolitik aus Algerien bekämpften, lauerten ihm in einem Hinterhalt auf und schossen 187 Mal auf den ungepanzerten Wagen.
Dank der Hydropneumatik konnte der Chauffeur trotz geplatzter Reifen die Kontrolle über die Citroën behalten, de Gaulle und seine Begleiter entkamen unverletzt. Die Göttin rettete den Präsidenten – keine Marketingabteilung hätte das besser inszenieren können.